Erstellt am: 13. 6. 2014 - 11:31 Uhr
Wir sind Ungleichbehandlung
Wenn am Samstag die Regenbogenparade über die Wiener Ringstraße zieht, erlebt Österreich zum 19. Mal eine für "Christopher Street Day"-Paraden typische Mischung aus Party und Protest. International wird die Veranstaltung seit den siebziger Jahren begangen. Auslösender Moment dafür war eine gewalttätige Aktion der New Yorker Polizei gegen ein von Homo- und Transsexuellen frequentiertes Lokal.
In der Nacht auf den 28. Juni 1969 führten neun Polizisten eine ihrer üblichen Razzien im „Stonewall Inn“ durch. Die Beamten behaupteten, in dem Lokal würde ohne Lizenz Alkohol ausgeschenkt. Sie nahm die Angestellten fest, trieb die Gäste auf die Straße und schloss den Club. Doch anders als bei früheren Polizeiaktionen zerstreuten sich die Gäste diesmal nicht, sondern blieben auf der Straße stehen, um zu sehen, was weiter passieren würde. Die vor Ort verbliebenen Polizisten wurden von der Menge mit Flaschen und Münzen beworfen, woraufhin sie sich im Lokal verbarrikadierten. Als die Menge versuchte, die Bar zu stürmen, zerschlugen und verwüsteten die Cops die Einrichtung, setzten das Lokal unter Wasser und zogen schließlich - durch herbeigerufene Verstärkung beschützt - ab.
Noch in derselben Nacht hängte an der Tür des "Stonewall Inn" ein Schild , das die Wiedereröffnung des Lokals für denselben Abend ankündigte. Zur Eröffnung versammelten sich immer mehr Leute vor dem Club, riefen Parolen, umarmten einander und küssten sich - eine Offenheit, wie man sie vorher in New York nicht gesehen hatte. Der Polizei gelang es vorerst nicht, die Menge zu zerstreuen - Lesben, Schwule und Transsexuelle hatten das Viertel erobert. Der Name der Straße, in dem sich das Stonewall Inn befindet - die Christopher Street - wurde zum Symbol für die moderne Schwulenbewegung.
Paraden als Protest
Die meisten Paraden, die seit den siebziger Jahren in Erinnerung an die Ereignisse rund ums Stonewall Inn abgehalten werden, heißen „Christopher Street Day“ oder CSD. In Wien läuft die Parade unter dem Namen "Regenbogenparade" seit 1996 - doch kleinere Straßenumzüge, Protestaktionen und Infostände anlässlich des Christopher Street Day gab es schon seit 1981. Für die österreichischen Aktivistinnen und Aktivisten war das nicht ungefährlich, waren sie doch durch Strafgesetze gegen „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts“ und „Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht“ bedroht - Gesetze, die den heute vielkritisierten Bestimmungen gegen "homosexuelle Propaganda" in Russland sehr ähnlich waren. Sie wurden in Österreich erst 1997 - gegen den Widerstand der ÖVP (aber mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ, Grünen und dem damaligen LIF) abgeschafft. Somit standen also auch die Organisatoren der ersten Regenbogenparade im Jahr 1996 mit einem Bein im Gefängnis.
Tolerwas?
Im Jahr 2014 stellt sich das offizielle Österreich als europäisch und weltoffen dar. Conchita Wurst dient gleichermaßen dem Bundeskanzler und der Mainstream-Presse als Symbol für das „tolerante“ Österreich. Auffällig ist, wie oft von Toleranz, wie selten aber von Akzeptanz gesprochen wird. Toleriert zu werden heißt, gerade noch geduldet zu werden. Akzeptiert aber wird das, was angenommen und verstanden wird. Gerade anlässlich des schönen Erfolgs von Conchita Wurst müssen wir noch dringender die Frage stellen: Wie diskriminierungsfrei geht der österreichische Gesetzgeber mit homo- und transsexuellen Menschen um? Dass es auch 2014 noch genügend Gründe gibt, unter Protest auf die Straße zu gehen und die Regenbogenparade nicht nur als große Party zu verstehen ist, zeigt sich, wenn man nur einige der zu beseitigenden Ungerechtigkeiten auflistet.
40 Ungleichbehandlungen
Zwischen Ehe und Eingetragener Partnerschaft existieren nach wie vor 40 diskriminierende Ungleichbehandlungen Homosexueller. Die komplette Liste umfasste ursprünglich 80 Punkte, die mühsamst über selbst finanzierte Gerichtsverfahren Betroffener am Verfassungsgerichtshof und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bekämpft wurden und werden – nachzulesen auf der Website des Rechtskommittee Lambda.
Vielleicht am schwerwiegendsten sind das Verbot medizinisch unterstützter Fortpflanzung sowie das Verbot der Fremdkindadoption für verpartnerte Homosexuelle, während eine Fremdkindadoption nicht nur für Ehepartner, sondern auch für alleinstehende Personen legal ist. Des weiteren existieren Benachteiligungen Homosexueller im Pensionsrecht und bei den Kinderzulagen für die Betreuung der Kinder verstorbener Partner. Lösen homosexuelle Partner eine EP auf, so ist keine gerichtliche Übertragung des Mietverhältnisses möglich, wie das in der Ehe der Fall ist. Leben eingetragene Partner im Ausland, ist das anzuwendende Recht abhängig vom Aufenthalt, nicht wie bei Ehe von der Staatsbürgerschaft.
Eingetragene Partner verlieren nach wie vor ihren Familiennamen und werden durch eine neue Namenskategorie („Nachname“) gekennzeichnet, was auf Formularen einem Zwangsouting gleichkommt. Für die Partnerschaftsbegründung Homosexueller ist nach wie vor die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig und nicht, wie für die Eheschließung, das Standesamt. Immerhin: In letzterem Punkt hat Justizminister Wolfgang Brandstetter eine Änderung versprochen – die einzige allerdings, dabei gäbe es so viel zu tun.
Familienvielfalt
Barbara Schlachter von Familien Andersum (FamOS) wünscht sich, dass Pädagoginnen und Pädagogen in den Kindergärten und Volksschulen hinsichtlich Familienvielfalt ausgebildet werden: „Diese sollten kompetent die Kinder aus Regenbogenfamilien unterstützen können. Familienvielfalt muss Thema in Kindergarten und Schule sein.“ FAmOs ist es gelungen, ab Herbst in Wien selbst Fortbildungsseminare zu diesem Thema anzubieten und man zeigt sich erfreut, dass neben der Stadt Wien auch weitere Träger von Kindergarteneinrichtungen Interesse dafür zeigen.
FamOS fordert weiters die automatische Elternschaft bei Inanspruchnahme von medizinisch unterstützter Fortpflanzung ab 2015, und eine Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge für Elternpaare, die sich vor Einführung der Stiefkindadoption im August 2013 getrennt haben, aber nach wie vor gemeinsam für ihre Kinder zuständig sein wollen. Die Fremdkindadoption bleibt für Schlachter eine zentrale Forderung. Aber auch für bereits in Österreich lebende adoptierte Kinder, die im Rahmen der Einzeladoption von homosexuellen Menschen adoptiert worden sind, müsse als erster Schritt eine Sukzessivadoption ermöglicht werden, damit Partner/innen des Vaters oder der Mutter als zweiter Elternteil gesetzlich anerkannt werden können.
©Christoph Weiss
Pride Village
Im rund um die Regenbogenparade stattfindenden "Vienna Pride"-Village am Rathausplatz bietet FamOS diese Woche unter anderem kostenlose Rechtsberatung für Interessierte. Im Village sind auch zahlreiche andere NGOs präsent, etwa die „Austrian Gay Professionals“ (AGP) und deren weibliches Pendant „Queer Business Women“. Diese beiden Vereine bilden sich aus homosexuellen Unternehmern und haben es sich zum Ziel gesetzt, die Akzeptanz und Wertschätzung Homosexueller im Arbeitsumfeld zu fördern. „Es ist immer noch so, dass in der Firma am Montag gesagt wird ‚Und was hast du am Wochenende gemacht?‘“, sagt Hans von AGP. „Viele Schwule trauen sich dann nicht, zu sagen, ich war mit meinem Freund da und dort.“ Das Versteckspiel koste viel Kraft, die dann fehle, sich im Unternehmen zu integrieren und zum Unternehmensziel beizutragen. Entsprechend wirtschaftsorientiert sehen sich AGP und Queer Business Women selbst – und sie sind international gut vernetzt durch Treffen mit Organisationen aus anderen Ländern.
Das gesamte Programm der Vienna Pride findet ihr hier.
Vienna Pride und Regenbogenparade beweisen durch die Vielfalt ihrer Teilnehmer/innen vor allem eines: Dass sich homo- und transsexuelle Menschen in Österreich nicht über einen Kamm scheren lassen. Auch wenn in der Berichterstattung am Tag nach der Parade wieder der Eindruck von pompösen Verkleidungen, nackter Haut und Party dominieren wird, so handelt es sich bei der Pride Woche um politischen Aktionismus und Protest.