Erstellt am: 7. 6. 2014 - 06:00 Uhr
Problemfeld Tempelhof
Vor zwei Wochen wurde in Berlin nicht nur das Europaparlament gewählt, es wurde auch über die Zukunft des stillgelegten Flughafen Tempelhof abgestimmt. Der Berliner Senat wollte dort Wohnungen und eine Landesbibliothek bauen, die „Initiative 100 % Tempelhof“ warb dafür, alles so zu lassen wie es ist. Die Abstimmung am 25. Mai brachte das überraschend deutliche Ergebnis: In allen Berliner Bezirken wurde gegen die Bebauung gestimmt.
Aber jetzt wird Hott und Spott über die BerlinerInnen ausgegossen. Kleingeistig sind wir! Dumm! Alle Kleingärtner, Laubenpieper!
(„Laubenpieper“ ist eine Bezeichnung für Stadtmenschen, die in Kleingartenkolonien eine Parzelle, einen Schrebergarten besitzen, zwecks Obst- und Gemüseanbau. Laubenpieper gelten als kleingeistige Spießer, die nicht über den Horizont ihres Kleingartens hinausblicken können.)
Aber nicht die Berliner Politiker schimpfen so über das Wahlvolk, das deutsche Feuilleton ist aufgebracht und verärgert über uns Berliner...
danielfoster437 / flickr / CC BY-SA 2.0
Da jammern wir die ganze Zeit über die Wohnungsnot und dann verhindern wir, dass auf dem großen freien Feld Wohnungen gebaut werden. Und jetzt bleibt per Volksentscheid dieses blöde leere Nichts, mitten in der Innenstadt!
In der ZEIT unterstellte Jens Jenssen uns den „Hass des Großstädters auf die Großstadt“, weil wir die „ungebremste Hässlichkeit und menschenfeindliche Ödnis eines aufgelassenen Nutzgebietes – eine Anti-Stadt mitten in der Stadt“ – für bewahrenswert halten. Unter dem Online-Titel „Berlin ist doch nur eine Kleingärtner-Metropole“ schrieb Ulf Poschardt , die Stadt sei „sediert von einem Anspruchsdenken, das in keinerlei Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Anspruchsformulierer steht.“ Es seien „die ewigen Studenten, das Projektprekariat und die schmerbäuchigen Apologeten der Biotope für Wenignutzer und rollerbladende Transferempfänger, die denen selbstbewusst Grenzen aufzeigen, die sich zackig ein schnelleres und anstrengenderes Berlin wünschen“.
Und der Berliner „Tagesspiegel“ monierte: „Es existiert in Berlin eine Mentalität des Provisorischen, wo alternative Lebensformen zum Mainstream tendieren – und der Mainstream ins Beschauliche. Es gibt zugleich eine Ablehnung von Moderne, von Zukunftsprojekten.“ Und : „In Berlin, dem größten Kleingarten der Welt, haben Laubenpieper viel mitzureden.“
Robert Glashüttner
Ist es denn wirklich so? Sind wir alle Kleingärtner, aufsässige Transfergeldempfänger, kleine Bionade-Spießer, die in ihrem Berlin-Biotop hocken, sich nach einer dörflichen Idylle sehnen und alles, nur nix verändern wollen? Das Problematische an diesem neuen Berlin-Bashing ist, dass sich die schreibenden Berlinkritiker als die modernen Verfechter des Weltoffenen, Urbanen geben, die Baupläne des Senats nicht hinterfragen und die sozialen, ökologischen, kulturhistorischen und wirtschaftlichen Gründe für den Charakter des Tempelhofer Feldes schlichtweg unterschlagen. Das Tempelhofer Feld ist in vieler Hinsicht einmalig, es ist Teil der West-Berliner Identität.
Außerdem ist ja fraglich, ob Urbanität tatsächlich daran gemessen werden kann, wie viele hohe und möglichst spektakuläre Gebäude in einer Stadt errichtet werden. Man muss allerdings zugeben: der Bebauungsplan, über den abgestimmt wurde, hörte sich zunächst ganz gut an: Das Flugfeld soll nur am Rand mit „bezahlbaren Wohnungen“ bebaut werden, der Rest wird bepflanzt. Spielplätze, Fahrradstraßen, ein S-Bahnhof und eine Bibliothek sollen dort in einem Park angelegt werden.
Da man sich aber in Berlin schon bei mehreren Großprojekten verkalkuliert hat, ist das Misstrauen der Bürger gegenüber solchen Vorhaben groß. Nur etwa 18 Prozent der Wohnungen wurden als „bezahlbar“ geplant, der überwiegende Teil wäre mit 15 Euro pro Quadratmeter für die meisten Berliner unerschwinglich. Und was Berlin braucht, sind billige Wohnungen und nicht „Townhouses“, die zur Gentrifizierung der angrenzenden Viertel beitragen.
In einer Stadt, in der fortwährend Schwimmbäder und Bibliotheken geschlossen werden, es an Geld für Schulen, soziale und kulturelle Projekte fehlt, halten sich die Sympathien für Bauvorhaben, die leicht zum Milliardengrab werden können, nun mal in Grenzen.
Als Vorbild für sozialen Wohnungsbau und ein nachhaltiges Finanzierungsmodell wird dagegen immer wieder die Stadt Salzburg angeführt, wo gute Sozialwohnungen zu einem zu einem Quadratmeterpreis von unter 5 Euro errichtet werden.
Generell zeigt der Berliner Volksentscheid, dass die Zeit, in der von oben herab und ohne die Bürger geplant werden kann, einfach vorbei ist. Schließlich ist es ja unsere Stadt, in der wir wohnen müssen und wollen. Vielleicht sind die urbanistischen Großdenker der Feuilletons ja auch wieder ein bisschen versöhnt, wenn andere Metropolen uns auch in Zukunft immer wieder um unsere grüne Stadt mit dieser riesigen Freifläche beneiden.