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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

18. 6. 2014 - 14:55

Heavy Metal, Alter!

Ich war als Security am Nova Rock Festival.

In Nickelsdorf verlief vor 25 Jahren der eiserne Vorhang. Die Grenze wurde von Soldaten mit Maschinengewehren bewacht. Jetzt versehen hier Zombies, Vampire und Werwölfe Dienst. Das ist keine Metapher. Wir befinden uns am Nova Rock. Genau genommen an der Grenze Österreichs zu Ungarn und der Slowakei. Ein paar 16- oder 17-jährige Jungs stehen mit nackten Oberkörpern vor mir. Jede freie Stelle ihres Körpers ist tätowiert. Trotz meiner reichen Kenntnisse in Sachen Dämonologie kann ich nicht alle Kreaturen auf den Tattoos identifizieren. Das sind keine Tattoos, das sind ganze Fresken! Man muss dem Heavy Metal wirklich sehr ergeben sein, um diesen Schmerz zu ertragen.

Todor und ein Festivalbesucher

ORF Radio FM4

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FM4 war heuer ganz ausführlich am Nova Rock!

Wie lange hat es wohl gedauert um diese Vollkommenheit zu erreichen? Ein, zwei, drei Jahre? Einst zeichnete Michelangelo das Jüngste Gericht in der Sixtinische Kapelle in vier Jahren. Sein unglaubliches Vorstellungsvermögen verhilft ihm dazu, jeden der Märtyrer mit dem Gerät, das ihm den Tod gebracht hat, zu zeichnen. Die Heilige Katharina trägt ein Radteil, weil sie auf einem Rad gekreuzigt wurde. Laurentius von Rom trägt den Rost, auf dem er bei lebendigem Leibe gegrillt wurde. Der Heilige Sebastian läuft mit Pfeilen herum, da er von Pfeilen durchbohrt wurde, Bartholomäus trägt seine Haut, weil er gehäutet wurde. Michelangelos Fresken allerdings verblassen neben den Rücken dieser Burschen. Außerdem sind sie freiwillig von Pfeilen durchbohrt worden, ihre Piercings sind überall. Um noch mehr zu Märtyrern zu werden, versuchen sie sich mit allen möglichen Mitteln zu vergiften. Am liebsten mit Bier natürlich.

"Heeeyyyy Alter, Heavy Metal Alter, Partyyyyy Alter!"... einer der Jugendlichen umarmt mich. Seit zwei Tagen schon. Ich bin Security beim Nova Rock. In der Luft schwebt eine alles durchdringende Staubwolke.

Ein Wikingerkrieger wackelt mit einem riesigen Plastikhammer über die Bühne und beschwört seine Nachfolger, in die Schlacht zu ziehen. Über dem Publikum bildet sich ein Staubtornado. Der Staub saugt die Menschen ein. Sie sind wie in Trance. Wahrscheinlich denken sie gerade an die Jungfrauen und die Metflüsse in Walhalla. Was bedeutet da schon ein bisschen Staub?

"Du bist so ein verklemmtes Arschloch, Alter!", meint mein neuer Freund, als ich seiner Euphorie nur mit einem müden Lächeln begegnen kann. Eine Riesenparty, klar. Aber ich stehe schon zwölf Stunden lang da und die Schätze Walhallas interessieren mich überhaupt nicht. Ich muss nur aufpassen, das sich dieser Metalfan nicht das Genick bricht und selbst zum Märtyrer wird. Wenn möglich schütze ich ihn auch vor einer Alkoholvergiftung.

Und jetzt sagt er zu mir ich sei ein "verklemmtes Arschloch". Als ich zu "Prodigy" abgetanzt habe, war er noch nicht mal geboren. Heavy Metal forever. Einige der Bands, die am Nova Rock spielen, stammen aus jener Zeit, in der ich ein euphorischer Teenager war. Und andere aus der Zeit als mein Vater euphorischer Teenager war. Und mein Vater ist so alt wie Methusalem.

Regen

https://www.flickr.com/photos/pagedooley/

So sah es vermutlich über dem Nova Rock aus(CC by 2.0)

Als ich an diese biblische Persönlichkeit denke, erinnere ich mich an etwas anderes aus dem Alten Testament. Die Sintflut. Und ich meine damit nicht unaufhörliche Regenschauer. Ich muss das Nova Rock-Publikum vom Urinieren abhalten. Laura aus Voralberg ist wirklich an der Grenze ihrer Blasenkapazität angelangt. Ich kann sie aber nicht durchlassen, sonst kommen alle und pissen überall auf dem Festivalgelände. Eine Sintflut droht! Ich sehe sie in der Ferne mit heruntergezogenen Hosen. Sie kippt um und lehnt sich am Zaun der Gelände. Soll ich sie retten? Ich kann nichts machen außer wegzuschauen.

Der Nachtwind hebt die Zelte, als ob sie atmen. Die Zombies, Werwölfe und Monster schlafen. Sie träumen ihre Kinderträume.