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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

15. 6. 2014 - 19:17

"So schlecht, dass es schon wieder gut ist"

Nova Rock, Tag 2: Hasseling with The Hoff

Das Nova Rock 2014

Unter den Flügelmonstern
Eine Ankunft unter großem Himmel und einige Fragen, religiöse und herzensbildende Grundsätzlichkeiten verhandelnd.

Mitmachstaub
Tag Eins. Crazy Town, Irie Révoltés, Steel Panther, Casper, Limp Bizkit und The Prodigy

Novelties
Samstagnachmittag - Emergency Case, Ghost, Awolnation

Bedingungslose Liebe
Geschichten von Maiden ... für jeden

"So schlecht, dass es schon wieder gut ist"
Hasseling with The Hoff

Gründerzeit
Tag Drei. Die Gründer und die Versöhnung: Black Sabbath, The Offspring, Soundgarden, Bad Religion,...

Wieder Fragen: Wie kann man sich dem nähern, wenn man nicht das "so schlecht, dass es schon wieder gut ist"-Spiel spielen will, von dem alle berechnenden Selbstironiker von Jürgen Drews abwärts ihre Mieten zahlen? Diesem großen Signal jeglichen kulturellen Niedergangs, den uns die Studentenkultur der Achtziger Jahre hinterlassen hat, der etwa Sexismus und Tabubruch für cool erklärt, und Denkfaulheit als Spontaneität tarnt? Was hat dieser Kerl auf einer Bühne verloren, auf der gestern noch Anthrax spielten und sich morgen der große Toni Iommi die Ehre geben wird? Was soll der tun, nachdem die Playback-Versionen seines Mauerfall-Hits und seiner noch zwei blöden österreichischen Hits abgespult sind? Die größten Hits der Siebziger, Achtziger, Neunziger covern? "Time After Time", "Car Wash", "Making Plans for Nigel", "The Final Countdown"? Ist ein sprechender Pontiac die Neunziger-Version des großen amerikanischen Bubentraums, oder doch die Präsenz der großen, mit Metal ikonisch verbandelten Selbstironikerin Pamela Anderson? Gestern noch kotzend und burgerfressend am Boden, heute schon der Headliner auf unserer Showbühne? Ist meine Angst die Angst vor den Tiefen dieser bizarren Performance, oder dass diese so gut ankommen könnte?

David Hasselhoff

Überall Bubenträume und Wickie, Slime und Paiper-Auslöser. Der "K.I.T.T", der am Nachmittag am Gelände stand, damit man ein Selfie machen kann, war gar nicht seiner, sondern war von einer österreichischen Firma bereit gestellt worden. Weshalb wir ihn auch nicht, wie die Frühgeborenen vielleicht ge"hoff"t hatten, auf dem Dach des Autos stehend singen werden sehen können.

Dafür eröffnet die Show ziemlich gut: Ein schottischer Krieger im Kilt bläst auf einem zum Feuerschwert umgebauten Dudelsack, wie einst die erste Reihe von Lord Kitcheners Schlächter-Armee vor Khartoum, unter anderem eine Version von "We Will Rock You". Es gibt eine Videoeinführung in "The Hoff's" Heldentaten: von Knight Rider, Baywatch, Rocky Horror Show, America's Got Talent , inklusive Beteuerungen von den befreundeten Promis Mel Brooks und Simon Cowell, wie "talented" Mr. Hoff denn nicht sei. Kurz denke ich, er sei vielleicht unerwartet verstorben und dies ein bedauerlicher Nachruf - der Scheinwerferkegel korrigiert das. Dann warten wir noch eine gefühlte halbe Stunde auf das Erscheinen des Meisters. Dieser kommt, umgeben von leichtbekleideten Vegas-Tänzerinnen, mit diodenbesetzter Schlussverkaufslederjacke aus Knight Rider und Stars and Stripes-Mundlleiberl und fängt ansatzlos an, einen seiner Hits zu schmettern.Um den kritischen, punk-geerdeten und in amerikanischer Kultur aller Facetten sattelfesten Kollegen Dave Dempsey ist es nun geschehen: Er will ein "Hoff "Tattoo und, wenn er groß ist, brennender Dudelsack Spieler werden.

Ich breche ein Gelübde und brauche ein Bier. Hoff hat einen seiner Hits beendet und erzählt, dass wir die zweitgrößte Menschenmenge seines Lebens wären - nach der Million Berliner, die ihm den Mauerfall verdanken, selbstredend. Er hält uns für 80.000, ich versuche herauszufinden, ob er betrunken ist. Er geht immer wieder zu seinem Techniker (o.k. Laptop-Bediener), um sich zu erkundigen, wie es weiter geht. Was soviel heißt wie, welcher Karaoke Backingtrack gestartet werden soll. Die leichtbekleideten Vegas-Tänzerinnen stehen etwas planlos herum und scheinen nicht zu wissen, dass der Visuals-Kameramann die Anweisung hat, sie stets nur zwischen Knie und Hals aufzunehmen. The Hoff deklamiert ein Gedicht, in dem alle einsilbigen Wörter mit "Hoff" ersetzt sind. Er macht es spannend und will uns ein ganz besonderes Dia zeigen, das klappt so nicht, der Laptop-Bediener denkt wohl gerade an etwas anderes. Der Laptop-Bediener, den wir beapplaudieren müssen agiert überhaupt so lieblos wie ein Hausmeister bei einer Karaoke-Veranstaltung in einer Merhzweckhalle: Die zugespielten Tracks hören abrupt auf oder faden zu früh weg, was Hoff nicht bemerkt, aber - ganz Profi - als A-capella-Animationsgelegenheit verwendet. Nach jedem Visual sieht man kurz das Laptopbild. The Hoff sagt zum wichtigen Dia, das nicht da ist:"Oh, it isn't there" - ich bin mir jetzt sicher, dass er betrunken ist. Wie zum Beweis spielt er Nina Simones "Feeling Good", meine Ironietoleranz erreicht einen vorläufigen Tiefpunkt.

Seine "Appearance", wie wir im Las Vegas-Entertainment Großgewordenen es nennen, ist unvergleichlich: Diese feiste, wächserne Junggebliebenenfresse, dieses gefrorene, zugleich frierende Strandlächeln. Eine Mischung aus Seniorinnenbeglücker und entschlossener Familienvater/Triebtäter. Das Amerika-T-Shirt, die zwei Armbanduhren, die Plastikjacke, die hautengen Jeans, all das trägt Triumph und Tragik des Mainstream-Entertainments vor sich spazieren.

Hoff macht keinerlei Kompromisse mit Zeit, Ort, Szene, Musik - als vielleicht einziger Künstler hier spielt er konsequent fast eine Stunde lang nur eigene Lieder. Wer sein Repertoire kennt, weiß, was das bedeutet. Wer nicht, lernt es jetzt. Hoff spielt "Get into my Car" und ich kann nicht umhin festzustellen, dass er stets aufs Subtilste auf seinen Penis zeigt. Dave will wetten, dass er dezent und unbemerkt darauf hinweisen möchte, dass er auf Groupie-Suche ist. Ich glaube immer noch, dass er betrunken ist und möchte es ihm gleich tun.

Wir stehen im Grüppchen zusammen, unterhalten uns, haben guten, sauberen Spaß, vergessen Hoff kurz - ich bemerke, dass es seinen 80.000 ebenso geht, plaudern, johlen, tanzen, Witze machen, das alles scheint mit ihm gar nichts zu tun zu haben. Dave ist bereits jetzt überzeugt, dass Hoff das Highlight des Festivals ist, ich bin zu unbetrunken und widerspreche säuerlich. "He is the ultimate Anti-Hipster" - ich bin fast bereit, ihm das zuzugestehen, bis er uns das "Ugachacka" Video zeigt, das "so schlecht ist, dass es schon wieder gut ist".

Wir lernen seine Tochter kennen, sie sagt "Hello Dad" und "Hello Austria" - ob das die ist die das Video ins Netz gestellt hat, indem er am Boden liegt und mit einem Cheeseburger rauft? Das Biergelübde ist vergessen, ich möchte heute abend noch auf dem Boden liegen und mit einem Cheeseburger raufen. Mach ich natürlich nicht, und wasche mir stattdessen ob dieses Wunsches den Mund mit Seife aus.

Hoff steuert auf den unwiederbringlichen Höhepunkt zu, welcher da ist: Das Lied, dem die Berliner den Mauerfall verdanken, selbstredend. Vorher bringt er mich doch noch zum Lachen: Das fröhlich feiernde Backstage-Publikum, das zum "Limbo Dance" (Nr. 1 in Österreich?) an Hoffs Statt unter eine in 1.70 m Höhe montierte Limbo Stange tanzt, hat sämtlich eine Hoff-Papiermaske vorm Gesicht. Klasse.

Dann der Mauerfall-Hit, Abgang, wir sind die beste Audienz der Welt und wo wäre er ohne uns - das Publikum ist wohlgelaunt und wendet sich dem Ausgang oder sich selbst zu. Plötzlich ungefragt: The Hoff is Back! Er spielt ein unbekanntes Lied, erzählt einen bekannten Witz während der Laptop-Bediener große Zettel vor ihm auf den Boden legt. Nun zum Schluss noch ein kleines Bisschen Horrorshow: Hoff gibt das vom Lord Kitchener-Bläser eingangs angeteaste "We will Rock You", schafft es aber nicht, den Text von den bereitgestellten Bodenzetteln abzulesen und singt "Buddy, you're a Boy making bla bla bla", die Cheerleader - mittlerweile sämtlich als Pamela Anderson verkleidet - helfen alle zusammen und das Lied findet doch noch ein Ende. Hoff hat noch einen Nach-Energieanfall und proklamiert "1000 Miles" von den Proclaimers. Dieser Text scheint größer auf den Zetteln zu stehen, vielleicht hat er das Lied im Gegensatz zum vorigen auch schon mal gehört. Angst. Wenn er "Come on Eileen" spielt werde ich ihn töten, sagt der Mutangetrunkene in mir. Er tut es nicht, Abgang, wir sind die beste Audienz der Welt und wo wäre er ohne uns.

Ich habe alles über Entertainment gelernt und den Glauben an die Menschheit dafür eingetauscht.

Ob Ozzy Osbourne das toppen kann?

Ich hätte mir eher das hier anschauen sollen, dann hätte ich die andere Hälfte der Lektion über Entertainment gelernt... Dumm gelaufen: