Erstellt am: 3. 6. 2014 - 15:00 Uhr
Apples Ende, Apples Anfang
Ich frage mich ein wenig, woher die Enttäuschung über die Produktvorstellungen der aktuellen Apple-Entwicklerkonferenz WWDC 2014 kommt: Dass Apple keine "bahnbrechenden" oder "revolutionären" Produkte mehr vorstellen wird, ist doch schon seit Jahren klar. Vor drei Jahren ist Steve Jobs gestorben. Er war der Meinung, dass Apple noch immer ein Start-up sei, Tim Cook müsse das fixen.
@asymco.com
Dass dieses Bild vom Start-up viel mehr Substanz hat, als ich dachte, erklärte mir vor ein paar Wochen der Apple-Experte Horace Dediu: Apples Firmenstruktur entspreche der einer funktionalen Organisation, wie sie nur in kleinen, jungen Unternehmen, bei Projektarbeiten oder dem Militär vorkommt. Statt eine Firma nach Regionen und Produkten zu organisieren ("jedes Produkt ist seine eigene Firma"), sei die Struktur der Firma strikt nach ihren Abteilungen ausgerichtet. Wenn von oben ein neues Produkt gewünscht wird, setzen sich alle Abteilungen dran und versuchen ihren Teil bestmöglich zu erfüllen. Dieses Organisationsprinzip hat einige Nachteile, zum Beispiel ist es nicht effizient und es führt zu Spezialistentum und schlechter Firmenkommunikation. Dafür ermöglicht es eine klare Produktlinie, einzheitliche, kohärente Produkte aus einer Hand, und Wendigkeit: Wenn Apples Firmenleitung ein Thema für interessant befindet, kann recht schnell die komplette Firma darauf angesetzt werden.
Im Falle Apples ist das eine ordentliche Wucht: Laut Dediu gibt es weltweit keine derartig strukturierte Organisation mit vergleichbarer Größe - wenn man das US-Militär außen vor lässt. Und man spürt diese Wucht. Wenn Apple sich eines Themas annimmt, dann durchdringt es das Unternehmen. Man spürt förmlich, dass Apple versteht, besser als die Konkurrenz und besser als der Markt, was sie da gerade tun. Bei den Produktpräsentationen äußert sich das meiner Ansicht nach immer in den brillanten Beispielen, mit denen Apple die Nützlichkeit eines neuen Dienstes oder einer neuen Funktion zeigt. Diese Beispiele sind so nebensächlich und trivial - und gehen so ungemein gut im Alltag auf.
Gestern zum Beispiel die Gruppen-Funktion der Heimautomatisierung. Das ist ein brillant platzierter Nebensatz, der Auskennern und Nicht-Auskennern mal eben zeigt, was mit so einem System möglich ist und dann noch das Thema Sicherheit im Thema Komfort versteckt. Ach ach ach, wenn doch nur die gleichen Leute Apples Witze schreiben würden, die diese Ideen haben (oder sind sie es gar - und deshalb die Witze so dermaßen schrecklich unwitzig? Weil sie keinen Spaß verstehen und sogar nen Arroganz- und Machtdrall haben?).
Forever Young oder Halbglatze im Diskodunst?
Die Präsentation der WWDC 2014 gibt es hier im Stream
Dediu vermutet, dass Apple auch weiterhin von den Vorteilen als funktionale Organisation profitieren will und alles tut, damit das funktioniert, etwa eine eigene Apple University errichten, die Wissen über die Erfolgsfaktoren von Apple sammelt - denn der Erfolg von Apple kann - und dieser Fehler wird so oft gemacht - nicht auf Steve Jobs reduziert werden. Er hatte die Idee der funktionalen Organisation, er hatte eine Vision, wie sie als riesiges Konstrukt stabilisiert werden könnte und er war lange Zeit der Garant dafür, dass sich das Unternehmen entsprechend entwickelt und Personen sich entsprechend (unter Androhung und Anwendung psychischer Gewalt) verhalten. Aber das Wissen und Können Apples liegt ja immer noch in den Personen, die dort arbeiten. Apple ist nur eine Struktur, die dieses Wissen und Können ideal abzapft, ausbeutet und zusammenfügt.
Apples Zeit als Start-up ist trotzdem gezählt, das Unternehmen muss wachsen - allein schon, um die Investoren zu beglücken, die Apples Wachstumschancen bislang als sehr gering einschätzten. Kein Wunder: Jobs tat auch alles dafür, dass Apple nicht wuchs, wie die Konkurrenz, sondern vor allem hervorragende Produkte produzierte. Jeder Schuss ein Treffer war das Prinzip. Nicht: Solange von 100 Schüssen einer ein Superhit ist, reicht uns das, wie das andere Unternehmen machen.
Apples Produktfokus und Firmenideologie mit den Anforderungen eines Massenmarkts unter einen Hut zu bringen, ist Tim Cooks Aufgabe. Er verwässert nicht Steve Jobs Visionen, ist aber genau so gut darin, sie umzusetzen. Ich glaube, dass Tim Cook deshalb von Jobs als Nachfolger ausgewählt wurde, weil er Apple so lange über Wasser halten kann, bis es diese Transformation zu einer wahren Mainstreamfirma geschafft hat.
APA/EPA/JOHN G. MABANGLO
Apple erledigt den Computer!
All dieser Firmenhokuspokus ist für mich nur deshalb interessant, weil ich vermute, Apples Masterplan zu erkennen - und wenn es kein Plan ist, dann ist es trotzdem wichtig: Apple entwickelt sich zu einem Unternehmen der Post-Computer-Zeit. Wenn ich mir die neuen Ankündigungen mit Heimautomation, Mobility, Gesundheit und so weiter anschaue, dann sehe ich Apple darin eher in der Rolle eines Versorgungsunternehmens oder einer Haushaltsgegenstände-Firma. Apple, glaube ich, denkt nicht mehr in Computer-Kategorien, sondern in Alltäglichkeiten.
Vielleicht ist das ja mal ein praktischer Anwendungsfall für das oft falsch verwendete Wort "Technologie": Dass Technologie im Deutschen genau diesen Aspekt von Technik transportiert, dass es eine ästhetisch wahrnehmbare Dimension von Technik gibt, die aber nur manchmal wichtig ist. Zum Beispiel am Anfang und Ende der Zeit der Wählscheibe, aber nicht während ihrer Allgegenwärtigkeit.
Es könnte sich sogar herausstellen, dass all die technischen und technologischen Innovationen, für die Apple stand, nur Ausdruck der Anstrengung waren, diese "technologische Phase" der Computerbranche zu überwinden. Genau so, wie am Anfang das Wählscheibentelefon wohl vor allem als technisches Wunder wahrgenommen wurde, verschwand diese "technische Oberfläche" immer mehr - erst heute kann man die Wählscheibe wieder in ihrer Veraltetheit als technologische Idee wahrnehmen. Apples innovativen Jahre wurden ja eh schon mehrfach als Zeichen der Traurigkeit der umgebenden Branche und nicht der Brillanz eines Unternehmers betrachtet: Jobs und seine KollegInnen hatten es schlicht einfach, das Feld aufzuräumen, rundherum gab es ja nur Schrott. Vielleicht ist Jobs - oder wer auch immer bei Apple möglicherweise auf diese Idee kam - Genie ja, die Idee, dass man das Computerhafte am Computer schleunigst loswerden müsse, dass Design der Weg dorthin sei und dass erst dann, wenn der Computer nicht mehr mitgedacht werde, die Zeit für die wirkliche technische und technologische Alltagsrevolution begänne. Apple könnte damit einer der ersten großen Unternehmen in diesem Feld sein, das bislang vor allem der Automobil- und Weißeware-Industrie gehört. Extratoll: Apple nimmt das, was es aus der Computerzeit gelernt hat, mit und führt Entwickler-Schnittstellen, Vernetzung und so weiter in diese neue Welt ein. Sollte Apple einmal mit Rowenta konkurrieren, weiß Apple, wie es geht und Rowenta erstmal nicht.
Und deshalb ist für mich die gestrige Vorführung auch ein Triumphzug gewesen und kein müdes Trauerspiel: Apple zeigt der Welt die ganze Zeit, dass eine Äre zu Ende geht, für deren Aufstieg Apple steht. Und dass Apples Innovationskraft in Wirklichkeit nur die Urbarmachung eines Feldes ist. Apple zerstört den Computer und macht ihn damit bereit für die Zukunft. Geil, oder?