Erstellt am: 15. 6. 2014 - 17:13 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 26.
Das ist das WM-Journal '14 die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich - weil nachher kanns jeder besser wissen.
Das sind die Spiele von gestern: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.
Hier die Gesamtübersicht, die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die gestrigen Spiele: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.
Einschätzung der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal
Das WM-Journal ist Tei des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Das Fazit
Gerechtigkeit hin oder her, verdienter Sieg oder nicht - alles geschenkt. Hier hat sich bei zwei Teams mit identischen Qualitäten das final glücklichere durchgesetzt.
Was eines bestätigt: Ecuador ist eben doch einen deutlich sichtbaren Tick hinter Chile oder Kolumbien anzusiedeln. Die Schweiz hat spielerisch - wie zu erwarten war - enttäuscht und dann die (auch erwähnten) deutschen Tugenden ausgepackt und Ergebnis-Fußball präsentiert.
Neuwertig ist das (im Gegensatz zum englischen Team von gestern, das mich an die Klinsmann-Mannschaft im Aufbau vor 2006 erinnert), eher ein Rückgriff auf das altdeutsche Modell. Andererseits war es für die Eidgenossen wahrscheinlich wichtiger sich zu behaupten als wie 2010 brav mitzuspielen und dann rauszufliegen.
Soll heißen: ich kann das konservativere Hitzfeld-Spiel nachvollziehen, so sehr es mir auch nicht gefällt. Und die eingangs erwähnte Erfolgsgarantie ist eben wieder einmal gegeben.
Team Ecuador würde ich noch nicht abschreiben - da kann noch etwas kommen, vor allem jetzt, wo der Druck weg ist und man gar nix mehr zu verlieren hat.
Die wirre Schlussphase (69. - 93. Min)
Es folgt ein Außennetztreffer für Shaqiri nach schlimmen Frickson-Stellungsfehler, und eine Valencia-Szene vorm fast leeren Tor, und die Wechselzeit: 70., 15 Arroyo für Caicedo, dann 9 Seferovic für den matten 19 Drmic (75,), 9 Rojas für Montero (76.), zweimal nachvollziehbar, einmal (Montero) eher doof.
So etwas wie taktische Formationen gibt es jetzt nur mehr lose, man wirft sich auf beiden Seiten gerne rudelweise nach vorne - das mag attraktiv aussehen, sehr zielführend ist es nicht. Nach 83 Minuten kriegt Djourou für eine Notbremse nach eine solchen wilden Konter nur gelb. Auftakt für eine gelbblaue Schlussoffensive? Benaglio kriegt einen der Standards von Leftback Ayovi gerade noch zu fassen - die Partie lebt jetzt von der Spannung, nicht von ihrer Qualität. Nur noch hohe Bälle fliegen kreuz und quer herum - von Aufbau kann keine Rede mehr sein.
Ich denke nicht, dass die beiden "mit einem Remis gut leben" können. Das zieht gefährliche Pläne nach sich, dass man sich z.B. dann gegen Frankreich vielleicht mit einer knappen Niederlage zufrieden gibt und gegen Honduras hoch gewinnen will - was beides gut und gerne schiefgehen kann; frag die Schweizer...
Und dann in der Nachspielzeit vergeben die Valencias auf der einen Seite eine Top-Chance, während es im Gegenstoß Seferovic besser macht, und einen Rodriguez-Cross ins kurze Eck schiebt. Mit der letzen Aktion zum 2:1.
Schneller Ausgleich macht schnelleres Spiel (46. - 68. Min)
Zu Beginn der 2. Halbzeit um 19:02 kommt 18 Mehmedi für 14 Stocker für die linke Angriffsseite, das ist ein wenig seltsam, weil wohl Xhaka die Schwachstelle war, nicht der eh eifrige Basler. Oder stellt Hitzfeld taktisch um, ich glaub's nicht...
Bevor das klar wird, macht der Ersatzmann schon das 1:1, nach einem Rodriguez-Corner per Kopf (48.). Und ja, er besetzt die linke Seite, Mehmedi.
Diesmal beginnt das Spiel nicht wieder von vorne: die Schweizer werden jetzt versuchen, den Schwung mitzunehmen und angreifen, Ecuador wird weiter dagegen kontern - also eh alles wie gehabt. Nur mit erhöhtem Selbstbewusstsein für die Europäer und ein wenig Hektik beim Gegner - die erste Karte für Paredes in Min 53 ist ein gutes Anzeichen dafür.
In dieser hüben/drüben-Phase zeigen beide Mannschaften ihre Schwächen; ungenaues Abspiel, wenig Rezept gegen intensives Pressing, kein Mut zum letzten guten Pass. Es sind eben zwei gutklassige Teams, WM-reif, aber nicht für Höheres berufen.
Das liegt auch an den heute nicht sehr entwickelten Ansätzen aus der Zentrale - weder Inler noch Noboa können das Spiel ihres Teams wirklich strukturieren.
Gefahrentechnisch führt Ecuador mit den Kontern gegen die Schweiz mit ihren Tempovorstößen - Enner Valencia verzieht nur knapp (60.), Montero vergibt aus spitzem Winkel (65.), stehen einem Offsidetor von Drmic (67.) gegenüber.
Halbzeit-Fazit
Ecuador hat das Optimum erreicht: die Höhe und die Hitze genützt um die Gegner mürbe zu machen, ein Tor vorgelegt und dafür gesorgt, dass jeder Fehlpass mit viel Energie-Verlust bestraft wird. Vor allem die vorwärtspreschenden Flügel (noch mehr als Valencia der grandiose Montero) machen dem Gegner das Leben schwer, auch weil sie gut ins Zentrum ziehen.
An sich machen die Schweizer nix falsch, der Matchplan Hitzfelds ist schon stimmig: er will mit Flügelangriffen, die vor allem über die Außenverteidiger vorgetragen werden und mit Querläufen von vor allem Shaqiri auf allen Fronten Druck machen. Insgesamt kommt von allen Beteiligten ein Quäntchen zu wenig und zu Fehlerhaftes. Der vordringlichste Part des Plans allerdings (ruhig bleiben und lange ein 0:0 halten) ist schon hinfällig. Jetzt ist ein Plan B gefragt, weil taktische Umstellung wird es wohl keine geben, das ist bei Hitzfeld nicht vorgesehen. Same with Rueda, aber nur deswegen, weil bisher alles aufgegangen ist.
Das Spiel um den Schweizer Energie-Haushalt (24. - 46. Min)
Jetzt beginnt ein neues Match. Die Schweizer müssen raus aus dem Spar-Modus und sich strecken. Und Ecuador kann kontern, die Flügel nach vorne werfen in schnellen beißenden Gegenstößen. Die Schweizer tasten sich einmal mit Standards heran, oder mit Fernschüssen, bleiben aber erstaunlich oft schon in der 1. Reihe, also im defensiven Mittelfeld hängen.
Weil ich im Hintergrund schon das Loblied auf die kleineren, bei uns unterbeachteten südamerikanischen Teams höre, das ihnen schon fix Viertelfinal-Plätze zuraunen will: eh. Aber vergesst bitte nicht, dass es nicht die ganz großen Gegner waren und sind, Griechenland, Australien. Und auch die Schweiz jetzt ist 1) noch nicht besiegt und 2) nicht der finale Maßstab für die Qualitätskontrolle.
Wahr ist, dass sich die Lateinamerikaner auf ihrem Kontinent mehr als einen Tick besser, sicherer, heimischer, selbstbewusster frecher, und gelassener präsentieren als das in der Fremde der Fall ist. Das war im Vorfeld zwar abstrakt klar, ist aber erst beim ersten Anschauungstest auch gefühlig wahrzunehmen. Und erst dann zählt's ja.
Ich überlege gerade wie und ob Österreichs Team in dieser Kategorie mitspielen könnte und bin nicht ganz sicher. Wahrscheinlich hätten wir alle Probleme der Schweizer, aber wohl (noch) nicht deren Präzision und Geduld, also das Gefühl dran und drin im Spiel zu sein. Und gegen die Offensive aus Ecuador würden wir (vor allem die Abwehr) ganz schlecht aussehen; das ÖFB-Team könnte in dieser Partie also nicht mithalten. Exkurs Ende.
Die Schweizer Fehler sind nicht nur augenfällig, sondern auch Gift für die Spielanlage, jeder der kraftvollen Ecuador-Kontervorstöße kostet die Eidgenossen unendlich viel Substanz.
Sparsamkeiten, Augenhöhen und eine Führung (1.- 23. Min)
Zu Beginn zeigen die Ecuadorianer was sie können, beißen sich mit Tricks und Verve fest im Schweizer Strafraum, was den Gegner einigermaßen und merkbar erstaunt. Behrami lässt sich weit zurückfallen, spielt eher hinter Inler als neben ihm.
Kapitän Valencia und Montero halten ihre klar präsentierten Flügelpositionen ein, auch eine Konzession an die, dem Klima und der Höhe geschuldete, Sparsamkeit, was den Energie-Level betrifft. Auch deshalb geht es die Schweiz in jeder Situation sehr langsam an, keine überflüssige Hektik. Da tut jeder Ballverlust umso mehr weh, und davon gibt es einige in dieser Anfangsphase.
Offensiv auffällig werden die Europäer, wenn sie Querläufe übers Zentrum starten oder schnell über die Flügel spielen. Beides wird Ecuador noch Probleme machen.
Umgekehrt setzen die Südamerikaner auf vertikale Läufe, eher mit als ohne Ball - sie wollen die dichte Zentral-Defensive der Schweizer mit Schnellkraft umlaufen.
Für alle die dachten, dass es ein ganz offenes Spiel auf Augenhöhe wird: richtig gedacht.
Und damit es keine Stehpartie wird, sorgt eine Mannschaft für die dann doch überraschende Führung: in der 22. Minute köpft Enner Valencia, der mexikanische Torschützenkönig nach einem Ayovi-Linksfreistoß das 0:1.
Enner Valencia ist im übrigen derjenige im Zwei-Mann-Sturm, dessen Job es ist, auch nach hinten zu arbeiten - defensiv steht man also 4-4-1-1.
Die Aufstellungen
Die Schweiz Nati (und weil ich's gerade wieder falsch gehört habe, das spricht sich Nazi aus, ganz ohne second thought, ist halt so dort) spielt in Rot-Weiß mit.
1 Benaglio; 2 Lichtsteiner, 20 Djourou, 5 Von Bergen, 13 Ricardo Rodriguez; 11 Behrami, 8 Inler (K); 23 Shaqiri, 10 G. Xhaka, 14 Stocker; 19 Drmic.
Die einzige Überraschung ist dass Schär fehlt und vom mittlerweile trotz seiner Jugend in die Jahre gekommenen Weltenbummler Djourou ersetzt wird.
Ecuador spielt im klassischen Gelb-Blau mit
22 Dominguez; 4 Paredes, 2 Guagua, 3 Frickson Erazo, 10 Walter Ayovi; 16 Antonio Valencia (K), 6 Noboa, 23 Gruezo, 7 Montero; 11 Caicedo, 13 Enner Valencia.
Da fehlt Segundo Castillo im Zentrum, statt ihm spielt das Supertalent Gruezo, sonst ist das die Einser-Garnitur.
Der alte Fuchs Hitzfeld weist übrigens zurecht auf die relative Höhenlage des Spielorts Brasilia hin - was Ecuador, die ihre Heimspiele noch höher austragen und dabei lange unbesiegt sind, natürlich entgegenkommt.
Pfeifen tut der umstrittene, aber erfahrene Usbeke Irmatov.
Was vor dem Spiel zu sagen ist
In Österreich ist das eher viel über die Schweiz und wenig über Ecuador, eine der ganz großen Unbekannten des Turniers, Die werden aktuell, im Pauschallob für die kleineren, unbekannteren Teams aus Südamerika pauschal mithochgelobt, so als nächste Version von Chile und Kolumbien, die ja beide in ihren ersten Matches für je eine furiose Anfangs-Phase, berauschende Spielkunst, Trickreichtum und auch ohne Physis bewundert wurden; incl. der zarten Erwähnung, dass die Qualität dieser Phasen nicht echt über 90 Minuten gehalten werden konnten.
Ecuador nun besitzt diese Qualitäten nicht in diesem Umfang. Nicht die taktischen Skillz von Chile, nicht die druckvolle Kombinationsgabe von Kolumbien. Die Mannschaft lebt von ihrer Geschlossenheit, der Tatsache, dass sie gerne unterschätzt werden und ihrer einfachen Spiel-Konstruktion. Und von Könnern wie ManUtds Antonio Valencia oder Christian Noboa von Dinamo Moskau. Dazu kommt ein Schippel Erfahrung in der Abwehr und das Bewusstsein es bei der WM 2010 mit einem international noch unerfahrenerem Team bei einer ähnlichen Konstellation ins Achtelfinale geschafft zu haben; hinter Deutschland, aber vor Polen.
Der Kolumbianer Reinaldo Rueda lässt ein straffes 4-4-2 spielen, mit den Reißern Valencia und Montero an den Flügeln, im Zentrum mit Noboa und Castillo als zweitem (Wortspiel...). Vorne hat Caicedo die Chance auf einen Durchbruch in die wichtigen Notizblöcke. Er muss Cristian Benitez ersetzen, der vor einem Jahr an einem Herzinfarkt gestorben ist; für ihn, die Nummer 1, spielt Ecuador dieses Turnier in allererster Linie.
Die Schweiz soll diesmal wohl Polen darstellen, sofern Frankreich Deutschland ist, dann wäre eine Wiederholung von 2010 für die Männer vom Äquator in Griffweite.
Dabei sind es die ursprünglich vom italienischen, taktisch ausgefeilten Fußball dominierten Schweizer, die zunehmend zu den Deutschen werden; zumindest im System dass Coach Ottmar Hitzfeld von Köbi Kuhn, seinem Vorgänger, dem Schöpfer der jetzt stabil vorne mitspielenden Schweizer Fußball-Gegenwart übernommen hat. Es ist das von Klinsmann inspirierte 4-2-3-1 mit den nach vorne denkenden Sechsern wie Gökhan Inler, dem Kapitän, den strategischen Aufbauern in der Abwehr und der jungen Garde im offensiven Mittelfeld.
Mittlerweile hat sich das Schweizer System gesetzt und bietet keinem Gegner mehr ein Geheimnis. Auch die Fußball-Secondos mit Herkunftsgebieten wie dem Balkan (diesmal sind 10 im Kader), Südamerika (Gelson, Rodriguez) oder Afrika haben sich dem eher strikten und piefkigen, wenig variablen Hitzfeld-Stil unterworfen. Auch weil er Erfolg quasi garantiert.
Ich sehe da schon ein Problem. Nicht im scheinbaren, auf exotistischen Fantasien basierenden Zwiespalt zwischen originärer Spiellust und zivilisierender Zügelung, sondern in einer an Sattheit gemahnende Selbstverständlichkeit das aktuelle Niveau nur halten und nicht bessern zu müssen. Dazu hat zuletzt eine allzu leichte Quali-Gruppe beigetragen, die das Scheitern für 2012 und die mittelprächtige WM 2010 (Spanien besiegt, aber dann Out gegen Chile) zu schnell vergessen hat.
Bei guter Konzentration kann die Einser-Garnitur heuer mehr schaffen. Im schlechten Fall wird die mangelnde Variabilität zum Problem werden.
Players to watch: Linksverteidiger Rodriguez, Stocker, so er spielt und Josip Drmic, der Mann ganz vorne drin.