Erstellt am: 7. 6. 2014 - 13:51 Uhr
Nazi-Roboter mit Laserknarren
Bethesda
Was wäre, wenn ... die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Was "Alternative History"-Szenarien betrifft, ist genau dieses Gedankenexperiment nicht unbedingt als originell zu bezeichnen: Robert Harris' "Vaterland" und Philip K. Dicks "Man in The High Castle" stehen als Leuchttürme gelungener Spekulation einem mehr oder weniger lustig wuchernden Dschungel von Trash à la "Iron Sky" gegenüber, in dem die Space Nazis gar die Hauptrolle spielen oder als fast gänzlich ahistorische Cartoonbösewichte sozusagen die Orks geben.
Um es kurz zu machen: "Wolfenstein: The New Order" setzt sich exakt zwischen diese zwei Stühle und kann sich nicht so recht entscheiden zwischen der ernsthaft düsteren Schilderung einer vom triumphierenden Faschismus unterworfenen Welt und fröhlichem Schund. Das ist schade, denn als Trash hat "The New Order" durchaus beste Unterhaltung zu bieten - mit seiner ambitionierteren ernsthaften Seite überhebt es sich hingegen gnadenlos.
id Software/Bethesda
Nazis? Welche Nazis?
Übrigens: Wer als Österreicher eine Importversion von "Wolfenstein: TNO" erworben hat, darf nach Interventionen zorniger Fans nun auch hierzulande die ungeschnittene Version spielen - wie der Standard berichtete, hat Bethesda den Region Lock für Österreich aufgehoben.
Natürlich - das weiß man als deutschsprachiger Spielefreund - ist die Sache in Deutschland und Österreich aber noch zusätzlich kompliziert: Dank deutscher Gesetze, die die Darstellung "verfassungsrechtlicher" Symbole unter Strafe stellen, zeigt sich die hierzulande erhältliche Version der "Wolfenstein"-Reihe ganz hakenkreuzfrei. Weil sich kein Spiele-Publisher traut, per Gerichtsverfahren für Computerspiele gleiche Rechte wie für andere Kulturprodukte einzuklagen, bleibt der Ist-Stand beim deutschen Nachbarn jener von 1994, als der Urahn, "Wolfenstein 3D", bundesweit beschlagnahmt und verboten wurde. Statt also einen PR-mäßig fragwürdigen Gerichtsstreit durchzufechten, entscheiden sich Games-Publisher seit Jahren für die diesbezügliche "Säuberung" ihrer Titel für den deutschen Markt - Österreich und die Schweiz werden dabei trotz unterschiedlicher Rechtslage der Einfachheit halber ebenfalls mit den beschnittenen Versionen beliefert.
Doch auch ohne Hakenkreuze zeigt sich die Dystopie von "Wolfenstein: The New Order" als eindeutig faschistische Zukunftsvision. Dank geheimnisvoller Technologie gewinnt das Naziregime den Zweiten Weltkrieg, und auch William BJ Blazkovicz, Held aller "Wolfenstein"-Spiele seit 1992 und Abziehbild des knarrenschwingenden Supersoldaten, kann die Niederlage nicht verhindern. Mehr noch: Am Kopf verwundet vegetiert er 14 Jahre lang bis ins Jahr 1961 in einer polnischen Anstalt komatös vor sich hin. 14 Jahre, in denen die siegreichen Nazis der ganzen Welt ihren Stempel aufgedrückt haben: Berlin und London sind größenwahnsinnige Monumente nationalsozialistischer Architektur, in ganz Europa sind politische Häftlinge in Lagern weggesperrt und auch auf dem Mond sind die Nazis gelandet. In dieser Welt des triumphierenden Faschismus startet der ansatzlos aus dem Koma Erwachte quasi mit links den Aufstand gegen das Regime.
Kurzvisite im KZ
So weit, so aberwitzig und popcornmäßig altbekannt. Neu ist allerdings die beizeiten bleierne Ernsthaftigkeit, die der neue schwedische Entwickler Machine Games seinen liebevoll gestalteten Figuren in seiner sehr ambitionierten Story zumutet. Denn während man in den großzügigen, überraschend abwechslungsreichen und spannend inszenierten Missionen sozusagen eine Riesenportion "Best of First-Person-Shooter" serviert bekommt, stellt die Hintergrundgeschichte Kriegsmüde und Traumatisierte, Opfer und Helden wider Willen ins Rampenlicht und lässt allzu oft handfesten Spaß mit allzu betulicher Erschütterung aufeinander krachen.
Es ist eine Mischung, die trotz der unleugbaren Qualität des Gameplays problematisch ist. Wie passen depressiv-melancholisches Voice-Over und motivierend spaßige Schießereien zusammen? Und ist es wirklich nötig, ausgerechnet in einem traditionell trashigen Fantasy-Ballerspiel (und ja, ich verwende diesen Begrif mit vollster Absicht) die sehr realen Schrecken der nationalsozialistischen Konzentrationslager zu verwursten? Nicht, dass Spiele prinzipiell unfähig wären, auch ernsthafteste Themen zu behandeln, doch in "Wolfenstein: The New Order", mit seinen Nazirobotern und mechanischen Riesenschäferhunden, mit seinen Abziehbildbösewichtern und seiner C-Movie-Romanze, wirken diese tiefgründig gemeinten Schockmomente nicht nur billig und aufgesetzt, sondern kalkuliert und fehl am Platz.
Bethesda
When Ernsthaftigkeit goes wrong
Durchwegs gelungenes, gewohnt lustvoll brachiales Gameplay und eine beeindruckend gestaltete Dystopie werden von der Ambition der Story, über das Schablonenhafte des Trashs hinauszugehen, bis zur Ratlosigkeit sabotiert. So ist es just der überambitionierte Versuch, "ernsthafter", "erwachsener" zu sein als seine comichaften Vorgänger, der "The New Order" ironischerweise als ärgerlich unreif dastehen lässt. Da mag der bekümmerte Dackelblick des muskelstarrenden Helden noch so melancholisch wirken.
"Wolfenstein: The New Order" ist für Windows, XBox One, Xbox360, PS3 und PS4 erschienen.
Nazi-Roboter mit Laserknarren, ein lustvolles Supersoldatenspektakel mit angenehm oldschooligem, grundsolidem Gameplay, eine abenteuerliche und spektakuläre Kampagne über unterschiedlichste Schauplätze und bis ins Detail liebevolles Artdesign waren dem Entwickler leider nicht genug. Die dicke Extraportion düsterer Ernsthaftigkeit, die die eigentlich spaßige Mischung überall klebrig bedeckt, tut "The New Order" keinen Gefallen. Würde es sich "nur" als herzhafter Trash verstehen, fielen seine Fehlgriffe in der Tonart weit weniger ins Gewicht.
So aber schwankt "Wolfenstein: The New Order" ständig zwischen düsterer Story und bis zur Albernheit cartoonhafter Action hin und her und bleibt dabei vor allem eines: unentschlossen. Schade um den schönen Schund.