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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

9. 6. 2014 - 19:00

Im inneren Exil

Eine düstere, wahnwitzige und wahnsinnige Suche nach Schuld und Wahrheit. Hubert Weinheimer, Kopf der österreichischen Band Das Trojanische Pferd, legt mit "Gui Gui" seinen Debütroman vor.

Gleich auf der ersten Seite lässt Hubert Weinheimer mit einem einzigen, recht lapidaren Satz die Bombe platzen:

"Ich habe vermutlich meinen Bruder umgebracht, aber darum geht es nicht."

Aber keine Sorge, natürlich geht es um diese Tat und die schwerwiegenden Konsequenzen, die sie zur Folge hat. Denn diese Zeile, die der Icherzähler spricht, ist erst der Startschuss für einen psychischen und auch immer mehr physischen Spießrutenlauf durch die eigene Hölle.

Gestrandet

Er ist ein junger Schauspieler und sitzt alleine am einsamen Strand Playa Gui Gui auf Gran Canaria.

Buchcover "Gui Gui oder Die Machbarkeit der Welt" von Hubert Weinheimer

Foto Hubert Weinheimer

"Gui Gui oder Die Machbarkeit der Welt" von Hubert Weinheimer ist in der redelsteiner dahimène edition erschienen.

Während die Wellen sanft gegen den Sand rauschen, lässt uns der Erzähler an seinem inneren Monolog teilhaben, in dem er versucht, bruchstückhafte Erinnerungen an eine folgenschwere Nacht wieder zusammenzusetzen. Eine Nacht, in der sein kleiner Bruder ihn dazu gebracht hat, die Waffe auf ihn zu richten und abzudrücken.

Jetzt liegt der Jüngere im Koma und sein älterer Bruder versucht in seinem selbstgewählten Exil die Tat zu rechtfertigen. Doch je mehr der Schauspieler versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass er von seinem Bruder gezwungen wurde und somit in Notwehr gehandelt habe, desto mehr wachsen Zweifel in ihm, wer hier wirklich die Schuld trägt. Während dem Versuch, nach diesem traumatischen Ereignis die Machbarkeit der Welt wieder herzustellen, entsteht ein innerer Krieg der Stimmen im Kopf des Schauspielers, die ihn an die Grenzen seiner psychischen und physischen Belastbarkeit bringen.

Fantastisches Drama oder theatrale Familienaufstellung?

Hubert Weinheimer ist ein wahres Kunststück geglückt. So einfach und knapp diese Geschichte anmutet, so vielschichtig und komplex ist ihre hintergründige Metaebene.

Wie ein Kammerspiel inszeniert er den inneren Zwiespalt seines Erzählers, indem verschiedene Figuren, angefangen von seinem niedergeschossenen Bruder bis hin zu einem verrückten König, die Kontrapositionen zu seinen Rechtfertigungsversuchen einnehmen. Dabei tariert Hubert seine Charaktere auf einer Skala zwischen "realistisch" bis "fiktional" geschickt aus, wobei gewisse Figur mehr ins eine oder anderen Extrem rutschen. So wie sich der Erzähler in seiner fieberhaften Suche nach dem wahren Schuldigen immer weniger selbst trauen kann, verschwimmen auch für die Leser die Grenzen zwischen Realität und Fiktion.

Autor Hubert Weinheimer

Andreas Gstettner-Brugger

Nachdem wir die Geschehnisse nur durch die Brille des Erzählers sehen, könnte man folgern, dass auch alle vorkommenden Dialoge nur erdacht und lediglich mögliche Diskussionen sind, die der Schauspieler am einsamen Strand in seinem Kopf konstruiert. Demnach könnte man "Gui Gui oder Die Machbarkeit der Welt" als systemische Familienaufstellung lesen, mit der sein Erzähler versucht, der Wahrheit und Verantwortlichkeit auf den Grund zu gehen.

Wenn es jedoch nach Hubert Weinheimer geht, gibt es auch eine fantasiereichere Variante, die Geschichte zu interpretieren. Denn was wäre, wenn sich der kleine Bruder durch die von ihm erzwungene Tat in den Kopf des Schauspielers hineinkopiert hat? Was, wenn er wirklich dort sitzt und die beruhigende Stille der Bucht immer wieder mit Vorwürfen aufbricht? Was, wenn der kleine Bruder versucht, seinen großen Bruder wirklich in den Wahnsinn zu treiben? Klar, diese Lesart ist nicht logisch, aber sie eröffnet eine ganz andere Sphäre der Erzählung.

"Gui Gui oder Die Machbarkeit der Welt" bietet viele Reibungspunkte und konfrontiert uns gleichzeitig auf recht unbequeme Weise mit alten Glaubenssätzen und übernommenen Mustern, nach denen wir alle im alltäglichen Leben handeln.

Egal, auf welche Ebene des Buches man sich einschwingt, man sollte den hintergründigen Humor und die Ironie nicht überlesen, die Hubert Weinheimer immer wieder aufblitzen lässt. Ob es nun die liebevolle Breitseite gegen die Schauspielerriege ist oder das wahnwitzige Konzept, die Religion sei ein "Insider-Witz" und seine Anhänger seien jene, die ihn nicht verstehen.

So meint Hubert selbst:

"Wenn man das Buch mit zynischen Augen liest, dann ist es glaube ich ein sehr schlechtes Buch. Dann würde es mir selbst nicht gefallen. Aber wenn man es ironisch liest, dann kann es richtig cool sein."