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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 6. 2014 - 20:41

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 43.

Das Duell um Platz 1 in der Gruppe E sieht die Konstruktivität über Starre und Vorsicht triumphieren #SUIvsFRA

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

Tag 8: Kolumbien - Cote d'Ivoire und Japan - Griechenland sowie Uruguay - England
Tag 7 brachte Kamerun - Kroatien, Australien - Niederlande und Spanien - Chile.

Tag 6: mit dem ersten Spiel der 2. Runde, Brasilien - Mexiko, dann noch mit Belgien - Algerien und Russland - Südkorea.

Tag 5 hatte Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.

Tag 4 brachte die Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.

Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.

Das war die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.

Vorab-Einschätzungen der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Weil das Spiel eh schon entschieden ist ...

... ein paar Anmerkungen zum reaktiven Fußball an sich

1) Nicht glauben, dass ich das Schweizer Modell schlechtreden will. Um Strukturen so festzuzurren, dass sie für Generationen zum Maßstab werden, braucht es Stabilität und die bringen Hitzfelds Maßnahmen. Sie und andere im Umfeld (etwa die Arbeit des FC Basel) haben geholfen, die Nati zu einem europäischen Player der oberen Mittelklasse zu machen, zu einer geachteten Fußball-Nation, die das miese Image, das etwa ich aus den Spätsechziger, den 70ern und 80ern von dieser Truppe hatte, wegzukriegen. Die Überführung von jungen Talenten zu gutklassigen Ligaspielern und der Transfer deren Besten in die großen Ligen funktioniert und befeuert das Nationalteam. Der Verband gibt Vorgaben für Systeme und Strategien aus, brandet seine Jugendmannschaften geschickt. Das hat alles Hand und Fuß und ist zurecht Muster auch für den ÖFB; der sich auch nicht zufällig für einen Schweizer Chefcoach entschieden hat. Nur: wenn man diese europäische Mittelklasse nicht mit dem besonderen Spin dreht, wird man bei einem WM-Turnier keine wirklich herausstechende Rolle spielen können. Damit meine ich nix Nachhaltiges, sondern von mir aus auch nur eine einzige grandiose Partie, die im Gedächtnis bleibt. Das kann die Schweiz in ihrer aktuellen Konstellation nicht.
Das hat nicht nur mit Hitzfeld, sondern auch mit dem aktuellen Personal und anderen Parametern zu tun.

2) weil in diesem Match wieder eine klare Gut/Böse-Konstellation existiert, mit den offensiv ausgerichteten Franzosen und den abwartenden Konter-Schweizern - es gibt Menschen, die sich an meiner harschen und durchaus bösartig zu nennenden Ablehnung destruktiver oder auch nur passiver Spielansätze stoßen. Und argumentieren, dass auch diese Spielanlage okay wäre, wenn sie zum Erfolg führen würde (Musterbeispiel Griechenland 2004); oder für kleinere Mannschaften überlebensnotwendig, weil ja keine andere Chance bestünde gegen Große zu bestehen.
Ich halte da nichts davon.
Zum einen ist Erfolg nur eine Kategorie von vielen. Andere wie Weiterentwicklung, Fan-Verehrung oder über den Fußball hinausreichende Wirkung sind zumindest ebenso bedeutend. Warum etwa ist Eric Cantona ein Fußball-Gott? Nicht wegen seiner Titel oder Erfolge (im Nationalteam gab es z.B. gar keine).
Außerdem liegt die Chance der Mansnchaft mit den schwächeren Ressourcen, also der sogenannten Kleinen, durchaus in den konstruktiven Tugenden. Grandiose Taktik z.B., wie Chile unter Bielsa (wovon Sampaoli ja immer noch zehrt) oder kluge Flexibilität / Lässigkeit (wie Dänemark 96), das Ausspielen von Überraschungs-Momenten uvam.
Sich hinten-reinstellen, reaktiv in ein Match reingehen, das ist das Mittel der Unterdurchschnittlichen, der Denkfaulen, der Überlegungsarmen. Das möchte und kann ich nicht schönreden, auch wenn sich ein zeitweiser (trügerischer) Erfolg einstellt. Griechenlands Team etwa ist seit dem Titel weltweit verhasst, der Imageschaden hat den damaligen Peak längst überlagert.
Der Gipfel der Armseligkeit ist erreicht, wenn sich ein Großer, der das nicht müsste, hinten reinstellt. Wenn das wie hier bei der WM Kapazunder wie Argentinien oder die Niederländer unternehmen, dann wächste mir ganz automatisch ein flammendes Schwert aus dem Arm; ich kann dann nicht anders als Verwünschungen auszustoßen. Die Pervertierung der Mittel muss sich gegen den Verursacher richten; egal ob es sich um einen zynischen Multi handelt, der für billige Produktionsabläufe Menschrechtsverletzungen in Kauf nimmt, oder eben nur eine Fußball-Mannschaft, die - ihre Möglichkeiten nicht ausschöpfend - billigen Erfolg einem nachhaltigen Aufbau vorzieht. Letztlich ist auch in diesem Bereich Fußball nicht anders als das echte Leben.

Die Fakten zur Halbzeit 2 nebenbei ...
Es kommt 15 Dzemaili für 11 Behrami (der übliche Mittelfeldwechsel).

In Minute 63. kommt dann 19 Pogba für Giroud 9. Sissoko soll sich weiter vor orientieren, rechts. Kurz danach verletzt sich Sakho (5) und wird durch 21 Koscielny ersetzt, sicher ist sicher.

Dann macht Benzema auch noch sein Tor (67.), wie üblich unter Einsatz seines ganzen Körpers, mit Wucht nach vorne geworfen - 0:4

Danach kommt 19 Drmic für 9 Seferovic, das ist dann auch der letzte Schweizer Tausch.

Das 0:5 macht dann Sissoko, der neue Hilfsrechtaußen in der 73., assistiert von Benzema, dem Dirigenten des heutigen Sieges.

In Minute 81 schießt Dzemaili einen Freistoß durch die Mauer durch zum Ehrentor - 1:5

Danach der allerletzte Wechsel 11 Griezman für Valbuena. Und dann (88.) sogar noch das 2:5 Xhaka nach einem schönen Heber von Inler. Cabaye holt sich (bewusst?) seine Matchsperre für das 3. Match ab. Und in der Nachspielzeit geht noch einer durch Benzema - aber es war schon nach dem Schlusspfiff, schön blöd.

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Frankreich ist durch, hat sich mit dem zweiten wirklich guten Spiel natürlich in den Fokus des Weltinteresses gestellt - denn wer hatte hier schon zwei gute Spiele? Kolumbien, Chile und jetzt die Franzosen, denen man dann halt auch noch mehr zutraut. Ich eh auch, aber ich bleibe dabei: eher Europameister daheim 2016 als hier ein Finale.

Die Schweiz muss diesmal gegen Honduras besser auftreten als vor vier Jahren, dann geht vielleicht noch was.

Warum die, die das Spiel machen, es auch gewinnen dürfen

Benzema spielt tatsächlich links außen, nominell, überlässt Giroud das Zentrum. Flügelläufe werden über diese Flanke also eher Evra vorbehalten sein.

Die Franzosen beginnen forsch und nach vorne orientiert, was Steve Van Bergen in Form eines zu hohen Fußes von Giroud gleich zu spüren bekommt. Er muss früh raus, zu viel Blut, es kommt 4 Philippe Senderos (9.) - und damit ist die alte Baby-Abwehr des FC Arsenal wieder im Spiel. Senderos undDjourou, das war vor Jahren einmal das zukunftsträchtge Schweizer Bollwerk im Wenger-Konzept; das die Erwartungen nie erfüllen konnte. Dass sie nochmal bei einem großen Turnier nebeneinander stehen würden - ich hätt's nicht gedacht.

Frankreich kombiniert wieder schnell und direkt, oft misslingt dann der letzte Pass, aber es erzeugt Druck. Die Schweizer stehen tendenziell hinten, warten auf den nämlichen Abspielfehler und suchen dann den Konter. Das ist eine nicht unerfolgversprechende Spielanklage - aber keine, die ich schätzen können würde.

In der 17. zeigt Giroud, warum er nomniert wurde: hoher Luftstand beim Kopfball, alle anderen sehen zwergenhaft aus, toll gesetzt, auf der Linie krachen Benaglio und Rodriguez fast aneinander, der Ball haben sie nicht - 0:1.

Und direkt nach dem Wieder-Anpfiff vertändelt Behrami den Ball - Benzema setzt halblinks Matuidi ein, der schießt trocken ins kurze Eck - 0:2

Doppelschlag - wohl zuviel für die Schweizer, vor allem für ihr unbewegliches System und Hitzfelds langsames Justieren. Das Glück, das sie beim unverdienten Last-Minute-Siegestor gegen Ecuador begünstigte, hat sie in diesen zwei Minuten gegen sie gerichtet. Manchmal ist der Fußball eben gerecht.

Die Franzosen ändern nichts an ihrem Spiel, drücken weiter und lassen es erst gar nicht zu, dass der zuvor verhaltene Gegner allzu stark aufkommen kann. Xhaka schafft nur ein Offside-Tor. Danach vergibt Shaqiri (30.) den ersten gut durchgezogenen Konter und verpasst damit den Anschluss.

Und es sieht schlecht aus: Bnzema lässt sich (32.) an der Torout-Linie über Djourous Fuß fallen und kriegt den Elfer. Schießt ihn selber und Benaglio an, Nachschuss von Cabaye an die Latte - das hätte schon die Entscheidung sein können. Die endgültige. Ich denke nämlich, dass die letztlich auch so schon gefallen ist - zu druckvoll das französische Spiel, zu konsequent zieht man nicht zurück, gibt man sich nicht zufrieden.

In Minute 40 gelingt Giroud das, was die Schweizer nicht geschafft haben: er zieht links einen Konter durch, bedient Valbuena rechts - 0:3. Und das war's dann aber wirklich.

Ein Halbzeit-Fazit spar ich mir - für ein paar prinzipielle Gedanken zu solchen Konstellationen ist in der 2. Hälfte, in der sich nicht mehr so viel tun wird, noch genug Zeit/Platz.

Die Aufstellungen

Und ich habe Ottmar Hitzfeld ein wenig unterschätzt. Er ändert doch und beginnt so, wie er geendet hat, mit Seferovic statt Drmic und Mehmedi statt Stocker. Alles bleibt im 4-2-3-1.

Die Schweiz in rot mit
1 Benaglio; 2 Lichtsteiner, 20 Djourou, 5 Von Bergen, 13 Ricardo Rodriguez; 11 Behrami, 8 Inler (K); 23 Shaqiri, 10 G. Xhaka, 8 Mehmedi; 9 Seferovic

Und auch Deschamps wechselt innerhalb seines 4-3-3 so: Moussa Sissoko ersetzt Paul Pogba, Olivier Giroud den jungen Griezmann - meine beiden Lieblingsspieler sind also raus, grummel...

Frankreich spielt in weiß/blau mit
1 Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 18 Moussa Sissoko, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 9 Giroud, 10 Benzema

Gelbbelastet: Djourou bzw. Evra und Cabaye.
Ort: die Arena Fonte Nova in Salvador; es ist heiß. Schiri ist der Holländer Björn Kuipers.

Was vor dem Match zu sagen ist

Hier treffen die beiden Erstrundensieger der Gruppe E (und mit diesem Match gehen wir bis übermorgen in die untere Satzhälfte) aufeinander.

Für die Schweiz gilt aber der schöne Kulturstaatssekretär-Satz "Sieger sehen anders aus". Denn im ersten Spiel gegen Ecuador waren die Schweizer, die bei dieser WM immerhin als Gruppenkopf gesetzt sind, so gut sind sie in der Weltrangliste, die etwas schwächere, in jedem Fall die deutlich enttäuschendere Mannschaft.

Frankreich hat "nur" gegen Honduras gewonnen, das aber recht sicher. Nur: kann dieses "nur" angesichts des gerade erlebten Costa Rica-Spiels überhaupt Gültigkeit haben? Das von Nasri, Ribery und anderen die Tricolore in den letzten Jahren eher nach unten drückenden Faktoren befreite Mannschaft hat eine der erfrischendsten Leistungen des 1.Spieltags geboten. Aber das habe ich von Italien und England auch gesagt - und sehet selber, was daraus geworden ist.
Andererseits muss Wahrheit (oder das, was ich auf dem Feld erkennen kann und deshalb für Wahrheit halten muss, meine subjektive, auf meine Sinnesorgane, meinen Instinkt und meinen kleinen Back-Katalog an Turnieren zugreifende subjektive Wahrheit halt, die auch nicht weniger wahr ist als jede andere, vielleicht ein wenig besser belegt und erklärt) Wahrheit bleiben: Frankreich hat mir gut gefallen, hat mich inspiriert. Vor allem die gute rechte Seite mit Debuchy, wunderbare Achter und der eigentliche Erfinder der falschen Neun, Karim Benzema. Aber auch Notnagel Griezmann, den ich - fällt mir grad ein - schon zur Euro 14 gern gesehen hätte.

Das war die Aufstellung.
1 Lloris; 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 19 Pogba, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 10 Benzema, 11 Griezmann

Ich denke, dass Didies Deschamps nicht viel ändern wird.

Wie womöglich Team Suisse; zumindest eigentlich sollte. Aber da ist ja Hitzfeld Trainer, und der wird nur das allernötigste machen, also weder System noch Personal in Aufregung versetzen.

Und das ist es auch, was mir die Nati in den letzten Jahren ein wenig verleidet hat - die Unbeweglichkeit, die unter Hitzfeld noch zunehmende Starre, die aus einem wilden Haufen an Talenten eine sehr eingefahrene Schalterbeamten-Parade gemacht hat. Ich weiß, Konsolidierungs-Phasen sind nötig, vor allem, wenn man dahinter Strukturen auf- und umbaut und auf Nummer Sicher gehen will, was Qualifikationen betrifft. Eh. Mir ist es dennoch zuviel an Sicherheit, zu viel Blocherei.

Es werden also wohl wieder diese elf da sein:
1 Benaglio; 2 Lichtsteiner, 20 Djourou, 5 Von Bergen, 13 Ricardo Rodriguez; 11 Behrami, 8 Inler (K); 23 Shaqiri, 10 G. Xhaka, 14 Stocker; 19 Drmic.

Ein PS noch. Was man nicht vergessen darf: das Match (der Match für unsere Schweizer Gäste) ist auch ein Derby, ein Kampf gegen einen großen Nachbarn, steht also vor allem für die Romands unter einem besonderen Stern. Und natürlich ist bei Frankreich, so wie auch Belgien gegenüber, ein gewisses Belächeln dabei, welches das Problem hat, dass es vom anderen sprachlich verstanden wird.

Und noch ein PS zu Frankreich. Heute wurde bekannt, dass Philipp Hosiner zum bretonischen Renommierverein Stade Rennes wechselt; und wird dort u.a. auf Jonathan Pitroipa treffen.