Erstellt am: 23. 6. 2014 - 12:07 Uhr
Heißer Sommer, kaltes Grauen
dtv
Wenn es einen Preis für die absurdeste Buchdekoration gäbe – das Debüt von Valentina D'Urbano hätte ihn verdient. Ein auf ärmlich gebürstetes Mädchen in schwarzem Kleid ziert das Sepia-Cover. Barfuß, in der Hand einen Regenschirm, den melancholischen Blick in die Ferne gerichtet. Zur Draufgabe prangt darüber in fetten Lettern der Tränendrüsentitel der Geschichte: „Mit zwanzig hat man kein Kleid für eine Beerdigung“! Schnief. Aber jetzt die gute Nachricht: Wieso man diesen Roman trotzdem lesen kann, erschließt sich schon auf Seite 1. „Mit zwanzig..." handelt von Bea und Alfredo und ihrem Aufwachsen in einem Viertel, das alle nur „Die Festung“ nennen. Am Rand von Rom leben die zwei im ärmlichen Gegenstück zu dem, was wir heute Gated Communities nennen.
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Die Festung, das Viertel „La Fortezza“, ist eine Ansammlung besetzter Häuser. Hier haben sich Leute niedergelassen, die Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten, von denen es aber zu wenige gibt. Kurz nach Kriegsende haben also Arme einen Haufen Neu- oder eher Rohbauten gekapert und leben jetzt in den Siebziger Jahren so sehr unter sich, dass sich nicht einmal die Polizei hereintraut. Gewalt, Drogen, Arbeitslosigkeit, Armut, Alkohol sind die Zutaten zu Alfredos und Beas armseliger Kindheit. Könnte man annehmen, im Vorbeigehen diagnostiziert mit dem sorglosen, hochnäsigen Blick der Gegenwartseuropäerin. In Beas Aufzeichnungen ist es einfach eine holprige Kindheit – eine andere kennt sie ja nicht. Persönlich bedeutet das in der Kurzfassung: Alfredo wohnt im selben Haus und wegen seines Horror-Vaters zwischendurch bei Bea und ihrer Familie. Gemeinsam ziehen sie unerschrocken durch Tag und Nacht, erst zwei Kinder mit zu kurzen Hosen und zu kleinen Patschen. Später zwei Teenager mit den Hobbies Gras rauchen und cool sein. Ans Meer kommen sie nicht, auch wenn Beas Vater jedes Jahr Strandurlaub in Aussicht stellt.
Die Zukunft? Selbstverständlich unheimlich.
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Bea und Alfredo streifen durch verlassene Häuser und spielen ausdauernd verstecken, wenn dichter Nebel über ihrer Siedlung hängt. Viel dringender aber noch streiten sie. Die ganze Zeit. Und bleiben dann doch wieder aneinander hängen, weil sie sich, wie die Autorin es einmal nennt, „aneinander infiziert“ haben. „Die Zwillinge“ werden sie von den anderen genannt und verstehen doch nicht mal selbst, was sie so zusammenschweißt. Bea jedenfalls versteht's nicht, sie ist es auch, die ihre Kindheit vor uns abspult. Anlass dafür ist ein Begräbnis – das von Alfredo. Er ist tot und das war jetzt kein Spoiler: Die titelgebende Beerdigung ist der Auftakt zu Beas Erinnerungen mit trotzdem ungewissem Ausgang. Atmosphärisch jedenfalls, weil man Gefahr läuft, zwischendurch das Buch rütteln zu wollen, weil wieso verdammt schaffen sie's nicht raus von dort, wieso passieren all diese Dinge so unausweichlich – die ersten Prügel, die erste Arbeitslosigkeit.
Die Antwort liefert Autorin Valentina D'Urbano aber eh in jedem Satz mit – weil die Dinge hier eben immer schon so waren wie sie sind. Weil es für Bea und Alfredo keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie vor den Toren der "Festung" eine Chance hätten. Valentina D'Urbano ist selbst noch keine Dreißig, auch in kleinen Verhältnissen groß geworden und schreibt hier aus der Perspektive ihrer Elterngeneration. Vielleicht schärft genau das ihren Blick für die Vergangenheit. Mit Geburtsjahr 1985 gehört sie nämlich schon zu jenen, die auch ohne Erbschaft studieren können, auf Erasmus gehen und Schreibwettbewerbe gewinnen. Noch.