Erstellt am: 14. 6. 2014 - 13:24 Uhr
Mitmachstaub
Das Nova Rock 2014
Unter den Flügelmonstern
Eine Ankunft unter großem Himmel und einige Fragen, religiöse und herzensbildende Grundsätzlichkeiten verhandelnd.
Mitmachstaub
Tag Eins. Crazy Town, Irie Révoltés, Steel Panther, Casper, Limp Bizkit und The Prodigy
Novelties
Samstagnachmittag - Emergency Case, Ghost, Awolnation
Bedingungslose Liebe
Geschichten von Maiden ... für jeden
"So schlecht, dass es schon wieder gut ist"
Hasseling with The Hoff
Gründerzeit
Tag Drei. Die Gründer und die Versöhnung: Black Sabbath, The Offspring, Soundgarden, Bad Religion,...
Gefühlt liegt die zweite Bühne ("Red Stage") des Nova Rock in einem anderen Land, das im vorletzten Jahrhundert noch zu Österreich gehört hat, etwa im Banat, weshalb der Weg zwischen den Bühnen ein Konzert lang dauert. Dazwischen tummeln sich die bunten Tribal People bei allerlei Übergangsriten: Heiraten, Karussellfahren, Halsmassieren, Tätowieren (o.k., mit Edding beschriften), Ausziehen, Schulterreiten, SovielsaufendassmandenHeadlinerverpasst, sich in einer Riesendusche in Form eines Colaspenders komplett nass machen, Metwetttrinken, mit Sonnenbrandblasen übertreffen, probieren, ob man in einem Ganzkörperbärenkostüm überlebt oder, ganz ekelhaft, fremde Frauen mit Wasser aus Gummipenissen bespritzen. Die bisherigen Bands der Hauptbühne (der "Blue Stage") sind nicht gerade "Metal" und zu Sepultura müsste ich eine dreitägige Reise mit der Postkutsche auf mich nehmen.
Crazy Town
Die Zeit, in der sich Metal (oder die Post Punk/Grunge Version davon) mit HipHop verheiratete, hatte ihre glaubwürdige Phase mit RatM, ihre kommerzielle Exploitation-Phase mit Limp Bizkit und ihr One Hit Wonder mit "Butterfly" von Crazy Town. Wie viele One Hit Wonder-Bands aus der Vergangenheit haben auch diese Jungs einen der Nachmittagsslots auf den großen Festivals, einen Anheizerslot, der eigentlich einer jungen, hungrigen Band gebühren würde. Crazy Town haben ihre tätowierten Arme, ihr HipHop-Tuntablist-Set (mit einem Sample von Bane aus "The dark knight rises") und ihren One Hit. Keine ganz schlechte Band, auch gute Stimmung (wieder mit Gummipenis), eigentlich aber ein verschenkter Slot.
Irie Révoltés
Die deutsch- französische Truppe ist auf dem Papier ja auf der guten Seite: Politisch engagiert, musikalisch offenherzig, mit großen Plattensammlungen voll der anderen Bands, die auf der guten Seite sind, spaßwillig, spontan, dringlich. Das funktioniert auch echt gut. Ihr Slogan "Allez" (immerhin das erste Wort der Marseillaise) wird sogleich von tausend Kehlen wiederholt, ihre Aufforderungen zum Mitsingen, Mittanzen, Hüpfen usw. werden bereitwillig befolgt, zu ihrem Ska/Reggae/Punk/Soul/Dancehall/Usw. lässt sich trefflich tanzen und toben, die von Ö3 verteilten Aufblasegitarren fliegen lustig durch die Luft, die Gummipenisse spritzen vergnügt, alle singen "travail" und "danser". Mir ist das offen gesagt zuviel Mitmachkarneval, Culcha Candela von links, ich kann sie gut finden, aber die Liebe will nicht kommen. Ein Teil von mir rügt die Vorurteile, die ich gegen französischstämmige Weltmusik-Bunttruppen mit mir spazieren trage, der andere Teil sehnt sich die Asian Dub Foundation zurück.
Bei aller Protestniedlichkeit schaue ich mich, wie immer, nach besonderen (o.k., besonders blöden) T-Shirt-Sprüchen um und entdecke ein etwa 14-jähriges Mädchen, das aus einem Holzfällerhemd mittels liebevoll drapierter Seidenlettern ein Fan-T-Shirt gebastelt hat: Steel Panther. Wer so etwas schönes bastelt, meint es ernst, aber bei Steel Panther WTF? Also schnell eine Postkutsche in den Banat gemietet und auf zur niederträchtigsten Band des Planeten
Steel Panther
Ich lasse mich ja gerne beeindrucken, von Authentischem und Ausgedachtem, von Edelmütigem und Niedeträchtigem, von besonders Schönem oder besonders Hässlichem. Steel Panther hatte ich vor 2 Jahren nicht gesehen, nur Backstage beim rumhängen beobachtet und meine kleinen Bedenken gegen das Nachstellen des sexistischen L.A.-Sleaze der Achtziger geäußert. So haben diese grindigen Dillos auf den ersten Blick in ihrer Konsequenz etwas beeindruckendes: Normalerweise sagt meine Generation oft "like Punk never happened", das hier hat sämtliche Errungenschaften der Neuzeit ignoriert, Witz, Stil, musikalische Innovation, Emanzipation, von selbstverständlichen Sexismus Lektionen eines fast jeden halbwegs außerhalb von Fundikreisen aufgewachsenen Menschen nicht zu reden. Aber meine Befürchtungen, ich könnte am Ende an dem Mist was gutes finden (etwa gar die Musik, so etwas passiert ja gerade im Pop gar nicht selten), sind schnell zerstreut: Die Deftigkeit und Derbheit ihrer inszenierten Tabubrüche greift völlig ins Leere, das Bühnenbild, bei dem einer in einen Aerobic Bikini gekleideten Frau zwei Metallkugeln aus der Hose rausschauen ("Balls out" hihi), die Songtitel "Pussy Wet" oder "Asian Hooker", das Showschminken, Schwanzgreifen, Männerbündeln und Pussylickenreden führt so weit, dass zwischen den Songs eine Gag-arme Standupshow von rund zwölf Minuten die gesamte Ödnis dieser nachgestellten "Tongue In Cheek"-Version der Mötley Crue-Biographie ("Dirt") aufzeigt. Sogar den bierschwangeren Höhö-Sexisten im Publikum vergeht es bei so viel Bemühtheit. Genug. Ich bin den schwanzwedelnden Schweinehunden auf den Leim gegangen und tue ihnen den Gefallen, sie für den Untergang des Abendlandes zu halten, was mich wie Sarah Palin dastehen lässt, die sie zu Moral ermahnen will, dabei wollte ich sie nur zum abstinken ermahnen.
Schon vergessen. Steel wer? Wieder in der Postkutsche heim zur Blue Stage, wo die Herzensbildung von Casper bei Kollegin Susi abgefragt werden will.
Casper
Hier sind schon alle Herzen gebildet. Casper hat eine volle Rockband im Rücken, der Hiphop-Rock-Hochzeit zweiter Teil, und seine Hymnen klingen durch den Abend. Vielleicht ist das der heimliche Headliner des Abends. Er bekommt jedenfalls, wenn schon nicht die meiste Energie, so doch die meiste Liebe von den Leuten.
Limp Bizkit
Hochzeit HipHop und Metal, Teil 3: Von all den dünnhäutigen, weißen Jungkomplexlern, die in den Neunzigern den Metal-Mainstream umgekrempelt haben - Reznor, Davis von Korn, Manson, Zack von RatM - von all denen war Fred Durst sicher der geschäftstüchtigste. Er hatte eigentlich am wenigsten zu bieten: Ein dünnes Stimmchen, ein unglamouröses Pykniker-Aussehen, wenig musikalische Innovation, wenig Credibility. Trotzdem hat das "schlaffe Keks" dermaßen viele Platten verkauft, dass er es zeitweilig sogar zum Chef seiner Plattenfirma gebracht hat. Und ich alter Skeptiker muss heute zugeben: Der Mann ist cool. Cool im Sinne von unaufgeregt, überlegt, clever, souverän. Wes Borland sieht wie immer aus wie ein Ghoul, komplett schwarz bemalt mit einer martialischen Maske auf dem Kopf. Limp Bizkit brauchen ein wenig um das Eis zu brechen, aber mit seiner zarten, machistischen Coverversion für "the Ladies in the Audience" gelingt es ihm endgültig. George Michaels "Faith" - mit seinem dünnen Singstimmchen vorgetragen - bringt alle auf seine Seite. Dann gibt es nur mehr Hits, "Nookie", "My Generation" bis …
Durst steht ein bisschen wie ein begossener Pudel da, so wie ich, als ausgerechnet seine alten Kumpels aus L.A. Guns Zeiten, die leibhaftigen Steel Dingsbums die Bühne stürmen und nach allerlei Abklatschen und male bonding eine Hairmetal Version von "You really got me" abliefern - sie schaffen es selbst dieser unkaputtbaren Nummer noch etwas Langeweile und Leere abzuringen.
Nach diesem Intermezzo sagt Durst lakonisch "welche Coverversion wir auch spielen, das werden wir nicht toppen können" - und konterkarikierend beginnt das leise Jahrhundertriff von "Mission Impossible". Ich mochte das auf Platte nie besonders, auch weil hier schon wieder eine Band sich der simplen Tatsache verschließt, dass Lalo Schifrins Original im 5/4 Takt geschrieben ist und man dieses Riff nicht ungestraft in 4/4 reinquetschen darf. Aber heute spielen sie diese Nummer mit so viel Feeling, für ihre Begriffe fast zärtlich, mit einem schönen, wabernden Take-Down, aus dem sie dynamisch wieder raus finden. Die beste Nummer des Abends.