Erstellt am: 16. 6. 2014 - 16:48 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 29.
Das ist das WM-Journal '14 die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich - weil nachher kann's jeder besser wissen.
Gestern gab's Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich den denkwürdigen Erstauftritt Argentinien - Bosnien.
Das sind die Spiele von Tag 2: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.
Hier die Gesamtübersicht, die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.
Einschätzung der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal
Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Kein Fazit, denn:
Weder über Deutschland noch über Portugal lässt sich nach diesem Spiel wirklich etwas sagen. Ein zu früher ein wenig zu gewollter Elfer macht es der DFB-Elf leicht mit dem Allernotwendigsten weiterzukommen. Das erzählt nichts über Deutschland 2014.
Portugal rutscht nach dem seltsamen Pepe-Ausschluss ins Debakel, verliert auch noch Hugo Almeida und Coentrao, ist also bereits gezeichnet, hat aber zwei Spiele um sich zu rehabilitieren. Und was sie bei einem weniger unleidlichen Spielverlauf können, war nicht zu sehen.
Ein Muster ohne Wert also.
Und noch ein PS: Thomas Müller sagt im Interview er hofft dass seine Fall-und-Aua-Aktion nicht allzu blöd ausgesehen hat. Doch hat es, und damit gibt er indirekt ja auch zu geschauspielert zu haben. Ungustl.
Halbzeit 2, und es ist nur noch ein Testspiel
19.05, Start. Mit 13 Ricardo Costa ist ein Innenverteidiger gekommen, für ihn musste 6 Miguel Veloso weichen, der Sechser. Portugal jetzt mit 4-2-3, also zwei Achtern in der Zentrale, auch, weil's eh schon wurscht ist.
Deutschland setzt nach, kommt zu (Konter-)Szenen, die Portugiesen stehen einander, wenn etwas nach vorne geht, gegenseitig im Weg. Das Tempo ist ruhiger, beide werden nicht mehr das Letzte investieren, die einen haben gewonnen, die anderen wollen nicht noch höher verlieren.
Kommentatoren und Zuschauer merken nach zehn Minuten dieser Halbzeit, dass es nicht mehr mit voller Wucht gespielt wird, und empören sich ein wenig. War doch schon nach 40 Minuten sonnenklar, dass es so laufen würde. Deshalb nur noch die nachhaltigen Fakten die dieses Ballgeschiebe jetzt hervorbringt.
62.: 9 Schürrle für 8 Özil, Positionswechsel.
Eine Minute später verletzt sich Coentrao und muss raus. Für ihn wird wohl 19 Andre Almeida kommen. Das ist vielleicht die allerschlimmste Meldung für die Mannschaft - Coentrao ist unersetzbar. Und nach Hugo Almeida und Pepe jetzt der dritte Ausfall.
73.: Hummels humpelt raus, ist da was oder ist das nur eine Vorsichtsmaßnahme? 21 Mustafi ersetzt ihn und spielt jetzt rechts, Boateng rückt in die Mitte.
77.: 4:0 nach einem Abstaubertor von Müller, nach Schürrle-Vorarbeit. In Minuter 80 ersetzt ihn 10 Podolski.
Nach dem Spiel sieht man Hummels nur leicht humpeln, passt.
Halbzeit-Fazit, beleidigt
Der Käse ist gegessen. Die ersten zwei deutschen Tore waren okay, die Führung vielleicht sogar verdient. Die rote Karte für den ewigen Bösewicht Pepe, dem sein Image im Weg steht, hat dem Match aber das Genick gebrochen. Portugal kann nicht mehr zurückkommen, dazu ist der Gegner zu stark und zu weit vorne.
Tor Nummer 3 war schon ein Zeichen für den Verfall, in Halbzeit 2 wird sich nichts Wesentliches ändern können. Spannungsmäßig ist das doof - und gerechtigkeitsmäßig ist es auch alles andere als fein gelaufen. Bin beleidigt.
Noch ein Tor, einmal Rot und Ramsch-Niveau (31. - 48. Min)
Özil und Götze laufen ihren portugiesischen Kollegen leicht davon und sorgen so für enorme Gefahr (31.) - aus dem daraus resultierenden Corner von Kroos köpft Hummels im Duell mit Pepe das 2:0.
Zwischen den beiden Toren kam nicht viel vom DFB-Team - nur Kontrolle - aber angesichts dem wenigen, dass Portugal dagegensetzt, ist das auch nicht nötig.
Ich habe das Gefühl, das Portugal mit deutlich zu viel Respekt ins Match gegangen ist, und sich noch nicht erfangen hat. Mag mit der Bilanz bei den letzten Turnieren zu tun haben, ist aber ein schlechter Berater. Vor allem weil gerade in der Anfangsphase was möglich gewesen wäre, angesichts der deutschen Unsicherheit.
In Minute 36 zeigt Eder, dass auch er ein guter Kopfballspieler ist. Ein Aufflackern.
Und danach der Schlag. Bei einem Duell Pepe-Müller, geht der Deutsche zu Boden, Pepe bedroht ihn danach mit einer bösen Kopf-Provokation, für den Schiri Grund für eine rote Karte. Danach minutenlange Pause, wegen der allgemeinen Erregung und um abzukühlen.
Ich halte die Karte für übertrieben. Klar, Pepe hat einen Ruf, aber die Hand in Müllers Gesicht war eine in der Hitze des Gefechts und keine Insultierung, und Müllers Fall ein unwürdiges Schauspiel. Das hätte man auch anders lösen können.
So, mit zwei Toren und einem Mann Rückstand ist die 2. Halbzeit jetzt auf Ramsch-Niveau herabgestuft worden, aber vielen Dank auch.
In der Nachspielzeit noch das 3:0 durch Müller nach einem gut geblockten Ball innerhalb eines guten Spielzugs samt entscheidender Kroos-Flanke.
Die Positionsfindung von Lahm als Top-Story (16.- 30.Min)
Lahm lässt sich weit zurückfallen, zwischen die beiden langen Innenverteidiger. So ist das nicht gedacht, da hakt's. Gut, solange vorne so brillant kombiniert wird, ist das (noch) egal; aber ein Gefahrenherd.
Die Passwege zwischen Kroos-Müller-Özil-Götze (manchmal auch Khedira) wirken wie intuitiv, wiewohl sie eingespielt und aller Ehren wert sind.
Götze und mittlerweile auch Özil machen mit Seitenlinien-Angeboten das Spielfeld enorm breit, sind durch ihre Ballsicherheit dann hochgefährlich, auch wenn ihr Weg ausrechenbar ist: sie werden sich in die Mitte vordribbeln und in den Rückraum passen, Flanken und den Weg zur Cornerfahne gint's nicht.
Zur Mitte der 1. Halbzeit beginnt sich Lahm freizuspielen, fordert Bälle, die er zu verteilen gedenkt, und wird vom gegnerischen Mittelfeld jetzt auch als Gefahr akzeptiert. Er, Khedira oder Hummels sind nämlich jederzeit für einen langen flachen Pass in die Spitze, durch die Abwehr hindurch, gut.
In der 25,. pfeffert Nani von rechts knapp drüber, beste Szene bislang; kombinationsmäßig läuft da noch nicht alles so gut wie es könnte bei den Roten.
Schönes Bild zwischendurch: defensiv steht Deutschland jetzt nämlich 4-5-1, mit einem Mittelfeld auf einer Linie, auch Lahm ist mittendrin - Müller darf als echte Spitze vorne stören.
28.: Hugo Almeida verletzt sich und für ihn kommt, oh, 11 Eder, mit dem hätte ich nicht gerechnet.
Und wieder Elfer für den Favoriten in der Anfangphase (1. - 15.Min)
Tatsächlich spielen Khedira halbrechts und Kroos halblinks vor Lahm. Und stellen sich dabei ein wenig plump an, sieht so aus als müssten sie sich die Einteilung erst erarbeiten. Götze kommt über sehr links, Özil hängt rechts ein wenig nach hinten, um sich auch den Weg ins Zentrum offenzuhalten.
Die Anfangsphase ist einigermaßen ausgeglichen, beide Teams suchen nach abwartendem Aufbau den schnellen Passweg in die Spitze.
Interessante Szene in der 7.Min: Lahm vertändelt den Ball, weil er in der Sechser-Position Unsicherheit ausstrahlt und sowas sofort genutzt/bestraft wird, Ronaldo zieht rechts los und scheitert an Neuer. Diese Mittelfeldstruktur muss sich erst finden. Lahm kann seine Guardiola-Stärken nicht ausspielen, gibt eher ein Putzerlein vor der Abwehr.
Im Gegenzug verfehlt Khedria dann das leere Tor, Rui Patricio hatte ihm den Ball völlig geistesgestört aufgelegt.
In der 10.Min dann eine exzellente deutsche Passstafette in den Strafraum rein, Götze löst sich, und wird gehalten. Gelb für Pereira und Elfer, huch! Müller aus dem Stand, flach links 1:0 (12.). Das ist die große Stärke dieser blitzgescheiten deutschen Offensive: die schnelle Direktpassspiel in den Lauf, mit dem sie jede Abwehr durchdringen und allein vors Tor laufen können. Gegen staksige Innenverteidiger das beste Mittel.
Die Aufstellungen
Deutschland in weiß mit
1 Neuer, 20 Jerome Boateng, 17 Mertesacker 5 Hummels, 4 Höwedes; 6 Sami Khedira, 16 Lahm (K), 18 Toni Kroos; 8 Özil, 13 Thomas Müller, 19 Götze
Die ARD/Scholl-Lesart:Löw stellt Lahm hinter Khedira und Kroos, es gibt also ein 4-1-2-3.
Ich glaub das nicht, ich sehe Lahm neben Khedira und Kroos davor, ziemlich auf einer Höhe mit Götze der rechts und Özil, der links spielen soll, und hinter der vordersten Spitze Thomas Müller. Götze links, das ist gewohnt, Özil rechts, das könnte ein wenig knirschen - er ist doch eher ein zentraler Akteur. Wie sich das genau auf dem Platz zeigen wird?
Löw riskiert in jedem Fall hinten nix, vorne schon was. Mit 9 Schürrle, 10 Podolski und 11 Klose sind auch die drei Wechseloptionen klar. 7 Schweinsteiger ist nicht fit.
Portugal in rot mit
12 Rui Patricio; 21 Joao Pereira, 3 Pepe, 2 Bruno Alves, 5 Fabio Coentrao; 18 Moutinho, 6 Miguel Veloso, 16 Meireles; 17 Nani, 9 Hugo Almeida, 7 Cristiano Ronaldo (K)
Das ist exakt wie erwartet, Paulo Bento und das 4-3-3. Erste Wechseloptionen sind 23 Postiga, 20 Ruben Amorim und 15 Rafa Silva
Gespielt wird in Salvador in der Arena Fonte Nova, Schiri ist der Serbe Mazic; Der Typ mit dem übertriebenen Hipster-Bart ist Meireles.
Was es vor dem Match zu sagen gibt
Gerade weil die beiden Teams einander sehr gut kennen, ist sorgfältige Vorbereitung ein Muss - schließlich geht es im Auftakt-Duell schon um die Vormachtstellung in der Gruppe G.
Deutschland geht mit vielen personellen Problemen ins Spiel. Zum Einen fällt Marco Reus, der Beste, aus. Zum Anderen sind die Top-Kräfte für die beiden Jobs in der Mittelfeldzentrale fast alle nicht fit: die Benders und Gündogan sind verletzt raus, Schweinsteiger noch nicht fit, Khedira noch mit einem Bein in der Rekonvaleszenz. Weil Löw deshalb die Guardiola-Variante übernimmt und den intelligentesten Spieler, den er hat (seinen Kapitän Lahm) von seinem angestammten Posten reinzieht, macht er seine andere Problemzone (die Außenverteidiger) noch deutlicher sichtbarer. Schmelzer fehlt auch und somit bleiben nur noch Notvarianten übrig. Das ist im modernen Fußball eine fatale Sache - ein großer Teil der Angriffe wird über diese Position eröffnet. Die Möglichkeit Toni Kroos, der diesen modernen Sechser auch ganz wunderbar spielen kann, dort einzusetzen, hat sich bei den DFB-Coaches nicht so verfangen, wie es zu wünschen wäre.
Deshalb wird das Löwsche 4-2-3-1 (das im Verlauf des Spiels durchaus variiert werden kann) hinten wohl mit vier gelernten Innenverteidigern besetzt, Khedira und Lahm werden das Zentrum bilden und die Offensive-Four werden vier aus der Riege der formidablen Kreativ-Kräfte sein, die man zur Verfügung hat, richtigen Stürmer (mit Klose ist eh nur einer mit) wird es nicht geben, die falsche Neun wird Götze oder Müller sein, statt Reus könnte sogar der alte Podolski auflaufen.
So die Erwartungshaltung. So schreien es die Bildzeitungen raus.
Wenn Löw alles zu unrund wird, und ihn das Risiko packt, dann ist auch anderes möglich. Etwa eine Dreier-Abwehr, die dann fünf Offensivkräfte möglich macht. Oder eben die Kroos-Variante im Zentrum. Oder was mit Großkreutz. Aber natürlich wird das alles unter Beachtung des Gegners geschehen.
Portugal hat wie die Deutschen ein über die Jahre eingeführtes und seinen Akteuren in Fleisch und Blut übergegangenes Grundsystem, das aber auch dezent variiert werden kann. Coach Paolo Bento hat das 4-3-3 seiner Vorgänger (unter anderem Scolari) übernommen. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt er über gute (Joao Pereira) bis blendende (Coentrao) Außenverteidiger; sein Mittelfeld Veloso-Moutinho-Meireles ist topfit und sein Dreier-Angriff gesetzt: Nani rechts, Ronaldo links und Almeida (oder doch Postiga?) im Zentrum. Wenn man einem Rückstand hinterherläuft, dann wird einer aus dem Dreier-Mittelfeld gegen einen vierten Angreifer, einen Flügel getauscht und Ronaldo geht als zweite Spitze in die Mitte.
So weit so ausrechenbar. Nur ist das angesichts der Qualität die diese Mannschaft auf den Platz stellen kann, manchmal auch ganz schön egal.
Nun könnte man meinen, dass die vier Innenverteidiger angesichts der drei (und final dann womöglich vier) Spitzen der Potugiesen eh eine ganz gute Idee sind. Am Papier ja, aber ich bin da nicht so sicher - ein offensiver Außenverteidiger, der seinen Gegenspieler beschäftigt und bindet kann viel mehr wert sein (gestern war da einiges zu sehen, Debuchy etwa, vorgestern Darmian etc).
Außerdem sind Löws vier Verteidiger allesamt moderne Athleten, keine Holzhacker vom alten Schlag, die ein österreichisches Publikum, wenn die Sprache auf sowas kommt, noch vorm geistigen Auge hat. Boateng und Höwedes können das. Ebenso wie Mertesacker und Hummels das Spiel nicht zerstören, sondern eröffnen. Womit sie gegenüber Pepe und Bruno Alves, ihren Kontrahenten, schon einiges voraus haben.
Player to watch: Lahm, wenn er in der Sechser-Position spielt.