Erstellt am: 14. 6. 2014 - 14:23 Uhr
Didi und Stulle als Oper
Und warum auch nicht ? Die Oper hat ihre Stoffe ja schon immer der Literatur entnommen, die Barockoper bezieht ihr Personal gerne aus Götter- und Heldensagen und so war es nur eine Frage der Zeit bis "Didi und Stulle", die berlinernden Schweine, den Comic verlassen und auf der Opernbühne landen.
Didi und Stulle sind Prototypen des Berliner Prolls und kommen aus dem problembehafteten Märkischen Viertel, einer Hochhaussiedlung am Rande Berlins. Didi ist dumm, dick und angeberisch, Stulle hingegen klein und schüchtern. In den ausufernden Wortgefechten mit Didi unterliegt er regelmäßig. Didi ist latent schwul, traut sich aber nicht, was er durch homophobe Sprüche zu kaschieren versucht. Gleichzeitig sind die beiden sehr sensibel was ihre Freundschaft angeht, so dass es auch Krisen und Kränkungen gibt.
Diese Figuren des Comic-Zeichners Fil berlinern sich in der Stadtzeitschrift "zitty" seit siebzehn Jahren mit Wortwitz, Kalauern und philosophischen Betrachtungen durch sämtliche Welten vom Hades zum Nordpol, ins All und nach Sachsen-Anhalt.
![© Neuköllner Oper Didi und Stulle auf der Opernbühne, Comiczeichnung](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140624/stulle2_body.jpg)
Neuköllner Oper
An der Neuköllner Oper nun also eine Barock¬Oper, Donnerstagabend feierte man die Premiere.
Natürlich ist es total albern, wenn nach der Ouvertüre das Rezitativ mit den Zeilen "In letzter Zeit wix ickma übrigens imma öfta een uff Telefonnummern ab" oder eine Arie "Im Frühling, Alta, kriegst nen Dicken" heißt. Aber dem Komponisten und musikalischen Leiter ist es gelungen, ein Genre gleichzeitig zu parodieren und zu erfüllen. Die Sänger können wirklich singen, Streichquartett, E-Gitarre und Schlagzeug schaffen retrobarocke Klangmonumente und schwenken dann gekonnt zu Heavy Metal, Disco, dem Schreittanz mit Blockflöte oder Hip Hop über.
Da zwischen dem großen, grobschlächtigen Didi und dem kleinen, schüchternen Stulle auch auf der Bühne der Größenunterschied gewahrt werden muss, singt und rutscht Stulle durchgehend auf Knien über die Bühne. Didis schöner voller Bass driftet lediglich bei den Hardrockeinlagen ins Rammsteineske ab. Dabei erinnert seine Gestik stark an die Comediens Tom Gerhardt. Aber vielleicht kennt man im Bühnenfach nur eine einzige Proll-Körperssprache?
![© Legendär die Dogma-Ausgabe von 1997 Foto Katja Reichard Didi und Stulle erste Zeichnung](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140624/Stulle1_body_small.jpg)
Legendär die Dogma-Ausgabe von 1997 Foto Katja Reichard
Hervorragend besetzt sind auch die Nebenfiguren, die Sängerinnen zeigen als Hipster-Studentin, Käfer, Friedrich Nietzsche und Gott schauspielerisches Talent, intonieren mit glockenhellem Sopran auch im Liegen, beim Strampeln und als Puppenspielerin schwierige Passagen sicher.
Bei der Ausstattung und Kostümen hat man sich von der Barockmode inspirieren lasen. Didi und Stulle stecken in Rockshirts und Reifröcken - und unter einer Krinoline lässt sich ja seit jeher so einiges verstecken. Beim schwanzfixierten Didi sind es gleich ganze Penisdarstellerinnen. Dem Comicgenre wird mit Sprüchen und Denkblasen auf Pappschildern Rechnung getragen. Das Bühnenbild deutet mit räumlich versetzten Vorhängen die Prospekte der Barockoper an.
Nur das sprachliche Genie des Comiczeichners Fil geht in der Opernfassung ein wenig unter. Sein großer Verdienst, die phonetisch präzise Verschriftlichung des Idioms ("Ey dit darf dô echt ma wieder né wahr") kann naturgemäß auf der Bühne nicht sichtbar gemacht werden und viele der genial erfundenen Fil- Berlinismen á la "Jawollomatchen Keulo" gehen im Koloraturgesang unter.
Und natürlich hat so eine Barockoper auch ihre Längen, aber grade als man anfangen will sich ein klein wenig zu langweilen, tut sich wieder eine neue, surrealistische Szenerie auf. Zum Beispiel die Hölle: Ein verrauchter Ort, wo Easy Listening gespielt wird und Didi kartonstapelnd Sisyphusarbeit leisten muss. Aber am Ende siegt die Freundschaft sogar über die Hölle und im großen Schlusstableau findet man sich harmonisch im Quartettgesang zusammen.
So geriet Didi und Stulle zu einer heiteren Opera Buffa, einem echten Spektakel, einer Volksoper im besten Sinne, die durchaus das Zeug hat auch Musiktheaterskeptiker und wenig opernaffine Menschen mal in die Neuköllner Oper zu locken.
Das Premierenpublikum war rundweg begeistert, der anwesende Zeichenkünstler Fil, der außer der Comicvorlage nichts mit der Produktion zu tun hatte, zeigte sich sehr zufrieden über die musikalische Fleischwerdung seiner Figuren und das beseelte Premierenpublikum stand nach der Vorführung noch lange in angeregter, heiterster Stimmung im Hof der Neuköllner Oper zusammen.
![© fil, Leseprobe abdruckfrei Ein Didi und Stulle Comic](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140624/stulle3_body.png)
fil, Leseprobe abdruckfrei