Erstellt am: 14. 6. 2014 - 14:51 Uhr
Der lange Schatten des Krieges
Schwarz ist die Farbe ihrer Flaggen und Uniformen und sie breiten sich wie ein Schatten über das ganze Land aus. Die irakische Fraktion der Gruppe "Islamischer Staat im Irak und Syrien" ist auf einem rasanten Eroberungszug. Bekannt wurde die sunnitsche ISIS vor allem durch ihre Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg, wo sie nicht nur gegen die Regierung des Machthabers Baschar al-Assad, sondern auch gegen die Rebellen kämpfte. Jetzt wo in Syrien nach den Wahlen scheinbar Ruhe einkehrt, ist der benachbarte Irak Brennpunkt der Nahen Ostens.

FM4/Irmi Wutscher
Der Club der Verlierer
Die ISIS im Irak ist kein spontaner Zusammenschluss von Dschihadisten. Mittlerweile ist die Gruppe komplexer und heterogener erklärt Irak-Expertin Tyma Kraitt: "Sie besteht aus vier Fraktionen: der ISIS, der Al-Kaida im Irak, aber auch den sunnitschen Stammesführern und Soldaten der ehemaligen Armee."
Die ISIS präsentiert sich in den Medien und auf ihren Facebook und Twitter-Seiten als einheitlicher Block. In der Realität ist sie aber mehr ein Zweckbündnis unterschiedlicher sunnitischer Gruppen. Seit dem Ende des Irak-Kriegs ist die Unzufriedenheit unter den Sunniten gewachsen. Sie fühlen sich von der schiitisch-dominierten Zentralregierung in Bagdad und den Kurden im nordirakischen Autonomiegebiet Kurdistan diskriminiert.
"Dieser Frust wurde im Arabischen Frühling sichtbar, wo es auch vor allem in den sunnitischen Provinzen Demonstrationen gab. Allerdings wurden diese brutal unterdrückt." sagt Tyma Kraitt.
Heimische Fremdmächte
Durch die Repressionen der Regierung haben sich Teile der sunnitischen Bevölkerung radikalisiert. Das hat wiederum dazu geführt, dass die Sunniten noch stärker von der schiitischen Regierung in Bagdad marginalisiert wurden. "In manchen Regionen sind die Menschen so sehr radikalisiert, dass sie die ISIS-Kämpfer zum Teil bejubeln."
Die irakische Armee hingegen wird in sunnitisch geprägten Regionen mehr und mehr als eine Fremdmacht wahrgenommen. Deshalb gab es beim Einmarsch der ISIS-Kämpfer in Mossul nicht nur Flüchtlinge, sondern auch feiernde Gruppen

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Das Erbe des Krieges
Für Tyma Kraitt sind die Entwicklungen der letzten Monate nicht überraschend. Der Irak-Krieg in der Bush-Blair-Ära hat das Land nachhaltig destabilisiert. Bis heute leiden die Bevölkerung und der Staat unter den Folgen des Krieges. "Die schwachen staatlichen Strukturen basieren auf ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeit" sagt sie. Die ISIS-Kämpfer profitieren von dieser Atmosphäre und präsentieren sich als die Erlöser der Sunniten.
Der Krieg hat auch die sozialen Ungleichheiten im Land weiter verschärft. "Einer der vielen Fehler der Besatzungsmächte war die Auflösung der irakischen Armee. Dadurch gab es eine große Gruppe an jungen arbeitslosen Männern." sagt Kraitt. Es sind unter anderem diese jungen Männer, die mit ihrer Erfahrung die ISIS-Kämpfer unterstützen.
Das Trauma von Bagdad
Das Zweckbündnis rund um die ISIS-Kämpfer verfolgt nun vor allem ein Ziel: die Eroberung Bagdads. "Da geht es nicht nur um das politische Zentrum, sondern auch das kulturelle und historische Erbe der Stadt" sagt Kraitt. Der Verlust der Hauptstadt, die unter dem Regime Saddam Husseins sunnitisch dominiert war, bleibt weiterhin ein großes Trauma für viele Sunniten. Das liegt auch daran, dass Teile der sunnitschen Bevölkerung während der Besatzungszeit aus der Hauptstadt vertrieben wurden.
Die Eroberung Bagdads ist also nicht nur ein politisches Ziel, sondern auch ein Stück Traumabewältigung. Ob es dieser Koalition der Verlierer des Irak-Kriegs tatsächlich gelingt die Hauptstadt zu erobern, ist zweifelhaft. Außerdem ist fraglich, wie lange dieses Zweckbündnis ideologisch unterschiedlicher Gruppen ihren Zusammenhalt bewahren kann. Dennoch offenbart der bisherige Erfolg der ISIS den schwachen irakischen Staat und zeigt, dass auch nach dem Ende des Irak-Kriegs kein Frieden herrscht.