Erstellt am: 13. 6. 2014 - 16:39 Uhr
Über den Hiphop zum Film
Hörtipp
Am Freitag, 20. Juni sind Regisseur Sebastian Brameshuber und die Protagonisten von "Und in der Mitte, da sind wir" zu Gast bei Elisabeth Scharang im FM4 Jugendzimmer (19:00-20:30). Nach der Sendung gibt's das Jugendzimmer auch 7 Tage on demand.
Im Mai 2009 haben Jugendliche während einer Gedenkfeier im ehemaligen Konzentrationslager von Ebensee mit Luftdruckgewehren geschossen und "Heil Hitler" gerufen. Nationale und internationale Medien haben darüber berichtet. Sebastian Brameshuber war damals gerade in der Türkei mit den Dreharbeiten seines ersten Dokumentarfilms beschäftigt.
In Istanbul liest der 1981 in Gmunden (auf der anderen Seite des Traunsees) geborene von den Anschlägen auf das ehemalige KZ in Ebensee. Das war der Anlass, aber nicht der Auslöser für „Und in der Mitte, da sind wir.“ Auslösend war eher die Tatsache, dass er von der Existenz des Konzentrationslagers erst mit 20 Jahren erfahren hat:
„Bis zu meinem 19. oder 20. Lebensjahr war mir nicht bewusst, dass es in Ebensee ein KZ gab, aber ich bin unmittelbar daneben aufgewachsen, in ein paar Kilometer Entfernung davon. Ich bin jeden Tag mehr oder weniger mit dem Schulbus daran vorbeigefahren. Ich war dann absurderweise in Los Angeles, wie ich das erfahren hab. Freunde von mir haben ihren Zivildienst im Simon Wiesenthal Zentrum abgeleistet. Ich hab sie besucht und da war ein Zeitzeugengespräch mit einer alten Dame, die von ihrer Fluchtgeschichte durch verschiedene KZs erzählt und am Schluss gesagt hat, ihr Mann ist im KZ von Ebensee ermordet worden. Ich hab glaubt, ich spinn. Also das war dann schon so Moment, wo ich mir gedacht hab, da stimmt was nicht, das kann nicht nur vergessen sein, das muss verdrängt sein, das kann nicht einfach nur passieren, da gibt's eine Systematik dahinter.“
KGP Filmproduktion
Brameshuber beschließt, einen Dokumentarfilm über Jugend in Ebensee zu drehen. Er castet drei Jugendliche – Ramona, Michael und Andreas.
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Ramona lebt in jener Siedlung, die am Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers errichtet wurde. Sie möchte gegen den Willen ihrer Mutter mit der Schule aufhören, eine Lehre machen und arbeiten. „Musst es aber dann dein ganzes Leben machen, bis zur Pensionierung“, sagt ihr die Mutter. „Is eh egal“, gibt Ramona knapp zurück.
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Andreas kennt sich mit Waffen aus und spielt Gitarre. Beim Mopedfahren trägt er einen Helm im Wehrmachtstil. Bereiche, die ihn interessieren, sind Musik und Büchsenmacherei, sagt er beim Berufsberatungsgespräch. Nach der Auswertung eines multiple choice Tests schlägt ihm die Beraterin zu allererst Molkerei- und Käsefacharbeiter vor.
Sebastian Brameshuber ist nicht einfach nur mit der Kamera dabei, ganz im Gegenteil: er inszeniert die Bilder und Szenen bewusst, denn, so sagt er, es sei von Anfang an klar gewesen, dass man zu viele Leere Meter und Kilometer macht, wenn man einfach nur dabei ist. „Und dass es einen extrem starken Rahmen braucht, um Anflügen von jugendlicher Energie etwas entgegen zu setzen, etwas sehr Statisches, sehr Starres und sehr Reglementiertes.“
Gerade die Nüchternheit und der Rahmen, in dem einem die Protagonisten manchmal wie in einem Käfig erscheinen, führt zu starken Aussagen - über das hierarchische Eltern-Kind-Verhältnis, den Lähmungszustand österreichischer Bildungs- und Ausbildungspolitik, das Stillschweigen. Dinge, die sich gegen all das stellen, was Jugendlichkeit ausmacht: das Sprunghafte, das Energetische, das Unentschlossene. Wir sehen, wie den Jugendlichen die Zwangsjacke vermeintlich realistischer Zukunftsaussichten angelegt wird.
Während Eltern, LehrerInnen und BerufsberaterInnen die Jugendlichen zu Entscheidungen über die Zukunft drängen, fragt Sebastian Brameshuber nach der Vergangenheit. Eine Frau im Film bezeichnet den Anschlag auf die Gedenkfeierlichkeiten im Jahr 2009 als „Lausbubenstückl“, der Bruder von Andreas den Stollen als „Loch in der Mauer, mehr net“, ein Vater sagt, man solle sich eher den aktuellen Problemen stellen. Sie vertreten eine durchaus populäre Meinung: 56% der österreichischen Bevölkerung ist laut einer aktuellen Studie des Zukunftsfonds dafür, dass die Diskussion über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust beendet wird. Brameshuber klagt das nicht an, aber er zeigt, wie die Sprachlosigkeit im Umgang mit der NS-Zeit von Generation zu Generation weitergereicht wird.
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Michael, den dritten Protagonisten, lernen wir als Ratschenbua und großgoscherten Traditionalisten kennen, der bei einem in einer Unterführung angebrachten tag - Nazis raus schon mal das „raus“ wegstreichen und durch „forever“ ersetzen will. Später tritt er bei einem Dorffest als Michael Jackson Imitator auf. Am Ende des Films wird er ein kleinlauter Punk sein. Das Rasen zwischen widersprüchlichen Ideologien, der absurde Cocktail kultureller und popkultureller Artefakte - auch das zeichnet Jugend aus. Sebastian Brameshuber zeichnet aus, dass er diese Verwirrungen nicht als Peinlichkeit begreift, sondern seinen energetisch hochgeladenen Protagonisten mit ernsthafter Klarheit gegenübertritt.
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Während der Dreharbeiten in Ebensee habe er sehr viel über sich selber nachgedacht, auch über seine eigene Jugend. „Das ist in all meinen Filmen ein Thema – auch bei Muezzin – woher kommt man, wohin geht man, wie wird man zu dem, was man ist,“ sagt Sebastian Brameshuber, der in seiner Jugend nicht mit Hochkultur in Berührung gekommen ist.
„Warum zum Beispiel bin ich zum Hiphoper geworden? Ich war ein großer Amerikafan und Basketballfan. Und dann waren die schwarzen Basketballspieler und die Musiker. Meine Schwester hat einen Freund gehabt, der Hiphop DJ war und dann bin ich irgendwie selbst zum DJing gekommen. Ich war dann in einer Gruppe, in der das richtig ernsthaft betrieben wurde, mit Graffiti und DJing, und MCing und Breakdance und dann bin ich irgendwie über die Schiene zum Filmemachen gekommen. Ursprünglich komme ich nicht aus einem kulturell sehr interessierten Elternhaus.“
Man muss nicht nach Hollywood
Am Anfang seines Studiums (Bühnenbild) stößt Brameshuber über einen Freund auf die Arbeiten des 15 Jahre älteren Künstlers und Filmemachers Thomas Draschan und ist begeistert über die Möglichkeiten („Wow, da brauch ich ja gar nicht nach Hollywood gehen!“). Gemeinsam realisieren sie als „The Ford Brothers“ Musikvideos und Experimentalfilme. 2009 präsentiert er seinen ersten Dokumentarfilm: „Muezzin“. Der Film dokumentiert die Arbeit der Muezzine, begleitet die Vorbereitungen zum nationalen Muezzin-Wettbewerb, gibt der medialen Kennmelodie des Orients ein Gesicht.
Während derzeit sein zweiter Dokumentarfilm „Und in der Mitte, da sind wir“ in den Kinos läuft, arbeitet Brameshuber bereits an der Finalisierung des nächsten Films, einer formal noch konsequenteren dokumentarischen Arbeit über drei Nigerianer, die versuchen, in der Obersteiermark ihr Geld mit Gebrauchtwagenhandel zu verdienen. Und er absolviert ein zweijähriges Post graduate Studium an einer Kunstuniversität in Frankreich.
„Ich bin froh, dass ich mir das gönnen kann und ich will mich nicht jetzt schon auf irgendetwas festlegen. Ich hab Spaß an dem, was ich mache und ich überleg mir sehr genau, wie ich etwas erzähle und mit welchen Bildern. Ich habe einen sehr hohen Anspruch an Form und Inhalt und ich arbeite immer sehr genau und sehr lang, aber ich will das nicht auf eine Formel runterbrechen. Vielleicht, wenn ich das mit 50 noch immer nicht kann, gibt’s ein Problem. Vielleicht ist es aber auch wurscht. Wenn man zum Beispiel anschaut, wie wendig Jean-Luc Godard im Filmemachen ist, was der für Filme mit über 80 noch rausschießt, denk ich mir, es ist super, wenn man sich das bewahrt.“