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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

11. 6. 2014 - 17:41

Oh, Piper!

"Orange Is the New Black" zeigt auch in Staffel zwei außergewöhnliche Figuren im Kontext Frauengefängnis. Und hat damit eine neue Dimension in Sachen Darstellen von Diversität in Serien geschaffen.

Ein anstrengendes Wochenende für Serienjunkies: Die Streaming-Plattform Netflix hat am Freitag die heiß ersehnte Staffel zwei der Eigenproduktion "Orange Is the New Black" auf einmal veröffentlicht. Die Serie hat sogar den bisherigen Netflix-Schlager "House Of Cards" hinter sich gelassen. Bei uns ist mittlerweile Staffel 1 auf DVD erhältlich.

Die erste Staffel, die sich im Wesentlichen darum dreht, dass eine junges, blondes All-American-Girl für ein Drogenvergehen in der Vergangenheit ins Gefängnis muss, wurde hoch gelobt – vor allem für ihre Diversität: denn "Orange Is the New Black" stellt ganz selbstverständlich Frauenfiguren in den Vordergrund, die im Fernsehen ansonsten nur Nebenfiguren sein dürfen: von der Transgender-Person über Queers, ältere Frauen oder Afroamerikanerinnen und Latinas.

Was kann "Orange is the New Black" also besser als andere Serien? - Im Folgenden eine doch nicht so kurze Abhandlung darüber, wie bei "Orange is the New Black" Hautfarbe, Klasse, Gender oder Sexualität verhandelt werden.

ACHTUNG mit Spoilern (wenn auch nur mit kleinen)

"Oh, Piper – for heaven's sake!"

So reagiert die Upper-Middle-Class-Omi, als sie von der kriminellen Vergangenheit ihrer Enkelin erfährt, wegen der sie 15 Monate ins Gefängnis muss. Und "Oh, Piper" wollte man auch als Zuseherin der ersten Staffel immer wieder seufzen, wenn man Piper beim Stolpern durch das soziale Minenfeld Frauengefängnis zusah.

Piper ist an sich das blonde nette Mädchen von Nebenan und vor allem am Anfang der Serie grenzenlos naiv: Sie hält die Haft für eine Art Lifestyle-Auszeit, in der sie lesen und ihren Körper auf Vordermann bringen will. Im Gefängnis stößt sie allerdings recht schnell an die Grenzen dieser Naivität. Und an die Grenzen ihrer eigenen Gutgläubigkeit und Toleranz.

Herkunft nutzt nichts

Einerseits verliert Piper die Privilegien ihrer sozialen Herkunft: ihr blonden Haare, ihre weiße Haut und ihr College-Abschluss bringen ihr im Gefängnis nicht die erwarteten Vorteile. Von einer Auszeit und persönlichen Weiterbildung ganz zu schweigen. Als sie fragt, ob sie sich in der Bildung der anderen Insassinnen engagieren darf, wird sie ausgelacht. Ebenso, wenn sie immer wieder auf die Menschenrechte pocht, oder erfahren will, was mit den Insassinnen warum passiert. Wie alle anderen bekommt sie eine sinnlose Aufgabe zugeteilt, mit der sie sich ruhig verhalten soll.

Denn auch wenn Counsellor Healy ihr am Anfang verschwörerisch zuraunt: "You are not like these women out there" - es zeigt sich: ja, auch Piper ist wie sie. Rechtlos im System Gefängnis, wo sie sich erst langsam in den Machtstrukturen zurechtfinden muss. Und, einmal eingewöhnt, ist Piper genauso korrupt, egoistisch und brutal, wie die Frauen, über die sie beim Einzug noch die Stupsnase gerümpft hat.

Colour Codes

Andererseits wird Piper im Gefängnis stärker auf ihr Weiß-Sein gestoßen als bisher: Denn entgegen dem, was Piper in punkto Toleranz und richtigem Verhalten gegenüber Menschen anderer Hautfarbe gelernt hat: im Gefängnis werden die Linien des Zusammenhalts recht genau entlang der Linien von Ethnizität gezogen. In der Kantine sitzen Latinas bei Latinas, Weiße bei Weißen und Schwarze bei Schwarzen. Und im Regelfall hilft man sich auch nur gegenseitig.

Diese Rivalität zwischen den ethnischen Gruppen wird in Staffel zwei noch expliziter ausgetragen: die Latinas haben ja schon in Staffel eins der russischen Küchenchefin Red die Küche und somit ihre umfassende Macht weggenommen. Und bei den Schwarzen Frauen zieht eine neue ein, die diese gerne an der Spitze der Hackordnung gesehen hätte und die verschiedenen Gruppen dementsprechend gegeneinander aufwiegelt. Red wird wiederum - entthront und von ihrer Gefolgschaft verlassen - mit herrlichem Grant zur Anführerin der so genannten Golden Girls. Das sind die weißhaarigen älteren Frauen, die im Gefängnis genauso wie draußen sind: quasi unsichtbar.

Promobild Orange is the New Black: Gefängnisinsassinnen auf offenen Toiletten

Netflix

Soziale Fragen

Wie schon in Staffel eins tritt die Hauptfigur Piper im Gefängnis teilweise in den Hintergrund, während die Mitinsassinnen zumindest für eine Folge lang ins Zentrum gestellt werden. Mittels Flashbacks in ihre Vergangenheit bleiben diese Figuren nicht nur eindimensionale Kulisse, es werden komplexe Geschichten erzählt. Wir sehen das schwarze Waisenkind, das niemand adoptieren will und die von der Drogendealerin rekrutiert wird. Oder die italienischstämmige Katholikin, in einem Haus voller zu pflegender Familienmitglieder, die sich in eine Traumwelt aus Hochglanzheft-Glamour und Märchenprinz flüchtet.

Oft sind die Werdegänge der verschiedenen Figuren Geschichten von Gewalt und von Vernachlässigung, von Armut und von fehlenden Alternativen. Damit stellt "Orange is the New Black" auch eine soziale Frage: Wer kommt überhaupt ins Gefängnis? Und wozu ist das Gefängnis überhaupt da?

Die großen GaunerInnen sind nicht im Gefängnis

Die Gefängnisleitung scheint darauf keine Antworten zu haben. Mehr als die Frauen zu verwahren ist im Budget nicht vorgesehen. Eine der am schönsten gezeichneten Figuren ist die Gefängnisleiterin Natalie "Fig" Figueroa, die sich nach außen gerne als die große Wohltäterin "dieser Frauen" gibt. Aber oft muss sie vom Socializen in ihr Büro zurückgeholt werden, und die Bildungsschiene hat sie wegen Budgetproblemen eingespart.

Schon allein mit dieser Korruptheit des Strafvollzuges wird immer wieder angedeutet: Die großen GaunerInnen, die sitzen nicht hier in der Besserungsanstalt. Die können draußen ihre Geschäfte abwickeln auf Kosten derer, die sich nicht wehren können.

Die besseren Girls, die besseren Queers?

Sonstige Stereotypen aus dem Genre Frauengefängnis werden weitgehend ausgelassen: Der sonst übliche Voyeurismus was lesbischen Sex - oder sogar Missbrauch und Gewalt - im Gefängnis betrifft, wird ausgespart. Klar, lesbischen Sex gibt es genug, lesbische Beziehungen auch. Aber weder folgen sie dem Script: draußen brav hetero, drinnen gezwungen queer, noch geht es ausschließlich um sexuelle Gewalt. Sondern es gilt der alte Leitsatz der Queertheory: Sexualitäten sind fließend. Was grade passt, wird in die eigene Sexualität integriert.

Und trotzdem traut sich OITNB - im Gegensatz z.B. zur explizit lesbischen Sitcom "L-Word" - mehrere Frauen auftreten zu lassen, die nicht dem klassischen Weiblichkeitsideal entsprechen und z.B. Transgender oder Butch sind, und das nicht nur als komische Randfigur.

Außerdem bezieht OITNB Stellung, was Gleichstellung von Women of Colour betrifft: Immer wieder wird angesprochen, dass die Hautfarbe ungleich mehr zur Länge der Haftstrafe beiträgt als das Verbrechen selbst. Gleichzeitig werden Straftaten auch in einen Kontext gestellt, nicht irgendeiner "natürlichen kriminellen Energie" zugeschoben.

Es wird sich auch über die Farbenblindheit der Upper Class lustig gemacht. Ob das oben erwähnte Piper ist, die nicht weiß, wie sie mit der Sitzordnung in der Kantine umgehen soll. Ob es Taystee und Poussaye sind, die so tun, als würden sie zum Yoga gehen und nach ihrem Sushi verlangen. Es wird gezeigt, dass diese Farbenblindheit etwas ist, das nur die hegemoniale, weiße Klasse "gewähren" kann - für people of colour selbst gibt es diese Farbenblindheit eigentlich nicht.

In diesem Zusammenhang ist "Orange is the New Black" einen Schritt weiter als die New Yorker "Girls", die es zwar geschafft haben, die perfektionistischen Ideale von Frau-Sein umzuwerfen, dabei aber auf people of colour schlicht und einfach "vergessen" haben.

Nur im Knast

Diese ganzen Themen, und noch viel mehr, haben im Rahmen von einem Frauengefängnis Platz. Dass eine so große Diversität nur im Gefängnis abgebildet werden kann, wurde in einigen Rezensionen kritisiert. Das muss frau aber wohl eher den Fernsehproduzent_innen anlasten, als der Serie selbst. Und dem "True-Story"-Vorbild: den Memoiren von Piper Kerman, wo aufgrund vom Seltenheits-Nachrichtenwert erst wieder die Gefängniserfahrung der weißen Mittelklasse-Frau Gehör findet.

Klar, die Serie (und wohl auch Kermans Buch) lebt von diesem Fish-Out-Of-The-Water-Element der blonden WASP, die sich plötzlich unter ganz anderen Umständen zurechtfinden muss. Die Stärke von "Orange is the New Black" ist aber sicher das so diverse Ensemble und ihre so unterschiedlichen Geschichten. Dafür verzeiht man auch die rehäugige Hauptfigur Piper (es wird besser in der zweiten Staffel) und ihre ein bisschen vorhersehbaren Liebesverwirrungen.