Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Indischer Kitsch vor heimischer Postkartenidylle"

Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

17. 6. 2014 - 16:54

Indischer Kitsch vor heimischer Postkartenidylle

Ein paar Gedanken zu Geschlechterrollen in Bollywood aus Anlass der Austro-Bollywood-Romanze "Servus Ishq"

Nein, ein Genre namens „Austro-Bollywood“ existiert nicht. Es hat nur einen einzigen Vertreter: den in Wien lebenden Inder Sandeep Kumar, der für Drehbuch, Regie, Produktion von „Servus Ishq“ verantwortlich zeichnet und die männliche Hauptrolle spielt. Sollten weitere dazukommen, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Doch da sich die Gefahr in Grenzen hält, darf man dem umwerfenden Ergebnis dieser Außenperspektive auf unser Land Respekt zollen. Ein Land, in dem glasklare Bächlein fließen, sich schneebedeckte Bergspitzen hinter saftig grünen Wiesen erheben, die Sonne lacht - Schmäh ohne, hier leben wir.

eine Frau und ein Mann vor einem Berg

Sandeep Kumar Films / Aichholzer Filmproduktion

Durch dieses Paradies führt der indische Migrant Jay (Sandeep Kumar) die aus Dehli angereiste Maya (Victoria Nogeira). Sie fliegt nach Wien, um die Asche ihrer österreichischen Großmutter in Mariazell beizusetzen. Doch da der Koffer mitsamt Urne von der Fluglinie verschlampt wurde, nutzt man die Wartezeit für einen Abstecher nach Tirol.

In Tirol bemüht sich die Tirolwerbung mit ihrer Initiative Cine Tirol seit 1998 darum, internationale Filmproduktionen ins Land zu holen, um seine wahrhaft idyllischen Locations auf die Kinoleinwände der Welt zu bringen. Mit Erfolg, bisher konnten rund 300 Filmprojekte, darunter 80 Filmproduktionen aus Indien, unter anderem in Tirol realisiert werden. Der Effekt ist, unter anderem, dass indische Reisegruppen jenen Teil Tirols, der in den Filmen als Paradies in Szene gesetzt ist, besuchen.

Eine Frau im Dirndl und eine junge Frau vor einem Bauernhaus

Sandeep Kumar Films / Aichholzer Filmproduktion

„Gäbe es den Himmel auf Erden, er wäre sicher hier,“ sagt Jay zu Maya und verliebt sich in sie. Die Tatsache, dass die beiden, abgesehen von der im Dirndl aus einem urtümlichen Bauernhof (derselbe, der dem Bergdoktor in den 1990er Jahren als Kulisse diente!) wallenden Tante Gisela, nur österreichische Unsympathler treffen (etwa zwei bewaffnete Rowdies, die die Urne der Großmutter fladern und damit in den Wald rennen), schweißt sie nur noch stärker zusammen. „Servus Ishq“ ist eine Variation auf das notorische Bollywood-Thema „finde deine Liebe, verteidige sie gegenüber allen Übels (z.B. österreichische Rowdies) und heirate sie“.

Mir will partout kein gangbarer Weg einfallen, den der österreichische Spielfilm, der sich darum bemüht, die dunkelsten Wolken des Himmels und tiefsten Abgründe der Volksseele ins Bild zu rücken, und Bollywood, das Traumwelten und Paradiese erschafft, gemeinsam beschreiten könnten. „Austro-Bollywood“ muss eine Randerscheinung bleiben, außer Bollywood macht sich frei von reaktionären Beziehungsmustern und eindimensionalen Geschlechterrollen.

Dreidimensionale Frauenfiguren

Tatsächlich war das indische Kino in seinem Menschenbild schon einmal offener. In den 1960er Jahren hat sich abseits der marktdominierenden Traumbildproduktion ein paralleles Kino etabliert, das Frauenfiguren gezeichnet hat, die sich durch mehr als Schönheit ausgezeichnet haben.
Der Racheengel eines Mädchens, das sich nach einer Vergewaltigung umgebracht hat, ereilt den Vergewaltiger in „Bees Saal Baad“ (der Boxoffice Hit im Jahr 1962).

Gesicht einer Frau, die durch einen Fernstecher schaut

Satyajit Ray

In „Bandini“ (1963) steht der Seelen- und Geisteszustand einer wegen Mordes lebenslang zur Haft Verurteilten im Zentrum. Das Klischeebild der indischen Frau, die in ihrer gesellschaftlichen Position schwach ist und daher innerlich umso stärker sein muss, wird komplex auseinander genommen. Ähnlich in „Charulata“ (1964) des verstorbenen Meisters Satyajit Ray, der die Geschichte einer einsamen Hausfrau in Kalkutta erzählt, die sich intellektuell und sexuell mit dem Cousin ihres Mannes auseinandersetzt.

Gay-themed bollywood

1996 hat Regisseurin Deepa Mehta in „Fire“ eine homosexuelle Liebe zwischen zwei Frauen erzählt. Die Beiden verlassen ihre gewaltbereiten, unzärtlichen, untreuen Männer und finden gemeinsam all das, was sie zuvor vermisst haben. Die in Kanada lebende Regisseurin hat Morddrohungen erhalten, Kinos, in denen der Film gelaufen ist, wurden attackiert, der Film in der Millionenmetropole Mumbai auf Druck der nationalistischen Partei Shiv Sena, die einen starken Einfluss auf Bollywood hat, gänzlich verboten.
Beim diesjährigen Filmfestival in Cannes hat Model und Schauspielerin Sonam Kapoor mit der Aussage aufhorchen lassen, Bollywood solle endlich homosexuelle Beziehungen thematisieren.
Es gab in den letzten Jahren einige wenige (Kurz)Filme, die sich mit (vor allem männlicher) Homosexualität auseinandergesetzt haben, etwa in einem Teil des Episodenfilms „Bombay Talkies“. Aber große Bollywood-Produktionen bleiben dem erfolgreich etablierten Beuteschema „Frau schön – Mann stark“ in einer Maßlosigkeit treu, als ob´s kein Leben abseits der Leinwand gäbe. Man könnte sich darüber amüsieren, wäre nicht der Film – und der massentaugliche ganz besonders – ein Identifikationsfeld des Publikums.

Hauptgewinn: eine Frau

In „Chennai Express“, dem zweiterfolgreichsten Bollywood-Film von 2013, spielt Megastar Shah Rukh Khan, auch bekannt als „King of Bollywood“ einen 40-Jährigen, der die Asche seines Großvaters in einem weit entfernten Gewässer ausstreuen soll. Doch da er einer jungen, hübschen Frau am Bahnsteig begegnet, gerät er sofort in den falschen Zug und rettet die Frau durch ein wenig Klugheit und viel Gewalt vor einer Zwangsehe.
Die Frau ist der Preis, den man bekommt, wenn man einen Kampf gewinnt.

Ein Mann und eine Frau im Sari in Blumenkörben

UTV Motion Pictures

Aber es gibt auch Bollywood-Filme, die nicht mit einer Hochzeit enden. „Queen“, einer der erfolgreichsten Filme dieses Jahres, beginnt mit einer geplatzten Hochzeit. Die Frau tritt daraufhin die Hochzeitsreise alleine an. Sie reist nach Paris und Amsterdam und lernt eine Welt kennen, in der Frauen rauchen und trinken, selbst denken und entscheiden können.

Ein europäischer Mann und eine indische Frau (Kangana Ranaut)

Viacom 18 Motion Picture

Kangana Ranaut spielt die Titelrolle in „Queen“. Vor zwei Jahren hat sie im wöchentlichen Filmmagazin „The front row“ daran gezweifelt, dass eine wirklich gute Schauspielerin in Bollywood dauerhaft Karriere machen kann. Man erwarte von ihr nichts mehr, als für vier, fünf Jahre eine Barbiepuppe zu sein. Und wenn die Schauspielerin es wagt, eine Idee zu formulieren, wird sie wie ein Verbrecher behandelt, sagte Kangana Ranaut.
Als die Schauspielerin diese Jahres anlässlich des Frauentages am 8. März wieder in "The front row" zu Gast war, sagte sie mit einem Augenzwinkern, die Lage habe sich etwas gebessert: mittlerweile gäbe es im Jahr zumindest 10 bis 15 Filme mit interessanten Frauenfiguren.

Zwei Frauen, die miteinander nicht über Männer reden

Von den zehn erfolgreichsten Bollywood-Filmen der letzten 5 Jahre gab es laut der indischen Filmkritikerin, Autorin und „The front row“
-Frontwoman Anupama Chopra drei Stück, die den Bechdel-Test bestanden haben (Spielfilm, in dem zwei Frauen vorkommen, die miteinander über etwas anderes als Männer reden). Wobei in zweien dieser Filme der Dialog zwischen den Frauen nicht mehr als 20 Sekunden dauert. Bleibt also ein einziger Blockbuster-Bollywood-Hit der letzten zehn Jahre, in dem Frauen tatsächlich miteinander reden: „Yeh Jawaani Hai Deewani“, ein romantische Komödie über die Frage, ob Arbeiten, Heiraten, Kinderkriegen und Sterben tatsächlich das einzige Lebensmodell ist.

P.S. „Servus Ishq“ besteht den Bechdel-Test nur wegen der Unzulänglichkeit von Fluglinien, Koffer zuzustellen. Die Hauptdarstellerin muss mit anderen Frauen über den Verbleib ihres Koffers sprechen.