Erstellt am: 7. 6. 2014 - 23:23 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 13.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Heute: ein Eintrag ins WM-Journal '14. Die Preview mit den Einschätzungen der WM-Teilnehmer gibt's diesmal nicht einzeln oder nach den gelosten Gruppen, sondern nach Kulturräumen.
Teil 9 räumte den mittelamerikanischen Teams aus Mexiko, Costa Rica und Honduras wenig Chancen ein.
Teil 8 beschrieb drei asiatische Vertreter (Iran, Japan, Süd-Korea).
Thema in Teil 7 waren die vier Teams aus Ost- und Südosteuropa (Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland)
Teil 6 teilten sich die Nachbarn Argentinien und Uruguay
Teil 5 gehört 'tschland, dem deutschen Lieblingsnachbarn.
Teil 4 war Frankreich und Algerien gewidmet.
Teil 3 befasste sich mit den vier Teams aus Sub-Sahara-Afrika: Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria.
Teil 2 featurt die beiden Vertreter der Benelux-Staaten, Belgien und die Niederlande.
Teil 1: Mutterland & Offsprings, England, USA und Australien.
Die Einträge 2 und 3 gaben erste Antworten auf die zentralen Fragen; Eintrag 1 beschrieb ein Was-wäre-wenn aus österreichischer Sicht.
Heute hab ich einen schönen Interview-Satz von Klaus Zeyringer gelesen, dessen Buch Fußball – Eine Kulturgeschichte ich zuletzt durchgeackert habe. Zeyringer hat das in der brasilianischen Botschaft, wo er unlängst Gast war, aufgeschnappt: es wäre schon schlimm, aber nicht der Untergang der Welt, wenn Brasilien nicht den Titel (den sechsten) holen würde; das wäre es, wenn man wieder im Finale gegen Uruguay verlieren würde.
Das Trauma von 1950 lebt also: die bisher einzige Heim-WM, auf den letzten Metern vergeigt. Wie Portugal anno 2004.
Und ja, abgesehen von den vielen Sorgen und Nöten, die alle Brasilianer quälen und der unvermeidbaren Erkenntnis, dass eine Weltmeisterschaft (ebenso wie eine Euro) immer fürs globale Fernseh-Publikum, aber nie wirklich für die Menschen vorort ausgerichtet wird, gibt es kaum Befürchungen, sich zu blamieren; bis eben auf die eine.
Das wird aber, versprochen, nicht passieren, einfach weil Uruguay nicht so weit kommen wird.
Team Brasil
Man hat alles getan. Luis Felipe Scolari, der Weltmeister-Trainer 2002 ist Coach, Carlos Alberto Parreira, der Weltmeister-Trainer von 1994, ist Sportchef.
Die beiden haben ein strenges Regiment aufgezogen, die alten Stars (Kaka oder Robinho, Ronaldinho sowieso) rausgeworfen und versucht die Fehler, die seit 2002 passiert waren, nicht zu wiederholen.
Gut, Brasilien ist Confed-Cupsieger von 2009 und 2013 und hat 2007 zuletzt die Copa Anmerica gewonnen – aber bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 und auch bei der Cope 2011 war im Viertelfinale Schluss. Dazu kam die Schmach bei der Olympia 2012 (Finalniederlage gegen Mexico) und die Tatsache, dass Coaches wie Dunga oder Menezes auf das klassische Joga Bonito verzichtet hatten.
Scolari und Parreira mussten 2013 wieder neu beginnen. Und sie passten das Spiel ihrer Mannschaft an das Potential der vorhandenen Spieler an. Heraus kommt das 4-2-3-1, das Brasilien seitdem gnadenlos durchzieht, auch wenn es - wie gestern gegen Serbien - überhaupt nicht passt und nix hinhaut. Team Brasil geht mit gnadenlosem Selbstbewusstsein davon aus, dass sich schon irgendwann die hohe Klasse durchsetzen und ein Tor zu erzielen wäre.
Das wird in der Gruppe (die mit Kroatien, Kamerun und Olympiasieger Mexiko nicht so schlecht besetzt ist) genügen, ab der k.o-Phase dann aber zu einem schlecht zu kalkulierenden Risiko. Weshalb ein Ausscheiden trotz Überlegenheit dann jederzeit möglich ist. Weil es der Mannschaft an strategischer Variationsbreite fehlt. Was wiederum logisch ist, weil man Brasilien ist und jeden Gegner im Erdenrund auf der Basis der spielerischen Überlegenheit wegzuspielen vermag. Wozu also taktieren?
Das ist das brasilianische Dilemma. Wenn ein Gegner sie gut ausspäht, genau an den Schwachpunkten ansetzt und dann auch noch das Glück hat, dass Brasilien nicht oder zu spät trifft, dann kann es enger werden als allen lieb ist. Und uns allen wird es - rein stimmungstechnisch - lieb sein, wenn die Selecao so weit wie möglich kommt.
Schwachpunkte gibt es, der individuellen Klasse der Kicker zum Trotz, genug. Wie meistens: der Tormann. Julio Cesar, früher Inter, immer schon ein solala, ist nicht besser geworden. Dani Alves und Marcelo sind Top-Außenverteidiger, lassen sich aber gern zu weit nach vorne locken. Luis Gustavo ist nur ein sehr guter, aber kein überdurchschnittlich guter zentraler Mittelfeldspieler. Von Mittelstürmer Fred sind die Trainer mehr als überzeugt, ich kann es aus den bisherigen Erfahrungen nicht sein.
Bei allen anderen Akteuren der 1. Mannschaft hilft nur, dass sie stolpern oder was ins Auge kriegen. David Luiz und Thiago Silva sind ein Top-Innenverteidiger-Duo, in der Offensive sind Alves und Marcelo außen unüberbietbar. Paulinho ist ein Klassemann für die Taktgeber-Zentrale, und die offensive Dreier-Reihe hinter Fred ist mit Hulk, Oscar und Neymar poetisch schön besetzt. In der zweiten Reihe leuchten Ramires, Fernandinho und Hernanes hervor. Die Bernard nachgesagten Wunderdinge hab' ich noch nicht gesehen, Willian halten viele für einen überschätzen Mitläufer.
Auf dem Weg zum Titel wird Brasilien im Achtelfinale den zweiten der Gruppe B wegräumen müssen, im Viertelfinale vielleicht auf einen der Ex-Weltmeister aus Gruppe D treffen, im Halbfinale wartet wohl der Sieger der Deutschland-Gruppe und im Endspiel könnte der große kontinantale Erzfeind oder der Titelträger drohen.
Die gute Nachricht ist: die alle kochen auch nur mit Wasser. Die schlechte Nachricht: sie alle sind strategisch deutlich flexibler und gegnerorientierter eingestellt als es Brasilien je sein wird. Klar, bei einer Heim-WM des fünffachen Weltmeisters geht das auch nicht, man kann sich nicht ins Finale schleichen wie Italien, man wird durchmarschieren müssen mit permanentem Offensiv-Fußball, der noch dazu schön gespielt werden muss.
Das ist eine höllische Belastung.
Nur: wenn es jemand schafft, dann dieses Team.
Der 23er-Kader
Tor: Julio Cesar (Toronto/CAN), Jefferson (Botafogo), Victor (Atlético Mineiro).
Abwehr: Dani Alves (Barcelona/SPA), Maicon (Rom/IT), David Luiz (Chelsea/ENG), Dante (Bayern/D), Henrique (Neapel/IT), Thiago Silva, Maxwell (PSG/F), Marcelo (Real/SPA).
Mittelfeld: Luis Gustavo (Wolfsburg/D), Fernandinho (ManCity/ENG), Paulinho (Tottenham/ENG), Oscar, Willian, Ramires (Chelsea), Hernanes (Inter/IT), Bernard (Sh. Donetsk/UKR).
Angriff: Neymar (Barcelona/SPA), Fred (Fluminense), Hulk (Zenit/RUS), Jô (Atlético Mineiro).
Stand-By: Diego Cavalieri (Fluminense), Rafinha (Bayern/D), Miranda, Filipe Luis (Atlético Madrid/SPA), Lucas Leiva (Liverpool), Lucas Moura (PSG/F), Alan Kardec (São Paulo).
Wer fehlt?
Nicht viele jener, die aktuell international für Aufsehen sorgen.
Aber natürlich die Superstars von gestern, Kaka und Robinho (Milan), sowie der Superstar von vorgestern, Ronaldinho (Atlético Mineiro). Das aber zurecht.
Wirklich gerechnet hatte man mit Marquinhos von PSG: die anderen waren möglich, aber nicht zwingend: Rever von Atlético Mineiro bzw. Dede von Cruzeiro in der Abwehr, mit Fernando aus Donezk oder Jean (Fluminense) und Jadson (Corinthians) im Mittelfeld, oder die Angreifer Damiao (Santos) und Pato von Sao Paolo.
Größere Probleme macht da schon die Wahl von z.B. Maxwell auf Kosten von Felipe Luis, oder das Weglassen der beiden Lucas im Mittelfeld.
Vormalige Nachwuchs-Supertalente wie Ganso, Elano, Diego, Sandro, Elias, Nilmar, Bastos oder Felipe Melo sind allesamt viel zu schnell verbraucht worden - so richtig viel Geduld hat das Nationalteam nicht mit seinen Akteuren; die Konkurrenz ist so groß, dass man schnell von der Bildfläche verschwinden kann.
Österreich-Aspekte
Zunächst einmal Adriano Manfred Laaber, genannt Adrianinho, 34, spielt für den Hauptstadt-Club Brasiliense in der Série C. Rund um seine Fast-Nominierung für die österreichische Nationalmannschaft 2003 spinnen sich hübsche Legenden. Adrianinho war auch bei Salzburg im Gespräch, ehe man dort zu Red Bull wurde.
Ebenso zerschlagen hat sich die Team-Karriere für Rafhael Rafhinha Domingues, der wie Laaber über österreichische Großeltern verfügt, und 2010 via Facebook einen einmaligen Auftritt in der U19 zustandebrachte. Rafhinha kam danach kurz bei den Red Bulls New York unter, seitdem hat er aber keinen Profi-Verein mehr. Losen Kontakt gab es mit Helmut Kronjäger und der in Vorarlberg tätigen Dorta-Familie.
Junior Felipe Dorta, 17jähriger Nachwuchsmann beim SCR Altach, ist österreichischer Staatsbürger und eine Stütze der U18-Nationalmannschaft. Womöglich wird er früher als der Salzburger Stürmerstar Alan, den der ÖFB ja gern einbürgern würde, für Rot-Weiß-Rot einlaufen.