Erstellt am: 18. 6. 2014 - 17:20 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 36.
Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.
Tag 6: mit dem ersten Spiel der 2. Runde, Brasilien - Mexiko, dann noch mit Belgien - Algerien und Russland - Südkorea.
Tag 5 hatte Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.
Tag 4 brachte die Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.
Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.
Das war die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.
Vorab-Einschätzungen der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal
Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Abschließende, begründete Worte der Verachtung
Ich hab's mittendrin erwähnt: selbst wenn die Niederlande mit 8:0 gewinnen, sofern der Sieg durch destruktive Mittel, spielerische Indifferenz und eine zynische Spielanlage erzielt wird, ist er mir nichts wert - außer der angesprochenen Verachtung.
Denn ein Nationalteam wie das holländische wird, wenn es sein Vermächtnis (die Erfindung des modernen schönen Spiels) verrät, immer damit konfrontiert werden müssen. Und dieser Rehagelsche Ansatz, den wir schon gegen Spanien, aber schlimmer noch heute mitansehen mussten, der ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der Fußball als Heimathafen der Konstruktivität sieht.
Wenn eine Mannschaft wie Australien die Elftal spielerisch in den Sack steckt, dann ist das nur zum Fremdschämen. Und dabei geht es nicht (ging es nie) um das Faktum der Fünferabwehr (die spielen andere ja auch), sondern um die abwartende, destruktive Grundhaltung. Der beste Beleg dafür ist, dass sich mit der Umstellung in Halbzeit 2 anlagetechnisch ja nix verändert hat.
Kommt mir jetzt nicht mit dem Spruch von der Effektivität. In der K.O.-Phase wird ein Team, dass im Gegensatz zu den braven Australiern auch noch anderes nachsetzen kann, diesem unguten holländischen Ansatz den Garaus machen, und dann ist es vorbei mit dem Versuch sich als Ungustl zum Titelträger hochzumogeln. Und darum scheint es zu gehen: die Niederländer wollen nicht wie bislang immer in Schönheit sterben, sondern einmal was holen. Das wird so aber nicht funktionieren. Es wird wieder, allerspätestens im Finale, wie 2010, Schluss sein. Und es stellt sich die Frage ob man lieber ein gruseliges Image als zynischer Destruktivling (der dann trotzdem verliert) hat oder eines als Schönspieler (der es dann vielleicht eben auch nicht schafft). Welche Seite meine ist, ist klar. Wenn das andere anders sehen, ist es mir auch recht. Jedem seine Moral. Aber jeder, der Destruktivität auf seinem Banner trägt wird sich nicht beschweren dürfen, immer und immer wieder darauf angesprochen zu werden. Und jeder der diesem Banner folgt, mit dazu.
Für die Niederländer wird es so wieder nur (bestenfalls) zum Titel des Turnier-Buhmanns reichen - wie schon 2010 nach ihrem niveaulosen Finalauftritt. Kann das ernsthaft irgendjemandes Ziel sein?
... und erstmals spielen finally jetzt zwei Mannschaften...
Dann vernudelt Oar eine Top-Szene (66.), im Gegenstoß lässt Ryan einen Aufsitzer von Depay durch - 2:3. Danach kommt 10 Ben Cameron für 4 Cahill in der Sturmspitze, oweh.
Die australischen Angriffe werden zusehends mit weniger Personal gefahren - die holländischen Konter werden dafür immer vielbeiniger. Das ist zumindest etwas, ein Ansatz, ein matter Schatten dessen, was diese Mannschaft eigentlich kann. Jetzt, nach der 3:2-Führung wagt sich der offensive Verbund inkl. Außenverteidiger mit echten Angriffswellen mit bis zu sechs Mann nach vorne, erstmals kann man von einem Offensivspiel sprechen, von organisierten Vorstößen. In der Schlussphase findet ein Spiel statt, das die eine Mannschaft über 60 Minuten lang boykottiert hatte. Innerhalb von ein paar Minuten wird jetzt mehr und besser kombiniert als die gesamte Zeit davor.
Nicht erzähl mir jetzt einer, dass das alles strategisch so geplant ist - dazu war Van Gaal die ganze Zeit zu wild und zu nervös an der Linie; dazu war seine Umstellung (die mit Depay, die auf ein 4-2-2-2) zu plötzlich. Diese holländische Mannschaft kann scheinbar nur dann befreit aufkombinieren, wenn sie sich durch davor destruktives Spiel einen entsprechenden Schuld-Komplex angefressen hat.
9 Adam Taggert kommt für 17 Oar (76.), 20 Wijnaldum für 8 De Gutman (78.), beides sind tendenziell offensiv ausgerichtete Wechsel. Trotzdem denke ich, dass es jetzt schon vorbei ist; da geht nichts mehr für down under.
In der 87. ersetzt 17 Lens 23 Van Persie, der Robben zuvor noch zum Kapitän macht. Es wird wohl er sein, und nicht der wenig geschätzte Hunter, der dann gegen Chile ran darf.
Halbzeit 2 und Lichtblicke auf der dunklen Seite der Macht
Anpfiff um 19:03. Depay spielt jetzt eine Art linker Außenbahnspieler, die Fünferabwehr ist Geschichte. Das Oar-Tor (wie das in Bayern klingt, wenn Oar ein Ei ordert und die Bestellung vom Koch wiederholt wird?) zählt wegen Foul nicht. Dann holt sich nach Cahill auch sein Pendant Van Persie seine Matchsperre ab: zweite gelbe Karte. Huntelaar freut sich schon.
Kommt Holland einigermaßen verändert aus der Kabine? In Spiel 1 war's nicht so, warum sollte Van Gaal also jetzt? Es ist ja sein Matchplan, seine Absicht, die dieses Spiel zum Fanal für den holländischen Fußball macht, zum endgültigen Absturz in die Hässlichkeit, zum Überlaufen zur dunklen Seite der Macht.
Das niederländische Spiel inkludiert jetzt Pressing an der Mittellinie, ein vergleichsweise sensationeller Fortschritt. Ansonsten ist es aber egal, wieviele jetzt hinten drinstehen - der Einsatz bleibt schwach.
13 Bozanic kommt in der 51. Minute für 23 Bresciano, früher als im ersten Spiel geht der Alte runter. Postecoglu will dringend etwas erreichen. Und seine Mannschaft geht weiter dorthin wo's wehtut. In der 53. Minute kriegt Australien so einen Handselfer geschenkt - Kapitän Jedinak schießt flach links rein, 2:1. Jeder kriegt was er verdient.
Team Oz will jetzt eine entscheidende Aktion drauflegen - das könnte Holland Konterszenen bereiten. Und aus so einer macht Van Persie (offside? nein) halblinks das 2:2. Respekt dafür.
Am Charakter des Spiels ändert das wenig. Erstaunlich wie unsicher eine derart vielbeinige Abwehr (die noch dazu zwei Abräumer davor haben) agieren kann.
Vielleicht haben das nicht mehr alle am Schirm, aber: diese australische Mannschaft galt im Vorfeld nicht nur als Pariah der Gruppe B, sondern als eines der schwächsten Teams der ganzen WM, eine Truppe im Umbruch/Aufbau, die sich für die nächsten Jahre hier einspielen soll, das Turnier quasi als Baumschule benutzt. Und gegen diese Mannschaft schwimmt die Elftal als wären die Dämme vorm Ijsselmeer gebrochen.
Über Hohn und Verachtung
Nach dem 1:1 ändert sich kaum etwas: Australien kombiniert sich nach vorne, mit einer Variationsbreite (Mitte, Flanke, kurz, lang) die einer Spitzenmannschaft angemessen ist - Van Gaals zynischer Style begnügt sich weiter damit die beiden Spitzen einzusetzen, stupide hinten zu stehen und per quarterbackmäßigem Auswurf zu kontern.
Großteils passiert ja nicht einmal das. Die Holländer kommen seit Minuten nicht mehr ernsthaft in die gegnerische Hälfte. Das ist einfach nur mehr lächerlich. Auch wenn sie später noch zwei Kontertore setzen und das Match wieder gewinnen - diesem Spiel kann nur mit Hohn und Verachtung entgegengewirkt werden.
Klar, was man liebt, kritisiert man dann umso härter. Und ich liebe den holländischen Fußball, seit der mich so ab 1972/73 überhaupt dafür interessiert hat, für den weltumspannenden Sport, das schönste aller Spiele. Wenn die, zu denen man immer aufblickt, sich dann dergestalt am schönen Spiel vergreifen, muss die Reaktion entsprechend emotional sein. Voller Verachtung für die Verunstalter.
Knapp vor Halbzeit holt sich Tim Cahill seine Matchsperre fürs letzte Match ab - aber das ist eben Teil seiner Spielweise, er kann nicht anders. Sein Opfer ist wieder Bruno Martins Indi, der in Halbzeit 2 wohl nicht mehr kommen wird. Van Gaal bringt schon in der Nachspielzeit 21 Depay.
Ein Halbzeit-Fazit spar ich mir.
Armselige, destruktive, erbärmliche, zynische Niederlande
Wie sieht das heute hier also aus?
Australien steht tief, klar, man will den Gegner reinlocken und kontern, dann schnell vor, ein Cross auf den Center - hoppala, das klingt ja wie der holländische Einser-Schmäh! Die beiden Teams verfügen über eine durchaus ähnliche Spielanlage.
Nach vier, fünf Minuten sind es eher die Australier, die Ballbesitzrechte beanspruchen, aber nicht durch Risiko-Ideen überstrapazieren. Team Holland tut wieder eher nichts, will sich wohl am liebsten auch gegen Australien hinten reinstellen; mit dem Rückpaß als neuem guten Freund. Ist Van Gaal doch Otto Rehhagel in guter Verkleidung?
Gehn wir davon aus, dass es nicht so ist: Fakt bleibt, dass die Oranje tatsächlich auch im Spiel gegen Australien destruktiv hinten drinsteht und den Konter sucht, also wieder nur über das eine spielerische Mittel verfügt, sofern man das spielerisch nennen kann. Das ist - egal wie effektiv es sich gestalten wird - an Armseligkeit nicht zu überbieten.
Dass die Bälle von hinten aus der Abwehr weit nach vorne getreten werden, also das Mittelfeld deutlich überfliegen, hat damit zu tun, dass dort ja keine Fußballer, sondern Nigel de Jong und Jonathan de Guzman aufgestellt sind. Und ich sehe schon wie sich bei Johan Cruyff und den anderen Säulenheiligen, den Erfindern des modernen, attraktiven Fußballs schon wieder die berechtigte Zornesröte in die Gesichter steigen.
Im Wesentlichen ist das die Fortsetzung des destruktiver werdenden Fußballs unter Van Marwijk, nur mit noch deutlicheren Mitteln, jetzt quasi absichtlich, mit Vorsatz. Vorsätzlich destruktiv spielen, zynischer Fußball, wäh!
In der 20. Minuten entwischt Robben Wilkinson und schließt einen Solo-Konter mit dem 0:1 ab. Nichtsdestrotrotz gilt alles Gesagte weiterhin. Auch wenn die Niederländer jetzt mit 8:0 in Führung gehen - diese Drecksspielanlage gehört angeprangert und mit allen Mitteln bekämpft. Wer Destruktivität bewusst als strategisches Mittel einsetzt, darf im Gegenzug nicht auch noch mit einer Gutheißung rechnen, sondern muss damit rechnen sich permanentem Widerstand gegenüberzusehen.
Postwendend gibt's aber eh den Ausgleich - Cahill macht das 1:1, holländisch, er nimmt einen weiter Cross von (wieder) rechts volley und setzt den Ball unhaltbar unter die Latte.
Die Aufstellungen
Australien in gelb-grün mit
1 Ryan; 19 McGowan, 22 Wilkinson, 6 Spiranovic, 3 Davidson; 15 Jedinak (K), 17 McKay; 23 Bresciano; 11 Oar, 4 Cahill, 7 Leckie
McGowan ersetzt Franjic rechts hinten, wie schon in Spiel 1 nach dessen Out. Und nicht James Holland ist der Back-Up für Milligan, sondern Matt McKay von Brisbane Roar aus der A-League. System bleibt das 4-2-1-3 mit Oldie Bresciano in der Pendlerrolle zwischen den Fronten. Gelbbelastet: Jedinak und Cahill.
Die Niederlande wieder in blau mit
1 Cillessen; 7 Janmaat, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 4 Martins Indi, 5 Daley Blind; 8 De Guzman, 6 Nigel de Jong; 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K)
Van Gaal und seiner Assistenten Kluivert und Papa Danny Blind sahen also keinen Grund etwas am 5-2-3 zu ändern, wie die Nummern zeigen, sind das einfach die ersten Elf. Gelbbelastet: De Vrij, De Guzman und Van Persie.
Ort des Geschehens: Estádio Beira-Rio, Porto Alegre. Spielleiter: Djamel Haimoudi, Algerien. Wetter: angenehm.
Was vor dem Match zu sagen ist
Nochmal: ich bin ungern derselben Ansicht wie die zahlreichen Poser-Blender-Scheinexperten dieses Landes, aber die Meinung des Volksmusikers und populistischen Analytikers Frenk Schinkels zur aktuellen Elftal seines Heimatlandes muss ich teilen: die wird nach dem 5:1 gnadenlos überschätzt, weil das Resultat die Leistung überlagert.
Und die war trotz des berauschenden Sieges nicht gut. Die Mannschaft der Niederlande hat nicht viel gezeigt hat, schon gar nicht Variationsbreite.
Der immer selbe Spielzug für die Tore, dann half das spanische Auseinanderbröseln nach um die Fikton erzeugen zu helfen, dass man da einer grandiosen Leistung beigewohnt hatte.
Hatte man nicht.
Es war die Schwäche Spaniens und der lucky punch bei Holland. Wäre der Weltmeister mit dem möglichen 2:0 in die Pause gegangen, Oranje hätte das Spiel knicken können.
Australien wird im zweiten Match jetzt den Teufel tun, und sich wie Spanien in Angriffsversuch um Angriffsversuch zu entäußern, sondern abwartend drinnenstehen.
Jetzt muss Louis Van Gaal zeigen ob er wirklich der General ist, als der er sich titulieren lässt, einer, der aus einer vergleichsweise minder talentierten Truppe eine variabel einsetzbare Mannschaft formen kann.
Noch dazu wenn er mit die Formation von Match 1 auf den Platz schickt - 1 Cillessen; 7 Janmaat, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 4 Martins Indi, 5 Daley Blind; 6 Nigel De Jong, 8 De Guzman; 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K) - wovon auszugehen ist.
Und genau das ist der Haken an der Sache: die neue Elftal im neuen System beherrscht bislang genau einen Schmäh. Der war gegen Spanien, aus der defensiven Konterposition heraus geeignet. Für heute hilft das gar nix. Wenn da in den letzten Tagen nicht viel passiert ist, wenn dieses wieder selbe System nicht einen Plan B gelernt hat, kann das auch gegen den krassen Außenseiter der Gruppe B zu erheblichen Problemen führen.
Und das obwohl Australien durch Ausfälle geschwächt ist. Das war die Formation gegen Chile - 1 Ryan; 2 Franjic, 6 Spiranovic, 22 Wilkinson, 3 Davidson; 15 Jedinak (K), 5 Milligan; 23 Bresciano; 11 Oar, 4 Cahill, 7 Leckie - als man sich heldenhaft wehrte.
Da fehlen wegen Verletzung Rechtsverteidiger Franjic, der ist gleich ein Turnierausfall, bitter, sowie Mittelfeldspieler Milligan.
Ange Postecoglu lässt System und Team sonst gleich - aber er hat ja auch nicht vot viel anders als gegen Chile aufzutreten. Für Australien ist jeder WM-Matchplan ähnlich - gegen den großen Favoriten bestehen; zuerst einmal schauen, dagegenhalten, eine Schwäche suchen und mit einem Törchen Unsicherheit zu schaffen.
Das gelang ja sogar durch das 1:2-Anschlusstor des Samoaners Tim Cahill, übrigens nach einer Franjic-Flanke. Und ebenso wie das 5:1 die Holländer in einem zu guten Licht erscheinen lässt, ist das australische 1:3 gegen Chile deutlich enger gewesen, als es das Resultat besagt.
Fazit: nicht dass ich wirklich daran glauben kann, dass sich Favorit Holland gegen Australien blamiert - die Ausgangslage ist für sowas verdammt prädestiniert.
Player to watch: Daley Blind - kann er die Vorstellung der 1. Runde wiederholen? Und auf der anderen Seite Tim Cahill, dem zuzuschauen lohnt sich immer.