Erstellt am: 3. 6. 2014 - 16:13 Uhr
Bundesregierung hält an Vorratsdaten fest
Am 12. Juni beginnt die Verhandlung über die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung in Österreich vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH). Heute ergingen die Ladungen an die drei klagenden Parteien Michael Seitlinger, die Kärntner Landesregierung und Christoph Tschohl zur mündlichen Verhandlung im Juni. Anfang April hatte der EuGH, an den das Verfahren vom VfGH zur Klärung übermittelt worden war, die gesamte EU-Richtlinie zur Speicherpflicht von Verkehrsdaten aus Telefonienetzen und dem Internet "auf Vorrat" in ihrer Gänze und rückwirkend für ungültig erklärt.
Aus der Stellungnahme der Bundesregierung an den VfGH, die ORF.at vorliegt, geht jedoch klar hervor, dass diese höchst umstrittene Regelung in Österreich offenbar unverändert beibehalten werden soll, auch wenn ihre Grundlage auf EU-Ebene durch den EuGH gekippt worden ist.

Screenshot Bundeskanzleramt
Massive EuGH-Kritik an Speicherpflicht
Die mit dem Fall befassten EuGH-Richter hatten vor allem die undifferenzierten und umfassenden Speichervorschriften in der EU-Richtlinie und den daraus resultierenden nationalen Gesetzen massiv kritisiert. Bekanntlich schrieb die Richtlinie vor, dass die Verkehrs- und Geodaten sämtlicher Telefonate für einen im nationalen Recht zu definierenden Zeitraum zwischen sechs und 24 Monate gespeichert werden müssten.
Am 8. April hatte der EuGH die seit Beginn umstrittene EU-Richtlinie annulliert und rückwirkend außer Kraft gesetzt. Dieses Urteil ist ein absolutes Novum der Rechtsgeschichte der Union, denn der EuGH hatte davor noch nie ein so vernichtendes Urteil über eine EU-Richtlinie gefällt.
Die Vorratsdatenspeicherung führe zu einem massiven Eingriff "in die Grundrechte fast der gesamten europäischen Bevölkerung" und erstrecke sich auf "sämtliche Verkehrsdaten ohne irgendeine Differenzierung", hieß es dazu seitens des EuGHs. Kritisiert wurde weiter, dass diese auch für Personen gelte, "bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem (...) Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte".
Regierung ignoriert Speicherung
Die Bundesregierung geht in ihrer Stellungnahme mit keinem Wort auf diesen Grundrechtseingriff ein, wie auch die Forderung des EuGHs, dass ein "Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit erforderlich" sein müsse, schlicht ignoriert wird.
Wörtlich heißt es da: "Nach der Leseart der Bundesregierung ist das vom EuGH formulierte Bedenken einer undifferenzierten Vorratsdatenspeicherung (insbesondere) im Zusammenhang mit den Zugangsregelungen zu Vorratsdaten zu sehen. Hinsichtlich des Zugangs zu Vorratsdaten weist die Bundesregierung darauf hin, dass die österreichische Rechtslage sehr wohl eine differenzierte und verhältnismäßige Regelung aufweist. Vor dem Hintergrund des differenziert geregelten Zugangs zu den Vorratsdaten ist nach Auffassung der Bundesregierung die anlasslose Speicherung der Vorratsdaten im konkreten Verfahren daher nicht relevant."

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"Sportlicher Ansatz"
"Die Bundesregierung ist also der Ansicht, dass die Bedenken des EuGHs gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung im nationalen Verfahren vor dem VfGH nicht von Relevanz sind, weil das nationale Recht spezifische Zugangsregelungen zu den gespeicherten Daten enthält", sagte der Wiener Rechtsanwalt Gerald Otto, der den Privatkläger Michael Seitlinger vertritt, zu ORF.at.
Der Ansatz des Rechtsvertreters der Bundesregierung sei insofern als "sportlich" zu bezeichnen, sagte Otto, weil der VfGH ja genau diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hatte. Die lautete, ob die den nationalen Regelungen zugrunde liegenden Bestimmungen der umfassenden Speicherpflicht in der nunmehr nichtigen Vorratsdatenrichtlinie gegen Grundrechte verstoße, wie sie etwa in der EU-Charta festgeschrieben seien.
"Speicherung" kommt nicht vor
Was da nobel als "sportlicher Ansatz" bezeichnet wird, ließe sich unschwer auch als "Dreistigkeit" bezeichnen. In der sieben Seiten umfassenden Stellungnahme der Regierung zu einem Gesetz mit dem Titel "Vorratsdatenspeicherung" wird das Wort "Speicherung" so gut wie überhaupt nicht erwähnt. Es kommt nur in der Einleitung vor und da auch nur, weil man eben den Begriff "Vorratsdatenspeicherung" nicht gut vermeiden konnte.
Thematisiert wird die Speicherpflicht, also der vom EuGH verworfene Wesensgehalt sowohl der Richtlinie wie auch der 2012 in Kraft getretenen nationalen Regelung nur ein einziges Mal. Und da auch nur, um die österreichische Vorratsdatenregelung als besonders "verhältnismäßigen Ansatz" abzufeiern:
"In Anbetracht komplexer krimineller Strukturen und oftmals nötiger umfangreicher Ermittlungen ist diese Dauer ein eher niedriger und daher verhältnismäßiger Ansatz", heißt es auf Seite vier der amtlichen Stellungnahme (Hervorhebungen im Original). Mit "Dauer" ist der Zeitraum gemeint, für den diese personenbezogenen Daten vorgehalten werden.

Screenshot Bundeskanzleramt
Mit Niveau geregelt, deshalb legal
Auf den letzten beiden Seiten betont die Bundesregierung noch einmal die Verfassungskonformität der durch die Vorratsdatenspeicherung veränderten Bestimmungen im Telekomgesetz, der Strafprozessordnung und im Sicherheitspolizeigesetz halte man "voll inhaltlich aufrecht".
Deshalb träfen jene "Argumente des EuGHs, aus denen er die Unverhältnismäßigkeit der Richtlinie 2006/24 ableitet, tel quel nicht zu." Obendrein sei man in Österreich ohnehin "weit über das von der Richtlinie geforderte Regelungsniveau hinausgegangen", schreiben die Juristen der Regierung in ihrer Stellungnahme. Bloß gibt es diese Richtlinie nicht mehr, weil sie gegen die in der EU-Charta festgeschriebenen Menschenrechte verstößt (Hervorhebungen im Original).
Worauf die Bundesregierung nicht einging
"In diesem Zusammenhang darf ich nochmals diese Aussagen des EuGHs in Erinnnerung rufen", sagte Gerald Otto dazu, "der EuGH anerkennt zum Beispiel, dass sich die Vorratsdatenspeicherung negativ auf die Nutzung der Kommunikationsmittel und infolgedessen Ausübung der Meinungsfreiheit negativ auswirken könne." (Randzeile 28 des EuGH Urteils)

CC Stefan Gergely
Genausowenig werde seitens der Bundesregierung auf die Erkenntnis des EuGHs eingegangen, dass die Vorratsdatenspeicherung geeignet sei, bei Betroffenen das Gefühl zu erzeugen, dass ihr Privatleben ständig überwacht wird.
Auf das vom EuGH massiv kritisierte Fehlen irgendwelcher Beschränkungen in der vormaligen EU-Richlinie werde seitens der Bundesregierung genausowenig eingegangen. Die auf Vorrat gespeicherten Daten seien ja weder auf einen bestimmten Zeitraum, noch ein bestimmtes geografisches Gebiet, noch auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt. Insbesondere kritisiert der EuGH das Fehlen jeglicher Kontrolle vorab durch ein Gericht, sagte Otto am Dienstag zu ORF.at (Rz 59,60,62 EuGH Urteil).
Menschenrechte und Verfassung
"Daraus kann meines Erachtens abgeleitet werden, dass der EuGH anstatt einer generellen und anlasslosen Speicherung auf Vorrat eher ein eine Art Quick-Freeze-Verfahren als mit den Grundrechten vereinbart erachtet", so Otto abschließend.
Die Bundesregierung wiederum geht nach wie vor davon aus, "dass es sich bei den angefochtenen Bestimmungen", nämlich die anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Geodaten aus Telefonnetzen und dem Internet, um "im öffentlichen Interesse gelegene, sachlich gerechtfertigte und nicht unverhaltnismäßige Regelungen handelt, die keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen."

Screenshot Bundeskanzleramt
Das wirkt in dieser staatlicherseits in Österreich geäußerten Rechtsmeinung zu einem EuGH-Urteil, das die anlasslose Speicherung der Metadaten aller Bürger wegen Verstößen gegen die EU-Charta aufgehoben hat, durchaus schlüssig. Der Begriff "Menschenrechte" kommt in der Rechtsmeinung überhaupt nicht vor und auch die Verfassung der Republik Österreich ist kein Thema, gleichwohl sie die Deklaration für Menschenrechte der Vereinten Nationen enthält, auf der die Charta der Europäischen Union basiert.