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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 6. 2014 - 17:09

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 42.

Kann wenigstens Italien die Erwartungen erfüllen? Nö. Ist Costa Rica mehr als eine Eintagsfliege? Ja! #ITAvsCRC

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

Tag 8: Kolumbien - Cote d'Ivoire und Japan - Griechenland sowie Uruguay - England
Tag 7 brachte Kamerun - Kroatien, Australien - Niederlande und Spanien - Chile.

Tag 6: mit dem ersten Spiel der 2. Runde, Brasilien - Mexiko, dann noch mit Belgien - Algerien und Russland - Südkorea.

Tag 5 hatte Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.

Tag 4 brachte die Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.

Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.

Das war die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.

Vorab-Einschätzungen der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Das Fazit

Spanien und auch England sind schon draußen, Brasilien hat zweimal nicht überzeugt, und jetzt schwächelt auch die Mannschaft, die im 1. Match am souveränsten rübergekommen ist: keine gute WM bislang für die Big Names, die schon zwei Matches hinter sich haben.

Italien hat ein Sechzehntelfinalspiel gegen Uruguay, auch mit der besseren Ausgangs-Position, sie sind mit einem Remis weiter - so hat der Plan von Prandelli, der sich mit einem gesettelten, selbstsicheren Team, das nie ganz vorne bei den Top 3-Tipps dabei war, aber gleich dahinter, ein ranschleichendes Turnier zum Titel spielen wollte. Sich wieder dorthin zu spielen, wird nun ein schweres Unterfangen.

Costa Rica ist eine Sensation; hätte/habe ich ihnen nie/nicht zugetraut. Der Unterschied zu anderen Mannschaften mit einem defensiven Ansatz: sie bleiben nicht passiv, sie denken nicht im Konjunktiv, sondern haben das mit der Echtzeit kapiert. Schon gar nicht, nachdem sie in Führung gehen - es wird nicht verschanzt, es wird nachgelegt.

Das war wohl bereits der Gruppensieg; und das bedeutet ein sehr günstiges Achtelfinallos und dann womöglich ein Treffen mit dem Gastgeber - aber ich greife vor, ich weiß. Da das aber im Fall der Ticos so selten vorkommt, ist es aber erlaubt. 1990 war das unter Bora Milutinović, wo man sich bis in die KO-Runde vorspielte, gegen nicht ganz so große Namen, aber ebenso harte Gegner.
Ab jetzt ist nichts mehr unmöglich.

Halbzeit 2: Italien ist neu sortiert, bleibt aber steif

19:04, Anpfiff - Prandelli bringt 10 Cassano für 5 Motta, stellt also auf ein 4-2-2-2 um. Noch so ein Ding, das man ohne Wimpernzucken spielen kann. Pirlo - De Rossi als Doppel-Sechs, davor halbrechts Candreva, halblinks Marchisio, und Cassano dann neben Balotelli ganz vorne. Candreva wird dadurch wieder mehr zu dem Flügel, der gegen England so effektiv war.

Pirlo meldet sich mit einem Freistoß-Ball in der Halbzeit an, aber beide Reihen sind bemüht so viele offensive Akzente wie möglich zu setzen, markieren also ihre Reviere. Prandelli ist das zu wenig: 22 Insigne wird auch noch kommen. In der 58. für just den gerade gelobten 6 Candreva. Das ist ad personam unfair, aber strategisch nachvollziehbar: Prandelli will die Flügelaufgaben den Außenverteidigern überlassen und setzt auf ein 4-3-3 mit drei Spitzen und Marchisio dahinter.

Costa Rica igelt sich jetzt mit einer 5-4-1-Variante ein, nur noch weite Bälle auf Campbell. Buffon tankt in diesem Zusammenhang ein wenig Sicherheit: er will eine Götterdämmerung, wie sie Casillas widerfahren ist, verhindern.

Der Dreier-Sturm läuft ein wenig unrund: Insigne spielt so eine Art Linksaußen mit Option auf die Mitte, Cassano eher so hinter Balotelli herum. Und hinten stellen sich Abate und Darmian an, als wären sie gebunden, es gibt also kein echtes Flügelspiel.

In der 67. kommt 22 Cubero für 17 Tejeda, drei Minuten später 11 Cerci für 8 Marchisio, der sich in den letzten Minuten nicht mehr zurechtfand. Mit Cerci rechts kann man jetzt ein echtes 4-2-4 mit Flügelspiel aufziehen. Irgendwie stehen einander Cassano und Balotelli gern im Weg herum, das Verständnis ist nicht optimal. Cerci und Insgine kommen von zu weit hinten.

In der 74. ersetzt 21 Ureña 9 Campbell, auch ein Positionswechsel. In Minute 81 ersetzt 14 Brenes den Kapitän Bryan Ruiz, der die Binde an Tormann Navas weitergibt.

Die Steife, die Italiens Spiel heute ausstrahlt, liegt in erster Linie an der zu strikt exekutierten Vierer-Abwehr. Statt die Innenverteidiger durch einen zurückfallenden Sechser breit hinzustellen und so die außen zu echten attacantos zu machen, bleiben die Positionen von Abwehr und Pirlo-De Rossi quälend starr. Das ist sehr seltsam, und auch unitalienisch.

Halbzeit 1: Italien verhalten; Costa Rica wieder voll dabei

Die Ticos stehen defensiv in einem überdeutlichen 5-2-3, offensiv gehen die beiden Außenverteidiger mit vor und schaffen so eine 3-4-3-Ordnung.
Gefahr erzeugen nicht so sehr die Gegenstöße, sondern die Corner, bei denen Italiens Abwehr ordentlich schwimmt.

Italien diesmal symmetrisch, weil auch Abate ein richtiger Außenverteidiger ist, keine stacksige Not-Variante wie Chiellini. Abate, der blonde 7er, spielt übrigens rechts und Darmian wird auf die linke Seite geschickt. Mit dem Neuen kann man das ja machen - dem Vernehmen nach beherrscht er das auch. Und es ist Abate, der in der Anfangsphase viel nach vorne geht, Darmian ist noch zurückhaltend.
Im Dreier-Mittelfeld der Super-Sechser ist De Rossi der zentrale hinterste Mann, vor ihm auf den Halbpositionen Pirlo und Motta. Pirlo stößt gerne in den Raum, der halblinks bleibt und agiert heute so weit vorne wie schon lange nicht mehr, oft auf einer Höhe mit Candreva und Marchisio. Das 4-3-2-1 sieht deshalb meist nach einem 4-5-1 aus, das ist etwas zu wenig konstruktiv.

Italien kommt nicht so ins Rollen, weil neben Darmian auch Candreva heute verhaltener agiert und die spielerische Idee fehlt. Die meisten Vorstöße sind schnelle Läufe, richtig kombiniert wird viel zu wenig.
Deshalb kann Italien aus den leichten Feldvorteilen auch genau nichts machen. Deshalb sieht alles sehr ausgewogen aus.

Wo der Unterschied liegt zeigt Pirlo in der 31. Minute mit seinem Pass auf Balotelli, der allein gegen die Fünferkette steht und sie trotzdem ausspielt. Das ist der Auftakt zu einer Reihe besserer Szenen. Auch für Costa Rica, die den Weitschuss für sich entdeckt haben, auch weil Buffon unsicher wirkt, ein gutes Mittel. Und dann auch eine tolle Borges-Kopfchance.

Dass die Blauen nicht so zur Entfaltung kommen, liegt natürlich auch an der Qualität der Weißen, die schon vorne gut pressen und versuchen, das Zentrum, also Pirlo zu blockieren.

In der 43. reklamiert Costa Rica Elfer-Foul von Chiellini an Campbell. Nicht gegeben. Aber zwei Minuten später: nach einem Cross von Junior Diaz köpft Ruiz den Ball per Latte knapp hinter die Linie; die Tormaschine braucht keiner mehr, das war auch so sichtbar: 0:1. Mitgeholfen hat die xte Unsicherheit von Buffon, der bislang noch keine Flanke, eigentlich überhaupt keinen Ball wirklich sicher arrettieren konnte.

Und mittlerweile ist diese Führung nicht einmal mehr unverdient.

Die Aufstellungen

Italien in blau mit
1 Buffon (K); 7 Abate, 15 Barzagli, 3 Chiellini, 4 Darmian; 5 Thiago Motta, 16 De Rossi, 21 Pirlo; 6 Candreva, 8 Marchisio; 9 Balotelli

Prandelli stellt also die Abwehr um, schmeißt (danke!) Paletta raus, zieht Chiellini in die Mitte, und gibt Abate links eine Chance. Im Zentrum ersetzt Motta Verratti.

Costa Rica in weiß mit schickem angedeuteten roten Cop-Halfter mit
1 Navas; 16 Gamboa, 6 Duarte, 4 Umaña, 3 Giancarlo Gonzales, 15 Junior Diaz; 17 Tejeda, 5 Borges; 10 Bryan Ruiz (K), 9 Campbell, 7 Bolaños

... wie erwartet - keine Änderung. Der mit der Bandana ist Bolaños.

Referee ist Enrique Osses aus Chile, in der Arena Pernambuco in Recife. Das Wetter schlägt keine Kapriolen, es ist aber heiß.

Was vor dem Match zu sagen ist

Ja, in diesem Spiel entscheidet sich, ob England auch theoretisch überhaupt noch drin bleibt. Da ich an die dazugehörige Praxis nicht glaube, interessiert mich anderes mehr. Nämlich die Frage, ob es bei dieser WM just die sonst spät oder höchst pomali in so ein Turnier startenden Azzurri sein werden, die sich mit einem anständigen zweiten Match zum stabilsten Faktor aufspielen, ja noch besser: hochspielen werden.

Italien ist also aktuell die Nummer 1.

Sie sind die einzigen im ehemaligen Fünfer-Favoritenkreis, bei denen es noch genau gar nichts nasezurümpfen gab (und wer hier jetzt "und was ist mit 'tschland'?" ruft, hat die Anfangsphase samt der Lahm-Schwimmerei verdrängt, weil ihn die Informationsverarbeitung von vier Treffern überfordert. Das war gefährlich nah am Absturz).

Sie sind die bislang einzigen dort vorne im Kreis der Ex-Weltmeister, die ihr taktisches Konzept durchziehen und auch durchbrechen konnten, nicht wie Argentinien herumdoktern, nicht wie Deutschland in der personellen Findung stecken, nicht wie Brasilien in der Starre bleiben.

Cesare Prandelli hat sogar einen echten taktischen Coup setzen können, mit einem jungen Rechtsverteidiger, den keiner auf der Rechnung hatte, und dessen offenbar vier Lungenflügel für einen Verteidiger in der Defensive und einen zusätzlichen Flügel mit Durchlaufhitzer bis zur gegnerischen Toroutlinie in der Offensive reichten. Dieses asymmetrische Spiel verwirrte Gegner England mitentscheidend.

Der auch ansonsten wunderbar gepflegte Tannenbaum tat sein übriges: das 4-3-2-1, in dem der junge Verratti als Nebenmann der alten Knochen Pirlo und de Rossi und Candreva als Treiber hinter Balotelli besonders hervorstachen.

Das war die Squadra in Match 1:
12 Sirigu; 4 Darmian, 15 Barzagli, 20 Paletta, 3 Chiellini; 16 De Rossi, 21 Pirlo (K), 23 Verratti; 6 Candreva, 8 Marchisio; 9 Balotelli.

Fürs zweite Spiel kommt Tormann Buffon von seiner Verletzung zurück. Hoffentlich ersetzt Bonucci den grauenvoll anzusehenden Paletta innen. Mit Thiago Motta und den Angreifern Cerci, Immoblie und Insigne hat Prandelli auch offensiv eine veritable Wechselbank. Und vielleicht probiert er hintenrum wieder was Neues.

Costa Rica wird kein Jausengegner sein. Der Sieg gegen Uruguay hat die Ticos zu Riesen wachsen lassen. Und der Kolumbianer auf der Bank, Coach Jorge Luis Pinto, wird noch weniger als sein Gegenüber Veranlassung sehen, viel zu ändern. Er wird sein 5-2-3 vom 1. Spiel auch deshalb nicht variieren, weil es nicht geht. Costa Rica, der kleine feine Außenseiter, hat viel investiert, um mit diesem Modell effektiv Widerstand leisten zu können und sich zeitgleich auch offensiv gut zu rüsten, da kann kein Plan B in der Schublade sein.

Das waren die Sieger gegen Uruguay:
1 Navas; 16 Gamboa, 6 Duarte, 4 Umana, 3 Giancarlo Gonzales, 15 Junior Diaz; 17 Tejeda, 5 Borges; 10 Bryan Ruiz (K), 9 Campbell, 7 Bolanos.

Bloß: Italien ist jetzt ein anderes Kaliber, eine Mannschaft, der man, wenn sie eines Spielsystems einmal ansichtig wurde, nichts vormachen kann. Wohl auch nicht in einem ersten Gruppenspiel. Und noch weniger in einem zweiten.

Allzuviel würde ich diesmal also nicht auf den Außenseiter setzen.