Erstellt am: 3. 6. 2014 - 22:22 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 9.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Heute: ein Eintrag ins WM-Journal '14. Die Preview mit den Einschätzungen der WM-Teilnehmer gibt's diesmal nicht einzeln oder nach den gelosten Gruppen, sondern nach Kulturräumen.
Teil 5 gehört 'tschland, dem deutschen Lieblingsnachbarn.
Teil 4 war Frankreich und Algieren gewidmet.
Teil 3 befasste sich mit den vier Teams aus Sub-Sahara-Afrika.
Teil 2 featuret die beiden Vertreter der Benelux-Staaten, Belgien und die Niederlande.
Teil 1: Mutterland & Offsprings, England, USA und Australien.
Die Einträge 2 und 3 gaben erste Antworten auf die zentralen Fragen; Eintrag 1 beschrieb ein Was-wäre-wenn aus österreichischer Sicht.
Zuletzt hörte man die Auguren schon lauter säuseln: Argentinien, so frohlocken sie, ist jetzt echt der Geheimfavorit des Turniers.
Für alle, denen Brasilien zu logisch, Spanien schon zu fad, Deutschland zu wenig überraschend und Italien zu europäisch ist, stellt die Albiceleste die perfekte Alternative dar. Ihr Sieg würde den schrecklichen Mythos von 1950, den, dass Brasilien daheim gar nicht gewinnen kann, fortsetzen, er wäre antizyklisch as can be und er würde endlich den geheimen Wunschtraum vieler Fußballfans erfüllen: dass die Mannschaft, die den weltbesten Kicker in ihren Reihen weiß, gefälligst auch den großen Titel einfährt.
Der Titelträger von 1950, die von jenseits des Rio de la Plata, die wissen, wie sowas geht, sind diesmal vor deutlich mehr Probleme gestellt als vor vier Jahren. Nochmal ins Semifinale kommt Uruguay diesmal nicht.
Team Argentina
Was soll Alejandro Sabella also tun?
Alles auf Lionel Messi hin ausrichten und darauf hoffen, dass der so früh nach Barcelona Emigrierte endlich auch einmal im Nationalteam seine Klasse flächendeckend ausspielt? Oder eine ganz normale Mannschaft mit Messi irgendwo mittendrin hinstellen und auf eher ungeprobte Genieblitze warten?
Der argentinische Coach hat sich für die erste Variante entschieden, also ein 4-3-3 mit einem zurückhängenden Mittelstürmer, einer sogenannten falschen Neun, der Position, die Messi mehr oder weniger erfunden hat. Neben bzw. vor Messi spielen in dieser Variante dann Higuain und El Kun, Maradonas Schwiegersohn Agüero. Hinter ihm werden seitlich Gago und der aktuell in Bestform befindliche Angel di Maria ihr Werk verrichten und hinter ihm steht Mascherano. Zudem werden die Außenverteidiger, wohl Zabaleta und Rojo stetige Vorstöße vollführen und Garay soll die Abwehr vor dem gern unterschätzten Romero dirigieren.
Fällt Messi weg, fällt alles in ein flaches 4-4-2 ohne viel Kreativität zusammen, weil niemand seine Rolle übernehmen kann.
Das Problem ist aber weniger, dass Messi wirklich ausfällt, sondern eher, dass er de facto ausfällt; dass er - so wie bisher in so vielen wichtigen Spielen oder bei Turnieren - nicht einmal ansatzweise die Kraft, die er bei Barcelona hat, aufbringt. Dass man sich also das Messi-Korsett der Aufstellung letztlich ganz umsonst angezogen hat.
Messi ist unter Sabella zudem auch Kapitän; eine rein symbolische Wahl - auf dem Feld ist der leise Schleicher nicht zu hören.
Dafür ist diesmal sonst (fast) alles mehr als stimmig. Die Abwehr ist (angesichts von Zeiten eines Samuel, Zanetti oder Heintze keine Selbstverständlichkeit) im besten Alter, das Mittelfeld hinter Messi gut eingespielt und mit Agüero und Higuain verfügt man über zwei begabte Finisher. Die Gruppe F mit Nigeria, dem Iran und Bosnien ist angemessen durchschreitbar, bei einem Sieg kann man im Viertelfinale sogar den Gewinner der Deutschland-Gruppe umgehen - in der unteren Setz-Hälfte lebt's sich - favoritentechnisch nämlich etwas leichter.
Was den mittlerweile schon wieder etwas lauter gewordenen Auguren gut zupass kommt. Und zugegeben, auch ich kann mir ein Finale vorstellen.
Der 23er-Kader
Tor: Mariano Andujar (Catania/IT), Agustin Orion (Boca Juniors), Sergio Romero (Monaco/F)
Abwehr: Jose Basanta (Monterrey/MEX), Martin Demichelis (Man City/ENG), Ezequiel Garay (Benfica/POR), Marcos Rojo (Sporting/POR), Pablo Zabaleta (Man City/ENG), Federico Fernandez (Napoli), Hugo Campagnaro (Inter/IT)
Mittelfeld: Ricardo Alvarez (Inter/IT), Lucas Biglia (Lazio/IT), Angel Di Maria (Real/SPA), Augusto Fernandez (Celta/SPA), Fernando Gago (Boca Juniors), Javier Mascherano (Barcelona/SPA), Enzo Perez (Benfica/POR), Maxi/miliano Rodriguez (Newell’s Old Boys)
Angriff: Sergio Agüero (Man City/ENG), Gonzalo Higuain (Napoli/IT), Ezequiel Lavezzi (PSG/F), Lionel Messi (Barcelona/SPA), Rodrigo Palacio (Inter/IT)
Stand-By: Lisandro Lopez (Getafe/SPA), Nicolas Otamendi (Atl. Minerio/BRA), Gabriel Mercado (River), Jose Sosa (Atletico/SPA), Ever Banega (Newell’s Old Boys), Fabian Rinaudo (Catania/IT), Franco di Santo (Werder/D).
Wer fehlt?
Von großen Namen her: Carlos Tevez (Juve) und auch Javier Pastore (PSG) - die passen nicht in Sabellas auf Messi hin ausgerichtetes System. Aber das war schon länger klar.
Dass der als Fixstarter neben Garay gehandelte Innenverteidiger Federico Fernandez den letzten Cut nicht geschafft hat, war ein Irrtum meinerseits - erfreulicherweise.
Out sind Torman Oscar Ustari (Sunderland), Fabricio "Locke" Coloccini (Newcastle) und Clemente Rodriguez (Sao Paolo), Cristina Ansaldi von Zenit in Russland, Erik Lamela (Tottenham) und Mauro Icardi (Inter). Und Augusto Fernández (Celta), Nicolás Gaitán (Benfica), Gino Peruzzi (Catania), Facundo Roncaglia (Fiorentina). Ich vermisse auch Jonás Gutiérrez von Newcastle.
Althasen wie Nicolás Burdisso oder Gabriel und Diego Milito sind kein Thema mehr; Langzeit-Kapitän Javier Zanetti hat seine Karriere mit 39 beendet.
Österreich-Aspekt
Aldo Pedro Duscher. Der hat zwar schon seit einem Jahr aufgehört, seine drei Teamspiele, seine berüchtigte Härte als zentraler Mittelfeldspieler und vor allem sein österreichischer Zweitpass machen ihn aber zu einer unterschwellig durch die heimische Fangemeinde schwirrenden Legende.
Team Uruguay
Ich bin ungern respektlos, noch dazu gegenüber einer meiner all-time-Lieblingsteams, einem Ex-Weltmeister und dem herausragenden Vierten der letzten WM, der Mannschaft, die noch dazu den mit Diego Forlan den logischen MVP des Turniers 2010 gestellt hat.
Vielleicht ist es auch nur der Einfluss der wirklich wenig berauschenden Performance gegen das ÖFB-Team, dass ich Uruguay heuer genau gar nichts zutraue. Wozu auch die Gegner in Gruppe A (nicht Costa Rica, aber vor allem Italien und die wohl unterschätzten und jungen Engländer) beitragen.
16 Spieler des aktuellen Kaders waren schon 2010 dabei, drei weitere sind auf Abruf, das ist eine enorm hohe Quote für vier Jahre Abstand. Ich sage: dieses Team ist zu alt. Bis auf Innenverteidiger Gimenez wurde kein frisches Blut zugeführt - und der wird sich wohl hinter Lugano-Godin einreihen. Das vielgelobte Talent Stuani ist 27, keiner aus der Stammformation ist unter 25, vor allem die zentralen Positionen werden von deutlich über 30-Jährigen besetzt. Forlan kann maximal noch 60 Minuten laufen.
Das kann nicht gutgehen. Es wird aufs Tempo und auf die taktische Flexibilität drücken, es wird Uruguay so seiner wichtigsten Waffen berauben, der Asymmetrie und der Unberechenbarkeit. Gegen Österreich im März war eine erstaunlich starre, aus ihrem flachen 4-4-2 gar nicht rauskommende Mannschaft zu sehen. Dort erholte man sich zwar von einem Rückstand und ging mit einem Remis vom Platz - aber Italien und England sind nicht Österreich; die schaffen es zwei Halbzeiten lang die Konzentration aufrecht zu halten.
Andererseits hat Oscar Tabarez auch keine andere Möglichkeit. Dass er sich ausschließlich auf Legionäre (bzw. ehemalige) verlässt, wirft ein deutliches Licht auf die maximal zu Ausbildungszwecken brauchbare heimische Liga (die noch dazu praktisch eine Stadtmeisterschaft von Montevideo ist). Und sonst ist da eben keiner. Also ist Uruguay quasi gezwungen mit der Oldie-Bande ins Rennen zu gehen.
Der 23er-Kader
Tor: Fernando Muslera (Galatasaray/TUR), Martin Silva (Vasco/BRA), Rodrigo Munoz (Libertad/PAR).
Abwehr: Diego Lugano (West Brom/ENG), Diego Godin, Jose Gimenez (Atletico/SPA), Martin Caceres (Juve/IT), Alvaro Pereira (Sao Paolo/BRA), Maxi/miliano Pereira (Benfica/POR), Jorge Fucile (Porto/POR), Sebastian Coates (Nacional/Liverpool/ENG)
Mittelfeld: Egidio Arevalo Rios (Monarcas/MEX), Walter Gargano (Parma/IT), Diego Perez (Bologna/IT), Alvaro Gonzalez (Lazio/IT), Cristian Rodriguez (Atletico/SPA), Gaston Ramirez (Southampton/ENG), Nicolas Lodeiro (Botafogo/BRA)
Angriff: Luis Suarez (Liverpool/ENG), Edinson Cavani (PSG/F), Diego Forlan (Cerezo/JAP), Cristian Stuani (Espanyol/SPA), Abel Hernandez (Palermo/IT)
Stand-By: Andrés Scotti (Nacional), Alejandro Silva (Lanus/ARG), Sebastian Eguren (Palmeiras/BRA), Álvaro Fernández (Gimnasia/ARG), Gonzalo Castro (Real Sociedad/SPA)
Wer fehlt?
Oscar Tabarez hat ein einziger bereits nur 28 Mann nominiert, als er die Chance auf 30 hatte. Sein vierter Tormann wäre wohl Juan Castillo von Penarol und die Nummer 30 schätzungsweise Matías Aguirregaray von Estudiantes/ARG oder Carlos Valdez von Penarol.
Von der letzten WM-Kader wären noch Sebastian Fernandez (Rayo), Ignazio Gonzales (Nacional) und Mauricio Victorino (Palmeiras) aktiv. El Loco, Sebastian Abreu ist jetzt 37 und spielt bei Rosario. Mehr ist da nicht, es ist ein kleines Land, nur 3,3 Millionen Einwohner.
Österreich-Aspekt
Martin Brenner, der einst bei Austria Lustenau und dann beim CA Basanez spielte, ein Doppelstaatsbürger. Und natürlich Martinez, Vater und Sohn.
Alberto Martinez war in den 70ern ein Idol in Reihen der besten Austria Wien aller Zeiten - ich hab ihn einmal ausführlich gewürdigt. Und sein Sohn Sebastian, in Wien geborener zweifacher ÖFB-Teamspieler. Im Vorfeld der Fußball-Euro 2008 in Österreich und der Schweiz war Martinez Teil des Projekts Eleven Minutes das elf Kurzfilme zu einem Paket bündelte. Sebastian spielt da neben Hilde Dalik die Hauptrolle in Blick auf Wien von Johanna Moder, sehr dezent und wahr.