Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ein seltsames Flüstern, kleine Explosionen"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

15. 6. 2014 - 16:32

Ein seltsames Flüstern, kleine Explosionen

Der Song zum Sonntag: Hundred Waters - "Murmurs"

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Eine Band, in der extrem viel los ist, es wuselt und vibriert, der es dabei glückt, stets Bescheidenheit, innere Ruhe und Höflichkeit auszustrahlen. Man möchte es vielleicht nur kaum glauben: Die Information, die man in Bezug auf die Band Hundred Waters wohl auch noch für die nähere Zukunft als erste erhalten wird, ist die, die besagt, dass sie der erste Act waren, den Bro-Step-Sprengmeister Skrillex bei seinem Label OWSLA unter Vertrag genommen hat. Außerdem: Hundred Waters sind der einzige Act in ebenjenem Stall, der nichts mit funkensprühender EDM am Hut hat.

Diese freilich nur scheinbar seltsame Zusammenarbeit ist klarerweise gut für alle Beteiligten. Hundred Waters dürfen (verdiente) Aufmerksamkeit einfahren, Skrillex kann sich auch mal von der feingeistigen Seite zeigen. Zwar interessieren sich Hundred Waters nicht für die schrillen Knalleffekte auf dem Dancefloor, Drops und dicke, fette Beats - die Elektronik an sich spielt bei ihnen aber schon eine große Rolle. Nun: Bei wem tut sie das heutzutage nicht? Wie man so hört, ist sie auch schon bei Mando Diao angekommen.

Hundred Waters

Hundred Waters

Das Quartett Hundred Waters setzt mit spitzen Fingern und höchster Konzentration einen digitalen Folk zusammen, extrem kleinteilig und filigran gearbeitet, in dem Naturgeräusche, Lagerfeuer, Flöten, Wald- und Wiesen-Ambiente und das Rattern und Knattern der Maschine sowie schwülstige Synthesizer merkwürdige Allianzen schmieden. Hybridisierungen wie man sie sich so ungefähr zwischen Björk, Múm, dem Animal Collective, Glasser, Julia Holter und Stereolab vage zusammenträumen könnte. Benannt hat sich die ursprünglich aus Gainesville, Florida stammende, inzwischen in Los Angeles beheimatete Band übrigens nach Friedensreich Hundertwasser - was ausdrücklich nicht nichts bedeuten will.

Hundred Waters haben mit ihrem zweiten, gerade erschienenen und sehr guten Album mit dem schon Magisches verheißenden Titel "The Moon Rang Like A Bell" einen detailreichen Märchenpark entworfen. Aber eher einen der oldschooligen Prägung; einen, den man auf einer Mini-Eisenbahn sitzend im gemächlichen Tempo durchquert. So etwas wie offensichtliche Hits gibt es auf "The Moon Rang Like A Bell" nur kaum, die Ideen, die Stücke fließen passagenhaft ineinander, es ist ein großes, kleines Abenteuerland, ausstaffiert mit putzigen Figürchen und niedlichen Soundeinfällen an jeder Ecke.

Das beste, symptomatischste und dann doch ein wenig herausragende Stück auf der Platte ist die Nummer "Murmurs". "Murmurs" - der Titel allein ist da schon aussagekräftig: Die Musik der Hundred Waters ist ein nebulöses Gemurmel, geprägt durch Uneindeutigkeiten, ein Raunen und ein spukhaftes Flüstern aus dem Gebälk. Das alte Haus, es ächzt, es stöhnt schon. Ein Wabern und Blubbern.

Hundred Waters

!K7

"The Moon Rang Like A Bell" von Hundred Waters ist bei !K7 erschienen

In der Abteilung für Spezial-Geräusche ist hier so einiges zu erleben: Die Eisenbahn ist müde geworden und lässt Dampf ab, Explosionen gehen hoch und meistern dabei das Kunststück, gar lieblich zu tönen: Weniger "Armageddon", eher ein ganz frühes C-64-Spiel, in dem ein Teddybär Minen-Arbeiten der Liebe verrichten muss.

Die Stimme von Sängerin Nicole Miglis - eines der Alleinstellungsmerkmale der Hundred Waters - ist hier besonders schön in diversen Facetten herausgearbeitet. Mal ganz klar, deutlich und zerbrechlich, dann wieder geloopt, verfremdet, manipuliert, lautmalerisch als bloßer weiterer, fast schon entmenschlichter Sound eingebaut. Nicole Miglis singt wunderbare Zeilen wie: "Yesterday Was Your Birthday - Happy Birthday!" und, ganz prominent: "I wish... you would see what I see". Man muss das alles aber gar nicht so genau verstehen. Leise Polizei-Sirenen erklingen im Hintergrund. Was ist geschehen? Eine Band voller Rätsel, ein abruptes Ende. Ein Song ohne Lösung, ein mulmiges Gefühl, ein kleiner Tod.