Erstellt am: 20. 6. 2014 - 12:50 Uhr
Ein politisches Festival
Die Vorgeschichte
Er kommt: Der türkische Wahlkampf wird international. Am 19. Juni will Erdoğan seine Unterstützer in Wien mobilisieren.
Wenn Recep Tayyip Erdoğan eine Rede hält, gleicht das mehr einem Festival als einem Politiker-Vortrag. Auf dem Gelände vor der Wiener Albert-Schultz-Eishalle sind am Donnerstag Hot-Dog-Stände, Dixie-Klos und Zelte aufgebaut. Die Tausenden Fans des Ministerpräsidenten, die auf den Eintritt in die Halle warten, schauen auch aus wie ein Festivalpublikum, allerdings tragen sie keine Bandshirts sondern T-Shirts mit Fotos von Erdoğan. Auf manchen sind Slogans des Politikers zu lesen, die die Leute hier wie Songtexte auswendig kennen.
Die Stimmung ist gelassen, die Leute begrüßen sich freundlich gegenseitig und jeder unterhält sich mit jedem, aber langsam wächst auch die Ungeduld. Der Moderator auf der Bühne beginnt auch schon zu nerven. „Wo bleibt der Ministerpräsident? Er soll endlich kommen!“, hört man aus dem Publikum.

APA/Hans Punz
Der Headliner
Mit einer erheblichen Verspätung kommt er endlich an. Das Publikum in und vor der Halle jubelt, aber bevor Erdoğan mit seiner Rede beginnt, sind, wie es sich für ein Konzert gehört, die Vorbands dran. Die Veranstalter, der türkische EU-Minister Mevlüt Çavuşoğlu und der stellvertretende Ministerpräsident Emrullah İşler halten kurze Reden. Doch erst als der Headliner die Bühne betritt, tobt das Publikum richtig.
Ein Headliner war Erdoğan im wahrsten Sinne des Wortes: Schon Wochen vor seinem Auftritt sorgte er für Schlagzeilen in den Medien und Aufregung bei den österreichischen Politikern. Als Erdoğan zu Beginn seiner Rede sich bei der österreichischen Regierung für die Möglichkeit dankt, hier reden zu dürfen, kommen von vielen Buhrufe.
„Wir sind stolz auf euch“
Denn die reflexartige Ablehnung Erdoğans quer durch alle österreichischen Parteien haben hier einige persönlich genommen. Die österreichischen Politiker, die eine „klare Linie“ ziehen wollten, damit Erdoğan hier nicht der Integration schade, haben exakt das Gegenteil bewirkt. Wenn Erdoğan in Österreich nicht willkommen ist, bedeutet das für viele seiner Anhänger, dass sie auch nicht willkommen sind, denn schließlich ist ja Erdoğan „einer von ihnen.“
Erdoğan beweist mehr Fingerspitzengefühl als seine österreichischen Kollegen. „Wir sind stolz auf euch und auf die Arbeit, die ihr leistet“, sagt er. Ein Satz, den die Austro-Türken, die häufig sowohl in Österreich, als auch in der Türkei mit Diskriminierung und Vorurteilen kämpfen, selten hören.
Die Wahlen kommen
Erdoğan spricht mehr als eine Stunde und in der Rede schlägt er, noch deutlicher als bei seinem Auftritt in Köln, Wahlkampftöne an. Er spricht vom wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch von politischen Veränderungen und kritisiert die Gezi-Bewegung, die Oppositionsparteien und Medien.

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Die türkischen Oppositionsparteien haben diese Woche ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 10. August aufgestellt. Mit Ekmeleddin İhsanoğlu, dem ehemaligen Direktor der „Organisation für islamische Zusammenarbeit“, hofft die säkular-nationalistische Opposition auf Stimmen der AKP-WählerInnen.
Doch dass die Tausenden, die Erdoğan in und vor der Albert-Schultz-Eishalle zujubeln, für jemand Anderen stimmen, ist kaum vorstellbar. Dabei können ihn viele nicht mal wählen, weil sie österreichische Staatsbürger sind. Doch darum geht es auch nicht. „Wir sind gekommen um ihn zu sehen und zu unterstützen“ sagen sie.
Besonders hierzulande ist es nicht einfach zu begreifen, wie ein Politiker derartig viel Euphorie auslösen kann. In den Gesichtern der zahlreichen Journalisten, die als Außenseiter Erdoğans Rede mit verfolgen, sieht man Staunen und Verwunderung. „Das gibt’s ja nicht…da verkauft jemand im Internet drei (eigentlich kostenlose) Tickets für 240 €“, sagt ein Kameramann.
Die Zugabe
Am Ende schaffen es alle, Erdoğan live zu sehen: Nach seiner Rede in der Halle geht der Ministerpräsident nach draußen und hält auf einer improvisierten Bühne vor der Halle eine weitere Rede für die Tausenden, die drinnen keinen Platz bekommen hatten.

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Im Grunde liegt darin das Erfolgsgeheimnis von Erdoğan. Der Ehrgeiz, mit dem er nach zwölf Jahren Amtszeit um jede Wahl und jede einzelne Stimme kämpft, ist in der türkischen Politik einzigartig. Er betont immer wieder, dass seine Partei „die Partei aller Provinzen“ sei - ein Seitenhieb auf die kemalistisch-nationalistische Opposition, die sich im Wahlkampf auf ihre wenigen Hochburgen konzentriert und in kurdisch-dominierten Provinzen überhaupt nicht auftritt. Die Opposition ignoriert auch weiterhin die Auslandstürken, währenddessen baut sich Erdoğan auch in Europa Hochburgen auf.
Am Ende der Veranstaltung treffen die Erdoğan-Unterstüzer in der Nähe der Halle auf die Gegner. Beide Gruppen versuchen sich mit Slogans zu übertönen und zeigen sich gegenseitig die Fäuste, doch es kommt zu keinen ernsten Zwischenfällen.
Auch bei der Gegendemo sind tausende mitmarschiert, dennoch sollte niemand überrascht sein, wenn er bei den kommenden Wahlen auch bei den europäischen Türken die klare Mehrheit holt.