Erstellt am: 17. 6. 2014 - 14:35 Uhr
Wasserversorgung doch in TTIP-Verhandlungsmasse
Ein Jahr nach dem Start der Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP haben sich die Befürchtungen der Kritiker bestätigt. Ein am Freitag vom europäischen Dachverband der Gewerkschaften veröffentlichtes "Leak" zeigt, dass die Wasserversorgung sehr wohl Gegenstand in den aktuellen Verhandlungsrunden ist.
"Öffentliche Dienstleistungen auf nationaler oder lokaler Ebene" könnten sowohl von einem "öffentlichen Monopol" als auch "exklusiv von einem privaten Dienstleister erbracht werden", heißt es dazu wörtlich im europäischen Positionspapier. Die mögliche Privatisierung der Wasserversorgung gehört neben der in Europa in erster Linie nationalstaatlich organisierten Gesundsheitsvorsorge zu den primären Befürchtungen der Kritiker des Abkommens. In Großbritannien ist die Regierung David Camerons gerade dabei, das 1948 eingeführte nationale Gesundheitssystem zu privatisieren, stößt dabei allerdings auf heftigen Widerstand in der Öffentlichkeit.
CC BY 2.0 - Umberto Rotundo - flickr.com/turyddu
Finanzdienstleistungen fehlen
Die von den Europäern nachdrücklich geforderte Einbeziehung von Finanzdienstleistungen in das Abkommen wird von den USA hingegen auch weiterhin strikt abgelehnt. Vor einem Monat hatten sich die sonst stets um ein harmonisches Erscheinungsbild bemühten Verhandler EU-Kommissar Karel de Gucht und Anthony Gardner, der US-Botschafter bei der EU, dazu eine öffentliche Auseinandersetzung geliefert.
Dass die längst nicht ausgestanden ist, zeigt das nunmehr geleakte europäische Positionspapier, das explizit auch Finanzdienstleistungen anführt. Das dreiteilige Dokument ist nämlich absolut aktuell, für die europäische Seite ist es die Grundlage für die nächste Verhandlungsrunde im Juli.
Der Start der TTIP-Verhandlungen Anfang Juli 2013 war vom gerade losgebrochenen NSA-Skandal überschatte. Sie konnten überhaupt nur deshalb starten, weil die USA zugesagt hatten, die EU-Delegationen diesmal nicht auszuspionieren.
Agrochemie und Landwirtschaft
Beim Treffen der EU-Landwirtschaftsminister am Montag in Brüssel wurde ebenfalls eingeräumt, dass noch längere Verhandlungen bevorstünden. Hier spießt es sich vor allem bei Hormonfleisch und genetisch veränderten Lebensmitteln, die seitens der USA weiterhin als unbedenklich angesehen werden. Die Nichtzulassung dieser Methoden durch die Europäer wird als "unwissenschaftlich" abqualifiziert, deshalb ist man auch gegen Kennzeichnungspflicht für diese Produkte. Das und eben nicht die Desinfizierung von Hühnerfleisch mit einer Chlorlösung ist das wirkliche Problem.
Wie bei jeder Nachricht über TTIP folgte auch diesem Leak ein kritisches bis verheerendes öffentliche Echo und das wird für die Verhandler immer mehr zum Problem. Besonders in Frankreich und im gesamten deutschen Sprachraum ist die Reaktion der Öffentlichkeit auf die Verhandlungen ausgesprochen negativ (siehe unten).
"Du bist für TTIP?"
Dieses klar negative Bild des Abkommens hat die US-Botschaft in Berlin nun veranlasst, hier in die öffentliche Diskussion einzugreifen. Am Wochenende wurde über Twitter und andere Onlinemedien folgende Botschaft verbreitet: "Du bist für TTIP und ärgerst dich über negative Berichterstattung? Sende uns deine Idee und wir unterstützen dich!"
Nichtkommerzielle Organisationen und NGOs, Think Tanks und akademische Institutionen" die sich mit TTIP beschäftigen, werden da aufgerufen, Projekte einzureichen. Je nach Umfang und Art des Projekts werden dafür Summen zwischen 5.000 und 20.000 Dollar bereitgestellt, um positive Berichterstattung über das Abkommen zu fördern.
commons
Roadshows und Twitterfalls
Der Begeleittext listet denn auch auf, was an "innovativen Ideen" förderungswürdig sein könnte. "Kurzdokumentationen" fallen ebenso darunter, wie die Organisation einer TTIP-Konferenz mit einer "breiten Palette von Stakeholders", oder Onlineforen und Websites, die TTIP vor allem positive Seiten abgewinnen.
Weiters wichtig sind für die US-Botschaft aber auch Roadshows von "Experten", deren Honorare ebenfalls übernommen werden, vor allem aber das Einrichten einer "Twitterfall Wall" zu TTIP-Veranstaltungen. Der Service Twitterfall setzt zwar auf Twitter auf, die dabei angezeigten Tweets sind allerdings administrierbar, über ein Webinterface lassen sich Tweets verzögert oder gar nicht erscheinen lassen, Tweets mit missliebigen Begriffen können automatisch aussortiert werden.
Direkt auf Twitter selbst funktionieren solche Methoden des Ausblendens natürlich nicht. Dort schallt den TTIP-Proponenten praktisch nur Kritik entgegen, weil die Gegner des geplanten Abkommens rund um jede Verhandlungsrunde den Hashtag #TTIP haushoch dominieren. Taucht ein neues Dokument auf, passiert dasselbe, so auch jetzt.
"Noch nie dagewesene Öffnungstiefe"
Die EU strebe bei diesem Abkommen eine "noch nie dagewesene Tiefe" der Öffnung "von Marktzugang und Regulationsangelegenheiten" an, heißt es dazu im europäischen Positionspapier. Zwar listen die Verhandler der EU-Kommission eine ganze Reihe von Punkten auf, bei denen derzeit nationale oder EU-weite Vorbehalte gegen eine Marktöffnung bestehen.
Das dreiteilige TTIP-Positionspapier der EU-Verhandler zeigt die aktuelle Verhandlungsmasse. Die drei Dokumente werden als ZIP-Datei zum Download angeboten.
Allerdings sei die EU aktuell in einer "genauen Überprüfung der für das Funktionieren des Binnenmarkts relevanten Maßnahmen begriffen", heißt es im Positionspapier. Dies geschehe, "um sie mit den momentanen und zukünftigen internationalen Verpflichtungen Europas" abzugleichen, die europäische Position sei also "offen für Modifizierung", heißt es in den Erläuterungen dazu.
Klagerechte, Schiedsgerichte
Damit ist also alles auf der Liste der Europäer Verhandlungsmasse und die Frage stellt sich, was die europäische Seite zu opfern bereit bereit sein wird, um die USA zu bewegen, auch über Finanzdienstleistungen zu verhandeln. Das dabei inhärente Problem ist der ebenfalls im TTIP vorgesehene Investorenschutz (ISDS), der jede einzelne Privatisierung für die Zukunft zementieren würde. ISDS würde den betreffenden Unternehmen aber auch erweiterte Klagerechte gegen neue Gesetze einräumen, die sich negativ auf künftige Umsätze dieser Firmen auswirken könnten.
Die Klagen verlaufen dabei nicht nach nationalem Recht vor einem ordentlichen Gericht, sondern vor sogenannten "Arbitration Courts", die von darauf spezialisierten internationalen Anwaltskanzleien betrieben werden. Diese "Verhandlungen" an diesen "Schiedsgerichten" finden hinter verschlossenen Türen statt, die Entscheidung sind nicht mehr beeinspruchbar, sondern endgültig.
Von Pharma- und Energiekonzernen bis zur (agro)chemischen Industrie und dem IT-Sektor kommen die größten Player aus den USA. Das in TTIP vorgesehene Schlichtungsverfahren ist nach deren Interessen ausgerichtet. Nur finanzstarke Konzerne können sich Verfahren gegen die Regierung eines Drittstaats leisten.
Monsanto gegen Vermont
Was einen solchen Fall auslösen könnte, zeigt ein Prozess in den USA, der aktuell zwischen dem Bundesstaat Vermont und dem Agrochemiekonzern Monsanto ausgetragen wird. Monsanto hatte am Freitag Klage gegen die Regierung des Bundestaates eingereicht, weil die eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch manipulierte Produkte eingeführt hatte.
Parallel gab die US-Behörde für Lebensmittelsicherheit ein Verkaufsverbot für sämtliche Käsesorten bekannt, die auf Holzbrettern gereift werden. Damit wurde eine jahrhundertelang entwickelte und verfeinerte Methode der Käsereifung verboten, die vor allem bei hochwertigen Käseprodukten aus Frankreich oder Italien zur Anwendungen kommt. Zugunsten kommt das Verbot all jenen Firmen, die anstelle der natürlichen Methoden zur Reifung gentechnisch veränderte Organismen und Chemikalien einsetzen.
Dieselbe Tendenz zieht sich durch den gesamten Ansatz des TTIP und zwar keineswegs nur auf Seiten der USA. Auch die EU-Verhandler priorisieren die großen Einheiten, also die Schlüsselindustrien wie den Energiesektor oder die Autoproduktion. Die gesamte Verhandlungslogik auf beiden Seiten ist dabei direkt an den Regeln des Kapitalmarkts ausgerichtet, oberste Priorität haben dabei Umsätze, Renditen und Profite - wie sie erzielt werden ist sekundär.
Der Ausgang der Klage Monsantos gegen Vermont werde einen Präzedenzfall darstellen, sagen die Konsumentenschützer. Neben Vermont ist auch in zwei Dutzend anderen US-Bundesstaaten eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel geplant.
Chlorhühner im Tiefflug
Nicht zuletzt aus diesem Grund ist das TTIP-Abkommen ein knappes Jahr nach dem Verhandlungsstart in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Anders als noch ACTA wurde das Freihandelsabkommen deshalb in Europa auch von den Breitenmedien in den Kanon der Berichterstattung aufgenommen. Sogar in Medien wie der deutschen "Zeit", die an sich eine ausgesprochen wirtschaftsliberale Linie fährt, folgte zuletzt ein kritischer Artikel dem nächsten.
In Österreich wiederum fliegen die Chlorhühner ganz besonders tief, seitdem sich die "Kronenzeitung" des Themas angenommen und eine massive Kampagne gegen das Abkommen gestartet hat. Davor schon hatten Abgeordnete aus allen im EU-Parlament vertretenen Parteien Österreichs Vorbehalte gegen Teile des geplanten Abkommens geäußert.
TTIP und das EU-Wahlergebnis
Der britische Journalist und Blogger Glyn Moody - ein akribischer Beobachter des TTIP-Prozesses - sieht die Gegner durch das Ergebnis EU-Parlamentswahl vom 25. Mai gestärkt. Die neu gewählten euroskeptischen Parlamentarier würden zwar rein zahlenmäßig an den Mehrheitsverhältnissen nicht direkt etwas ändern, indirekt jedoch schon. Gerade jene nationalen Regierungen, die durch die Rechtspopulisten im eigenen Land in Bedrängnis geraten seien - etwa in Frankreich, Italien oder Spanien - würden jedoch im EU-Ministerrat vor zu großen Zugeständnissen an die USA eher zurückscheuen, sagt Moody.
Von Glyn Moody sind seit Beginn der Verhandlungen bis jetzt 28 Artikel zum Thema TTIP erschienen.
Das und bereits erfolgte Drohungen aus den USA, europäische Firmen von Aufträgen der öffentlichen Hand auszuschließen, werde den Verhandlungsprozess in naher Zukunft bremsen. Ziehe sich das bis 2016, dann gerate TTIP unweigerlich in den Strudel des Wahlkampfs um die Nachfolge von Präsident Barack Obama. "Wenn das passiert, werden US-Politiker kaum dazu bereit sein, mitten im Wahlkampf ein unpopuläres Handelsabkommen durchzudrücken. Dann werden die Verhandlungen wahrscheinlich ausgesetzt, oder möglicherweise überhaupt abgebrochen", sagte Moody abschließend.