Erstellt am: 17. 6. 2014 - 23:25 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 34.
Das ist das WM-Journal '14 die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.
Die Gesamtübersicht. Gestern war Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.
Vorgestern gab's Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.
Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.
Hier die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.
Einschätzung der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal
Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Emotionsloses Fazit
Dass mich die russische Mannschaft enttäuschen würde war seit dem Match gegen die Slowakei in St.Petersburg klar - deshalb musste ich sie wohl auch im Vorfeld noch kränker machen als sie vielleicht wirklich sind: um mich abzugrenzen, die matte Performance erträglich zu machen.
Hat nur solala funktioniert.
Das russische Team ist objektiv keine Offenbarung, aber im Match dann doch nicht so komplett out of space wie es auch möglich gewesen wäre.
Die einzige Emotion gibt es für Akinfeev: dem wünsche ich, dass er sich aus diesem üblen Tief noch während der WM erholt.
Südkorea blieb unter den dann zumindest im Vergleich ein wenig angehobenen Erwartungen. Ein wenig. Was sich dann wieder ausgleicht.
Insofern passt der Titel diesmal sowohl vor als auch nach dem Match.
PS: Russland ist ja der einzige EM-Quali-Gegner Österreichs, der auch WM spielt. Teamchef Koller ist vorort und zwar ziemlich unpräpariert, aber egal: die Erkenntnisse sind offensichtlich. Die Zentrale lässt sich durch scharf anlaufende Offensive überwinden (ein Job für Alaba, Harnik, Weimann, Junuzovic etc.), die Außenverteidiger sind anfällig, die offensive Zentrale lässt sich durch scharfes Pressing leicht beeindrucken. Schwer wird es für die ÖFB-Abwehr gegen die Spitze(n). Chancenlos ist man nicht, im Gegenteil.
Halbzeit 2 und zwei ernudelte Treffer machen's besser
Neustart um 1:01... und es geht gleich los mit einem Faizulin-Chip-Versuch und einem Berezutski-Kopfball. Dann einige koreanische Versuche und die erste Karte für einen Russen, für Shatov. Und ein guter Koo-Schuss und ein Ki-Schuss... Da war jetzt in 5 Minuten mehr los als in der ganzen 1. Halbzeit.
Strategisch hat sich ein bissl was geändert: Korea erlaubt es jetzt auch den Außenverteidigern (Yun!) mitzugehen - das erhöht die Schlagkraft und überrascht die russischen Gegner.
Die russische Offensive agiert in Halbzeit 2 noch vorsichtiger, Shatov hängt erstaunlich weit zurück. Und auch Akinfeev im Tor zeigt zudem unerwartete Schwächen.
Wechsel in der 56.: 11 Keun-Ho Lee für 10 Chu-Young Park, ein Stürmertausch. Und in der 60.: 10 Dzagoev kommt für 17 Shatov und soll es besser machen im Zentrum.
Nach diesem Wechsel kommen vermehrt Flanken in die Gefahrenzone, Zusammenhang besteht keiner, es ist nur so - wie in Halbzeit 1 - dass Korea wieder einmal zurückschaltet und Russland übernimmt.
Aber: der nächste Konter, den 11 Keun-Ho Lee dann in der 67. Minute lostritt, wird dann ein Casillas-Moment für Akinfeev, den sonst so erstklassigen Schlussmann - er lässt Lees Schuss durch die Hände ins Tor rutschen - 0:1; und das hat sich bei seinen Fehlern zuvor angekündigt. Bitter für den Goalie, aber irgendwie okay für den Spielverlauf.
In der 70. reagiert Capello, bringt 11 Kershakov für 18 Zhirkov und eine Minute später kommt 7 Denisov für 8 Glushakov. Zweiteres ist ein konservativer Positionswechsel, ersteres aber das Risiko einer zweiten Spitze, für die der linke Flügel geopfert wird.
Zudem muss 6 Seok-Ho Hwang (72.) den angeschlagenen 20 Jeong-Ho Hong ersetzen.
Russland spielt seit den Wechseln mit einem 4-1-3-2. Denisov als Sechser, davor die Dreierreihe Samedov, Dzagoev und Faizulin und davor die Doppelspitze Kokorin-Kershakov.
Das 1:1 dann in der 73. durch Kershakov nach einer flippermäßigen Aktion durch eine wacklige Abwehr samt Goalie: ausgleichende Fehlerhaftigkeit; vielleicht war's sogar offside. Und der Ausgleich entfacht eine kurze hochhektische Spielphase.
Letzter Wechsel: 7 Bo-Kyung Kim (Cardiff) für 9 Son (83.) - und danach sieht es wieder so aus, als wären alle zufrieden mit dem Erreichten. Gelb für den koreanischen Kapitän in der 90.
Die Halbzeit, die keiner wollte
Als bester Individualist am Platz etabliert sich sofort Son, der Leverkusen-Spieler, der alle anderen zu langsamen, technikarmen Laschis degradiert. Er ist es auch, der die ersten guten Tempogegenstöße aufbereitet.
Korea zeigt sein 4-2-4 fast in jeder Situation her, nur bei Ballverlusten vornedrin gehen immer zwei mit zurück und pressen eindrucksvoll. Auch Son, der sich dann auch schon einmal gelb einfängt für ein taktisches Foul.
Shatov spielt doch rechts vorne, das war ja noch eine offene Frage; Samedov ist der rechte Teil des Dreier-Mittelfelds mit Glushakov im Zentrum und Faizulin halblinks. Obwohl: jetzt wieder ist Samedov rechts und Shatov eher im Zentrum. So, nach ein paar Minuten hat man sich auf ein 4-2-3-1 eingependelt, wobei Glushakov, der rechte Sechser so weit im Zentrum steht, weil Samedov rechts so weit zurückhängt und keinesfalls wie Zhirkov links einen echten Flügel gibt. Shatov doch, wie instinktiv vermutet im Zentrum hinter Kokorin.
Die Spieleröffnung obliegt Ignashevich, der dann flache Passes in die Channels schlägt, von Glushakov und Faizulin kommen (wie zuletzt ja auch) kaum Impulse.
Noch eine Karte für 16 Ki, den Taktgeber im Zentrum, wieder nach einem Foul (31.) an Samedov. Daraus resultiert ein böser Ignashevich-Freistoßball. Mehr lässt dieses mittlerweile zur reinen Andeutung abgedriftete Match nicht zu. Erst gegen Ende raffen sich die Koreaner wieder auf den Gegner auch mit Offensive zu belästigen. Und jetzt ist auch Son wieder aktiver.
Sagen wir einfach: reboot! Neustart um 1.00
Die Aufstellungen
Russland in rot mit
1 Akinfeev; 22 Eshchenko, 14 Vasili Berezutski (K), 4 Ignashevich, 23 Kombarov; 8 Glushakov, 20 Faizulin; 19 Samedov, 17 Shatov, 18 Zhirkov; 9 Kokorin
Fabio Capello tut das einzig richtige: er entfernt Bremser Denisov aus der 1. Mannschaft. Kokorin statt Kershakov geht okay, Dzagoev ist auch zurecht draußen. Ob Shatov rechts oder zentral spielt? Ich vermute zentral.
Südkorea in weiß mit
1 Sung-Ryong Jung; 12 Yong Lee, 20 Jeong-Ho Hong, 5 Young-Gwon Kim, 3 Suk-Young Yun; 14 Kook-Young Han, 16 Sung-Yueng Ki; 17 Chung-Yong Lee, 13 Ja-Cheol Koo (K), 10 Chu-Young Park, 9 Hieung-Min Son
Das ist die absolute Einserpanier von Myung-Bo Hong. 20 Hong (Augsburg), 3 Yoon (QPR), 16 Ki (Sunderland), 17 Lee (Bolton), 13 Koo (Mainz), 10 Park (Watford/Arsenal) und 9 Son (Leverkusen) sind die aus den großen Ligen bekannten Stars. 22 Park (Mainz), 11 Lee (Bolton) und 19 Ji (Augsburg) warten noch auf der Bank.
Das Spiel steigt in der Arena Pantanal in Cuiaba, dem einzigen Spielort, der mir vor dieser WM gar nichts gesagt hat. Schiri ist Néstor Pitana (Argentinien).
Was vor dem Match zu sagen ist
Es gab im Vorfeld dieser WM drei Teams, die ich gesehen und von denen ich deshalb genau gar nichts erwartet habe. Uruguay hat diese Erwartungen erfüllt und schwer enttäuscht. Die USA haben meine Eindrücke überpowert und sich gesteigert. Das dritte Team, dem ich die (etwas überraschende) vorzeitige Abreise vorausgesagt habe, greift jetzt ein:
Russland.
Das hat mit der verqueren Ausgangsposition zu tun. Russland befindet sich im Umbruch: förderungstechnisch ist bereits alles auf die WM 2018 ausgerichtet. Brasilien gilt als Durchgangs-Station. Dazu kommt mit Fabio Capello ein strukturkonservativer Coach, eine heimische Liga, die oligarchische Geschlossenheit vermittelt (weshalb auch so gern daheim gespielt wird und sich kaum einer den Gang ins Ausland antut) und eine Fußball-Öffentlichkeit die sich mäßig interessiert oder gar euphorisch gibt.
All das erzählt dem aktuellen Team: es ist wurscht, wie ihr abschneidet. Das wiederum löst einen recht tief sitzenden Schleifenlasser-Reflex (der sich noch aus sowjetischen Zeiten rübergerettet hat) aus, der bei wenig Aussichten nicht arg viel zur Überwindung unternimmt.
Und genau so, mit Verlaub, spielt die Mannschaft dann auch. Das 4-3-3 sieht auf dem Papier zwar offensiv aus, kann aber dann oft weniger als das Griechenlands. Vor allem die Mittelfeld-Motoren sind eher als Bremser tätig. Denisov und Faizulin sind zu Querspielern geworden. Der Ausfall von Shirokov, dem dritten im Bunde, ist so gesehen ein Glücksfall.
Dazu kommt, dass sich der einzige Hoffungsschimmer von 2012, Alan Dzagoev zu einem durchschnittlichen Wannabe-Spielmacher zurückentwickelt hat. Außerdem ist die Innenverteidigung altbackener als drei Tage vergessenes Brot und spielt auch so. Dass Vasili, der verbliebene der Berezutski-Brüder, ein Verteidiger wie Robert Pecl mittlerweile Kapitän wurde, ist symbolhaft.
Wäre da nicht Tormann Akinfeev und die Sturmspitzen Kershakov oder Kokorin, es gäbe nichts Interessantes zu erzählen. Auch Shatov von Zenit soll seine Momente haben.
Mir hat all das den Glauben an eine lässige russische Mannschaft, wie es die von 2008 war, genommen.
Südkorea ist eines der Teams das man, in full effect, auch nur alle vier Jahre sieht, daraus einen Eindruck schöpft und den dann für die nächste WM aus dem Talon zieht. Und da das letztens nicht so schlecht war (2010 gabs das Achtelfinale als Belohnung für eine gute Vorrunde), gibt's auch diesmal die "Womöglich"-Einschätzung.
Zudem ist Coach Myung-Bo Hong einer der Halbfinal-Helden von 2002, quasi der Beckenbauer seines Landes. Nein, diese Beispiele sollte man jetzt lassen, wo Korruptionsvorwürfe, seine zynischen Katar-Sklavensprüche und das Laberkasper-Image die sportlichen Leistungen des Ex-Kaisers, der das lebende Beispiel von Nicht-in-Würde-Altern abgibt, weit in den Hintergrund gedrängt haben.
Hong setzt jedenfalls auf eine offensive Version eines 4-4-2, eine Art 4-2-4, wobei die vorderen vier da ordentlich fluktuieren. Das ist schon einmal die halbe Miete. Und natürlich sind strategische Stärken und auch ein gutes Pressing angesichts der Schwächen (Physis!) wichtig. Vor allem im Auftaktspiel könnte sich der koreanische Spieleifer als Joker erweisen - wenn es gelingt Russland schnell auf dem falschen Fuß zu erwischen und so gleich den Nipf zu nehmen.
Von Südkorea mag ich also nichts erwarten, um mir alles offenzuhalten.
Players to watch: 5 Kim, 16 Ki und 13 Koo. Bzw Akinfeev und Shatov. Vielleicht Rechtsverteidiger Eshchenko.