Erstellt am: 3. 6. 2014 - 14:00 Uhr
Streiks, überfüllte Busse und blockierte Straßen
Streiks des Buspersonals werden sehr kurzfristig am Vorabend angekündigt. Ich muss dann entscheiden: fahre ich in die Arbeit? Wer von meinen Kollegen wird kommen? Ricardo eher nicht, der wohnt weit im Norden und braucht zwei Busse, um zur Uni zu kommen. Eliabe schon, der kommt mit dem Auto. Die meisten StudentInnen nicht, weil sie öffentlich unterwegs sind. Und wir freuen uns, weil Lucas, ein Freund von uns, dann bei uns übernachtet - weil wir neben der U-Bahn wohnen und er deswegen in der Früh keinen Bus nehmen muss, um in die Arbeit zu kommen.
Johannes Schmidt
Der öffentliche Verkehr ist in Rio de Janeiro kompliziert. Umfangreiche Bauarbeiten im Rahmen von Infrastrukturprojekten der WM und der olympischen Spiele, eine Straßeninfrastruktur, die durch die hohe Anzahl an PKWs ohnehin völlig überlastet ist und eine undurchschaubare Politik der Busunternehmen, wann und in welcher Anzahl sie Busse auf den Weg schicken, machen jeden einzelnen Arbeitsweg zum Abenteuer. Meine Bestzeit waren 35 Minuten. Ich habe aber auch schon zwei Stunden gebraucht - in einem völlig überfüllten Bus bei 40 Grad. Der Vorteil von überfüllten Bussen: in den vom Busfahrer rasant genommen Kurven läuft man nicht Gefahr, umzufallen. Wohin auch?!
Dabei habe ich es gut, ich fahre mit U-Bahn und Bus in der Früh vom Süden in den Norden der Stadt. In die andere Richtung, vom einwohnerreichen Norden in den arbeitsstättenreichen Süden ist die U-Bahn so voll, dass ich schon erlebt habe, wie zuerst die Kinder und dann ihre Mütter in Panik geraten, weil es so eng ist. In den Stoßzeiten werden eigene Wagen für Frauen geführt, damit diese nicht den Grapschattacken ihrer sehr eng stehenden männlichen Mitfahrenden ausgesetzt sind. Diese täglichen Menschenströme sind auch Folge einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung in der Stadtplanung: die ArbeiterInnenviertel, die Viertel, wo die vielen Hausangestellten wohnen, haben sich ausgebreitet, wo noch Platz und noch kein ökonomisches Interesse war, im Norden und Osten der Stadt, wo es keine Strände gibt, keine schönen Hügel und keine Hotels. Es gibt auch Favelas im reicheren Süden, aber dort wohnen in Summe viel weniger Menschen.
Johannes Schmidt
Ein anderer Faktor, der den Verkehr in Rio unberechenbar macht, sind die zahlreichen Demonstrationen - gegen die WM, gegen Polizeigewalt in den Favelas, gegen Fahrpreiserhöhungen. Und LehrerInnen fordern höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, schon seit Wochen, und sind bei vielen Demonstrationen präsent: diese machen es sich immer wieder zum Ziel, Hauptverkehrsrouten lahmzulegen, um der Demonstration auch Gewicht und Gehör zu verschaffen.
Und jetzt die Streiks des Buspersonals. Nachdem die Müllmänner und -frauen erfolgreich im Karneval gestreikt und stark erhöhte Löhne durchgesetzt haben, wollen die BusfahrerInnen vor der WM auch noch bessere Bedingungen durchsetzen. Ein Busstreiktag ist deutlich wahrnehmbar: die Straßen sind leergefegt von den sonst zahlreichen Bussen und an allen Bushaltestellen unterhalten sich Leute, wie sie doch noch ihren alltäglichen Verkehrsweg ohne Bus bestreiten können. Manchmal kommen private Kleinbusse vorbei, wenn wir Glück haben auch welche, die an der Uni vorbeifahren, die noch dazu abgeschnitten auf einer Insel liegt und schwer erreichbar ist. Dann zahlen wir natürlich erhöhte Preis, das Gesetz von Angebot und Nachfrage, das merkt man in solchen Situationen deutlich, das wirkt. Manchmal teilen wir uns aber auch Taxis, Gruppen von vier oder fünf StudentInnen und Uni-MitarbeiterInnen, die sich an den Bushaltestellen zusammenfinden. Und, wie in vielen anderen Situationen auch, bei denen alle Pläne für den Tag durch höhere Mächte über den Weg geworfen werden, fällt mir auf: es hat auch sein Gutes, diese Unterbrechung der Routine. Ich komme ins Gespräch mit Unbekannten, wir können über die katastrophalen Zustände im öffentlichen Verkehr jammern und über die Zustände im Allgemeinen. Und das gemeinsame Problem, das schweißt zusammen.
Johannes Schmidt
Ähnliches passiert auch bei den zahlreichen Stromausfällen - die ironischerweise sehr oft im Energieplanungsprogramm des Technologiezentrums der Uni vorkommen. Im Sommer ist das Stromsystem der Uni durch den Einsatz der Klimaanlagen immer wieder überlastet, plötzlich fällt der Strom aus - und wir müssen deswegen unsere Arbeit unterbrechen. Wir finden uns im Gang zusammen und tratschen, langsam beschließt einer nach dem anderen heimzugehen, weil Informationen darüber, wann der Strom wiederkommt, sowieso nicht einzuholen sind.Vor allem auch deswegen, weil auch das Telefonsystem zusammengebrochen ist. Auch Internetausfälle haben ähnliche Wirkung: entweder wir tratschen, weil wir unsere Arbeit eh gerade nicht tun können - oder erledigen unsere Arbeit um vieles effizienter, weil so gut wie alle Möglichkeiten fürs Prokrastinieren auf einmal wegfallen.
Heimkommen, das ist für mich übrigens kaum ein Problem. In die Heimrichtung fährt nämlich ein privater Kleinbus. An der Bushaltestelle werde ich mit Handschlag von dem Mann empfangen, der Leute zusammen sammelt, damit der Bus so schnell wie möglich voll wird. Er wünscht uns bei der Abfahrt einen guten Abend, einen guten Schlaf - und freut sich schon darauf, uns morgen wiederzusehen. Ich fühle mich in guten Händen.
Johannes Schmidt