Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Er kommt"

Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

5. 6. 2014 - 15:23

Er kommt

Der türkische Wahlkampf wird international. Am 19. Juni will Erdoğan seine Unterstützer in Wien mobilisieren.

Vor ungefähr einem Jahr wurde mein Newsstream auf Facebook zugespamt. Nicht wie üblich mit halblustigen Videos und belanglosen Statusmeldungen, sondern mit Veranstaltungszusagen. Innerhalb weniger Stunden hatten dutzende Freunde die Teilnahme an einer Demonstration bestätigt. Gezi war in Wien angekommen.

Seit den Gezi-Demonstrationen im Juni letzten Jahres wird das politische Geschehen in der Türkei international genau verfolgt. In den internationalen Medien herrschen Kritik am türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan und Verwunderung über seine Regierung, die scheinbar ohne große Mühe Demonstrationen, Korruptionsvorwürfen und dem größten Minenunglück in der Geschichte des Landes trotzt.

"Die Sehnsucht geht bald zu Ende"

In diesen Tagen wird mein Facebook-Newsstream wieder monothematisch überschwemmt, diesmal allerdings aus einer anderen Ecke, von Erdoğan-Fans. Erdoğan will am 19. und 20. Juni Wien besuchen und eine Event-Ankündigung auf Facebook zählt bereits über 4000 Zusagen.

Für viele Türken in Europa ist Erdoğan ein Held. Jedes Jahr, wenn die ehemaligen Gastarbeiterfamilien nach „unten“ fahren, wundern sie sich über das rasante Wachstum in ihrer alten Heimat.

Erdogan mit einem Kind an einem Konferenztisch.

APA/EPA/AYKUT UNLUPINAR/ANADOLU AGENCY

Recep Tayyip Erdoğan mit seinem "Ersatzpremier" am "Tag des Kindes"

In den letzten Jahren haben sich die anatolischen Provinzen, aus denen viele der hier lebenden Türken stammen, stark entwickelt. Es wurden Krankenhäuser, Schulen, Universitäten und Straßen gebaut. Reformen im Bereich der Krankenversicherungen und Pensionen, von denen auch Auslandstürken profitieren, haben Erdogan noch beliebter gemacht. Das Wirtschaftswachstum und die stärkere Präsenz in der internationalen Gemeinschaft haben den im Ausland lebenden Türken ein neues Selbstbewusstsein gegeben.

Deshalb ist es nicht überraschend, dass Erdoğan und die AKP bei den Türken in Europa die stärkste politische Kraft bilden. Seine Anhänger freuen sich auf den Besuch des Premierministers, wie auf den Besuch eines Verwandten oder eines guten Freundes. „Die Sehnsucht geht bald zu Ende“ heißt es in den Facebook-Gruppen.

Die Gegner in der Minderheit

Wie in der Türkei wird Erdoğan von seinen Anhängern geradezu geliebt, während seine Gegner ihn leidenschaftlich hassen.

Die größten AKP-Gegner hierzulande sind vor allem die Aleviten und Gruppen, die sich dem kemalistisch-nationalistischen Lager zugehörig fühlen. Die Aleviten sehen sich als religiöse Minderheit diskriminiert, während die Kemalisten die islamisch-konservative Ausrichtung der AKP als Gefahr für den Laizismus sehen und die Verhandlungen der Regierung mit den Kurden als Bedrohung für die "unteilbare Einheit" der türkischen Republik sehen. Die Nationalisten kritisieren die AKP wegen ihrer Nähe zu den Kurden.

Unter den Kurden hingegen ist die Situation ähnlich wie in der Türkei. Sie sind gespalten in Anhänger der AKP und der kurdischen BDP, die von der Regierung noch mehr Autonomie für die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei verlangt. Insgesamt dürften aber die Gegner Erdogans auch in Europa in der Minderheit sein.

Wahlkampf international

Die Polarisierung der türkischen Gesellschaft ist in den letzten Jahren sichtbarer geworden. Das liegt vor allem daran, dass das Militär und die bürokratische Elite an Macht verloren haben. Wer heute die Wahlen gewinnt, ist keine Marionette mehr, er regiert das Land. Es zählt jede Stimme und die Wahlbeteiligung steigt konstant: Bei den Kommunalwahlen Ende März gingen knapp 90% der Wahlberechtigten zu den Urnen.

Bei den Präsidentschaftswahlen im August dürfte die Beteiligung sogar noch steigen, zum ersten Mal in der türkischen Geschichte wird der Präsident direkt vom Volk und nicht mehr vom Parlament gewählt.

Erdogan schmeißt Blumen ins Publikum

APA/EPA/SEDAT SUNA

Rote Nelken für Stimmen

Während Erdoğan schon Wahlkampf macht, hat die zerstrittene Opposition noch immer keinen Kandidaten. Es ist auch unwahrscheinlich, dass die kemalistisch-nationalistische Opposition jemanden aufstellen wird, der eine realistische Chance hätte. Denn die AKP-Wähler stehen, wie die Kommunalwahlen gezeigt haben, weiterhin hinter Erdoğan und bei Kurden hätte ein kemalistisch-nationalistischer Kandidat keine Chance.

Im August gibt es noch eine weitere Premiere. Die Auslands-Türken können in den türkischen Konsulaten und Botschaften wählen und müssen nicht wie früher umständlich an der türkischen Grenze ihre Stimmen abgeben. Dieses Mal dürfte also auch in Europa die Wahlbeteiligung massiv steigen. Die im Ausland lebenden Türken bilden immerhin ungefähr 5% der Wahlberechtigten. Deshalb will Erdoğan auch in Europa seine Unterstützer mobilisieren.

Dabei ist seine Kandidatur noch nicht fix, aber als Gesicht der AKP wird er so oder so den Wahlkampf anführen. Ein Besuch in Wien ist also ein Pflichttermin. Die türkische Politik kommt wieder mal nach Österreich.