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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 6. 2014 - 20:38

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 37.

Spanien wird sich seiner Sterblichkeit bewusst und zweifelt sich gegen Chile zum Ausscheiden #ESPvsCHI

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

Tag 6: mit dem ersten Spiel der 2. Runde, Brasilien - Mexiko, dann noch mit Belgien - Algerien und Russland - Südkorea.

Tag 5 hatte Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.

Tag 4 brachte die Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.

Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.

Das war die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.

Vorab-Einschätzungen der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

22 Uhr 56: Spanien ist raus.
Chile schlägt im Achtelfinale Brasilien und wird Weltmeister.

Die letzte Halbzeit als Weltmeister

Del Bosque bringt 17 Koke für 14 Xabi Alonso.
System bleibt gleich, Silva bleibt eher zentral, aber zu weit hinter Costa, um gefährlich zu werden. Koke kreuzt zumindest die Linien.

Chile steht jetzt 3-3-1-3 also mit Isla/Mena doch vorsichtiger und Aranguiz vor Diaz. Schleift sich dann auf ein 3-4-1-2 ein.

Als in der 53. Sergio Busquets einen Ball aus drei Metern nebens leere Tor setzt, werden wohl Überlegungen laut, dass Flüche oder Verwünschungen im Spiel sein können. Ich bleibe dabei: es ist das völlig neue Bewusstsein der Fehlbarkeit, das die Spanier so failen lässt.

Aranguiz prellt sich den Fuß und muss wohl runter (57.) Felipe Gutierrez steht schon bereit. Mena sieht zwischenzeitlich gelb.

Warum ich diesem spanischen Spiel, der fehlgeleiteten Überinterpretation, trotzdem keinen Vorwurf machen möchte: sie wollen ja, immer, sie probieren, immer. Nicht wie andere, die auflaufen um dann nichts zu wollen.

So auch in dieser zweiten Halbzeit, der letzten die sie als Weltmeister vor einem weltweiten Publikum bestreiten werden

Wechsel in der 66.: 16 Felipe Gutierrez für 20 Aranguiz; und 9 Fernando Torres für 19 Diego Costa, ein reiner Positionstausch. Und es bleibt auch weiter dabei, dass nur der Einzelstürmer gegen die Abwehr anspielt, dass die Offensivreihe dahinter sich schon zu früh wegblocken lässt.

Das alles erzählt mir: es wird sich nicht ausgehen für die Roten. Eher macht Chile noch das 3:0 in einem der schnellen rauskombinierten quirligen Angriffe.

Der Wechsel von 20 Santi Cazorla für 11 Pedro in der 77. Min bringt nur einen neuen Flügel, keine neue Idee. Dann 10 Valdivia (84.) für 11 Vargas, eine Verbeugung vor dem Spieler, den Sampaoli geopfert hatte um dem spanischen Favoriten strategisch besser trotzen zu können. Und kurz drauf noch 6 Carmona für 8 Vidal, der ein bissl Schonung kriegt.

Sidestep: Tormann Bravo soll ja von Real Sociedad als Zweier-Goalie zu Barca wechseln, hinter Ter Stegen. Ich denke, so kampflos wird das nicht werden. Zu gut war er bis dato.

Halbzeit-Fazit: das Bewusstsein der Sterblichkeit

Es war schon vor Anpfiff, ja schon vor dem Abpffiff des Holland-Spiels unwahrscheinlich, dass sich der Weltmeister von diesem Schock, der Entdeckung der eigenen Schlagbarkeit, quasi dem Bewusstsein der Sterblichkeit, würde erholen können. Jetzt ist der praktische Beleg zu dieser These da.

Jedes kleine Einzeldetail rennt schief. Alles, was früher gepasst hat, wird jetzt schon in der Entstehung, in der Planung, im Anlaufen angezweifelt und passt deshalb nimmer. Schaut euch einmal die Körpersprache und Mimik von Sergio Ramos an, der kommentiert das auch noch.

Spanien ist nicht über Nacht schlechter geworden, sondern über Nacht ergraut, traut sich selber nichts oder weniger zu und ist deshalb auch weniger wert.

Spaniens Pech war es, sowohl die destruktiven niederländischen Käferbeine-Ausreißer als auch die kleinen chilenischen Power-Künstler als Gegner in der Gruppe zu haben. In der Gruppe H statt Belgien oder anstelle von Argentinien wäre der Champ etwa noch im Rennen, aber diese spezifisch ungünstigen Kontrahenten haben die bunte spanische Haarpracht monochromiert.

Es ist ein Abschied in mehreren Teilen, heute vielleicht der letzte auf der großen Bühne: verliert Spanien wird kein Mensch mehr ihr drittes Gruppenspiel gegen Auch-Verlierer Australien ansehen, sondern das Spitzenduell Chile - Holland im Kampf darum, wer nicht gegen Brasilien spielen muss.

Wie über Nacht ergraut - wieder eine denkwürdige spanische Halbzeit

Chile tut, was es tun muss: überfallsartig loslegen. Spanien staunt. Und tut sich gegen die deutlich engmaschigere chilenische Defensive (zwei im Mittelfeld-Zentrum, drei dahinter, dazu noch schließende Außen) deutlich schwerer mit den üblichen Durchstecker-Lochpasses. Hinter den chilenischen Angriffen steckt deutlich mehr rollende Power, bei Spanien macht sich die kollektive Unsicherheit über die Passungenauigkeit bemerkbar.

Bei spanischen Angriffen kommen Isla, Vidal und Mena mit nach hinten, bilden so eine Fünfer-Abnwehr mit drei Abräumern davor und stopfen alle Löcher. Im Offensivfall schwärmen die Chilenen dafür zu fünft aus.

Spanien ist nach 10 Minuten im Spiel. Und zwar mit Angiffen durchs Zentrum - Flügelspiel existiert (noch) nicht. Dadurch zwingt man Chile zu Kontern mit weiten Passes - nicht die Stärke des kleingewachsenen Teams.

Del Bosque hat sich was überlegt, systemisch - er hat heute ein 4-2-3-1 auf dem Platz. Zunmindest zeitweise. Busquets und Xabi zentral vor der Abwehrl. Iniesta links, Pedro rechts und Silva zentral hinter Costa. Wobei: Pedro hängt recht weit zurück, hat die Toroutlinie noch nicht gesehen. Silva im Zentrum bringt nicht arg viel, er verliert sich da.

In der 20. setzt Vargas eine exzellente Aktion über links über vier Stationen in die Maschen 0:1 - ein vorbildlicher Tempo-Gegenstoß, just in einer Phase wo Chile etwas weniger gut im Spiel war.

Das macht die Roten noch unsicherer und nervöser, sorgt für seltsame Härte uind noch mehr Fehler und Fouls (gelb für Xabi); Wie etwa Iniesta mit seinen Passes in der schnell eng gebundenen Abwehr hängenbleibt, ist schon symptomatisch. Auf der anderen Seite ist Vidal die Verletzungspause anzumerken (auch die Karte 26., fällt da rein), rund läuft's beim Spielmacher echt nicht.

Dafür kann er Standards und Casillas kann einen Vidal-Freistoß nur noch vorne abwehren und Aranguiz staubt ab, 2:0 in der 43. Minute. Alles höchst folgerichtig. Von Minute 1 an.

Die Aufstellungen

Spanien kommt in rot mit
1 Casillas (K); 22 Azpilicueta, 4 Javi Martinez, 15 Sergio Ramos, 18 Jordi Alba; 14 Xabi Alonso, 16 Sergio Busquets, 6 A. Iniesta; 21 David Silva, 19 Diego Costa, 11 Pedro Rodriguez

Strukturell ändert Vicente del Bosque wenig - Iniesta kann links sowohl aus der Etappe kommen als auch ganz vorne spielen. Pedro wird aber mehr Flügeldruck bringen

Chile spielt in weiß mit
1 Claudio Bravo (K); 5 Francisco Silva, 17 Medel, 18 Jara; 21 Marcelo Diaz, 20 Aranguiz; 4 Isla, 8 Vidal, 2 Mena; 7 Alexis Sanchez, 11 Eduardo Vargas

Vidal schlüpft in die Valdivia-Rolle und wird die zentrale Position hinter den Spitzen einnehmen. Die Außen Isla und Mena werden wohl so weit vorne spielen, dass man sie nicht wirklich mehr als Außenverteidiger bezeichnen kann - wir werden also ein 3-2-3-2 von Jorge Sampaoli zu sehen bekommen.

Maracanã, Rio de Janeiro, SR Mark Geiger (US).

Was vor dem Match zu sagen ist

Es gibt zwei große Fragen vor diesem Spiel der Gruppe B. Die eine beschäftigt die ganze Welt, die andere vergleichsweise wenige.

Frage 1: kann Spanien nach der holländischen Demütigung in Runde 1 überhaupt noch zurückkommen? Oder markiert dieses Spiel das Ende einer Ära und bedingt jetzt einen direkten Abgang.

Frage 2: kann Chile seinen Weg zum geplanten Gruppensieg durchziehen? Wäre nicht ein zufriedenes Spanien der bessere Gegner gewesen?

Frage 1 wird sich erst nach dem Anstoß beantworten lassen. Die Aufstellung kann nur ein Fingerzeig sein. Setzt del Bosque weiter auf Casillas, Pique, Ramos, Xavi?

Match 1 bestritt der Weltmeister so: 1 Casillas (K); 22 Azpilicueta, 3 Pique, 15 Sergio Ramos, 18 Jordi Alba; 8 Xavi, 16 Sergio Busquets, 14 Xabi Alonso; 21 David Silva, 19 Diego Costa, 6 A. Iniesta.

Raus sind ersten Meldungen nach Pique und Xavi. Iniesta bleibt, rückt aber ins Mittelfeld zurück, Pedro beginnt weiter vorne, Martinez ersetzt Pique. Die Formation bleibt weiter das 4-3-3, die Ausrichtung ist deutlich offensiver.

Das ist eine halbe Reaktion, kein Erdbeben, nur eine Sicherheits-Maßnahme. Klar, Xavi ist am Limit, erschöpft und braucht diesen Schutz drngend. Auch Pique war mau, aber das waren auch Iniesta, Xabi Alonso und Ramos und vor allem Casillas, die die Partie in den Sand setzten.

Frage 2 wird auch durch die Aufstellung ein wenig angerissen: Chile nimmt einen Gang raus, opfert im Vergleich zu Match 1 (Match 1 wurde so bestritten: 1 Claudio Bravo (K); 4 Isla, 17 Medel, 18 Jara, 2 Mena; 21 Diaz, 20 Aranguiz, 8 Vidal; 7 Alexis Sanchez, 10 Valdivia, 11 Vargas) den hängenden Neuner Valdivia für einen zusätzlichen Abwehrspieler (Silva). Es wird wohl auf ein 3-5-2 rauslaufen. Das zeugt von Respekt.

Und das hat ja eine Geschichte - bei der WM 2010 bot Chile vier erstklassige Leistungen, die strategisch besten des Turniers, verlor aber trotzdem gegen Spanien und flog gegen Brasilien raus. Warum das heuer besser werden soll? Sampaolis Chile ist noch etwas selbstsicherer und kompakter als Bielsas Kamikaze-Risiko-Chile von vor 4 Jahren.

Men to watch: Casillas, Ramos und Iniesta, die Wiedergutmachenmüsser auf der einen, der angeschlagene Vidal auf der anderen Seite; und natürlich Mena, dieser Linksvorstoßer.