Erstellt am: 11. 6. 2014 - 16:48 Uhr
Die fast komplette Erwachsenwerdung in 3D
So schön und so bilderbuchhaft ist die Geschichte vom Empowerment und der Reifung noch selten erzählt worden. Und Reifung – das kann eben auch heißen, sich die Freiheit zu nehmen, betont "unreif" zu agieren, halbnackt durch die Welt zu turnen, sich selbst hyper-sexualisiert zu inszenieren und auf Rebellions-Gestus gebürstet jede Party zu zerlegen.
Miley Cyrus hat in kürzester Zeit den beliebten Leidensweg vom Erwachsenwerden, das Ausbrechen aus den Ketten des "biederen" Teenie-Pop besonders schrill und erfolgreich vorgelebt. "Bangerz" musste also - schon karikaturhaft überzeichnet - das Album, das diesen Wandel markierte, heißen. "Bangerz", das ist in jedem Sinne die aktuelle Tour von Miley Cyrus. Die Platte bestimmt in musikalischer Hinsicht fast das komplette Set. "Bangerz" – das sind die optischen Sensationen, die auf und über der Bühne zu erfahren sind. Mit der Pinzette wird anderswo gearbeitet.
Im vergangenen Jahr ist Miley Cyrus zum Symbol geworden, zur eigenen Marke. So ist es nur selbstverständlich, dass sie über ihr eigenes, gigantisch im Hintergrund emporsteigendes Antlitz den Weg auf die Bühne findet. Der Mund von Miley Cyrus ist für Miley Cyrus das Tor in die Welt, ihre eigene Zunge ist ihr die Rutsche. Wer kopftätschelnd meint, es im Falle von Miley Cyrus nicht mit einer über die Maßen talentierten, gewieften, auf Perfektion bedachten jungen Frau zu tun zu haben, sondern einer von der "Industrie" in irgendwelche Rollen gezwungenen Marionette, irrt. Die Konzerte der aktuellen Tour werden symbolträchtig auch gleich durch das Stück "SMS (Bangerz)" eröffnet: Auf Platte gastiert in dieser Nummer Britney Spears, die bekanntlich mit allem Zwang die Transformation von Mickey Mouse Kid über Schulmädchen hin zur Schlangenbeschwörerin vollzogen hat.
APA/EPA/Georg Hochmuth
Nun ist "Bangerz", von ein paar Ausnahmen abgesehen, leider keine besonders gute Platte. Und auch nicht der unbedingte, oft zitierte Bruch mit der musikalischen Vorgeschichte, sondern die logische Weiterführung. Ein schlau zusammengewürfeltes Allerweltspotpourrie, dessen erster Zweck die Abschöpfung möglichst vieler Zielgruppen ist. Wir wollen einem Popstar sicher nicht übel nehmen, dass er Geld verdienen möchte. Aber das offensichtliche Kalkül und die gleichzeitige Schludrigkeit und Einfallslosigkeit in der Ausführung, die ja nicht von gerade wenigen Super-Producern und ebensolchen Songwritern betreut wurde, stimmen betrüblich. Vielleicht soll es ja auch einfach bloß nicht zu kompliziert werden, einfach mal aus allen Kanonen schießen.
"Bangerz" gelingt das von seiner Anlage her nicht mehr unbedingt ganz neue, in so einer Plakativität und Prunkhaftigkeit wie hier aber kaum zuvor durchexerzierte Kunststück, "Urban" und "Country" eins werden zu lassen. Country-Twang, Midtempo-Balladen aus dem Heustadl, Rummelplatz-Elektronik, Musiken, die der Amerikaner als "Dubstep" begreift, gezupfte Akustik-Gitarren, Synthesizer-Fanfaren aus der Großraum-Disco und Trap – das und so einiges mehr hat Platz auf "Bangerz". Meistens bloß als leere Behauptung. Eine Beteuerung, dass man eh auch weiß, was es alles so gibt in der modernen Welt. Gerne schmücken sich die Stücke mit HipHop-Gästen.
Dass das alles eine bloß extrem clever aneinandergeschnittene "strategic hot mess" ist, wie Miley Cyrus selbst einst ihren, oops, skandalträchtigen Auftritt bei den Video Music Awards nannte, in der am Ende gerade mal drei bis vier ziemlich gute und zwei fantastische Songs irgendwie zueinanderfinden, macht in der Live-Darbietung überhaupt gar nichts.
Ja, es ist wahr: Es ist die beste Unterhaltung, die man erleben kann. Im Feuerwerk der Reize, der Signale und Zeichen, der Kostüme und Tänzerinnen gerät die Musik bisweilen ins Hintertreffen. Der Umstand aber, dass Miley Cyrus eine Künstlerin ist, die das kann, nämlich so richtig singen (für diejenigen, denen so ein Handwerk und derlei immer besonders wichtig ist), und nebenbei die Posen, das Schäkern, das Augenzwinkern aus dem Ärmel schütteln, als wäre aber überhaupt gar nichts dabei, soll jedoch noch einmal ausdrücklich erwähnt sein.
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Die Show ist ein von Michael Bay inszenierter Pixar-Film, die New Yorker Club Kids gestalten mit allem Geld der Welt eine drogengeschwängerte Karnevalsparade, Jeff Koons und die Sesamstraße in farbenprächtiger Kooperation. Ein riesenhafter Husky, der beinahe die ganze Bühne ausfüllt, wird aufgefahren, tanzende Plüschtiere, Glitzerregen, ein jetzt schon legendärer Ritt auf einem Hot Dog, mit dem Miley dem Saal entschwebt. How's that for symbolism? Die Visuals im Bühnenhintergrund zeigen einen Bong in Zeitlupe, psychedelische Pilzlandschaften, überdrehte Cartoons, Katzen-Memes. Und immer wieder: Miley selbst.
Miley Cyrus singt zum einen von den essenziellen Dingen im Leben, nämlich "Love Money Party", beschwört das wilde, freie, freche Leben, Nachtclub, Drogen, Sex, bleibt dabei aber immer wieder gerne so genannten traditionellen Werten verpflichtet und meint, dass sich Selbstbestimmung und die Selbstaufgabe in Liebe vor dem guten, soliden Ehemann nicht unbedingt ausschließen müssen. Die "Holy Matrinomy" - die muss dann vielleicht eben doch sein, und wenn der geliebte Typ verschwindet – was soll die arme, alleingelassene Frau denn dann nur machen? Ein schwer riskanter Tanz auf dem heißen Drahtseil.
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Die Parabel der Entwicklung findet jedoch gegen Ende der Show ihr eigenes logisches (vorübergehendes) Ende: Die beiden mit sprechenden Titeln versehenen Nummern "On My Own" und "Someone Else" (zwei der stärksten Stücke auf "Bangerz") besiegeln als die letzten Songs des regulären Programms noch einmal Veränderung, Emanzipation und Neuorientierung. Dass "On My Own" in seiner Phrasierung und Stimmführung ausdrücklich Michael Jackson ca. "Off The Wall" zitiert, dürfte kein Zufall sein: Der Werdegang des ewigen Peter Pan von frühester Kindheit an hinaus aus den vermeintlichen Zwängen der Familie ist gut dokumentiert.
Die Tatsache, dass die beiden über allem thronenden Superhits "We Can't Stop" und "Wrecking Ball", zwei der besten Popsongs der jüngeren Vergangenheit, die – noch einmal – die Themen ungebremste Party und Sehnsucht nach Bindung verhandeln, die Zugaben sind, zeigt nur, dass diese großartige Entertainerin, Sängerin und Künstlerinnen-Persönlichkeit namens Miley Cyrus bloß ein paar eigene richtig gute Songs mehr braucht. Und dass der Weg und die Suche freilich nicht zu Ende sind. Ein Rühr- und Lehrstück in allen Farben und in 3D. Fliegenlernen, Königin werden.