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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

12. 6. 2014 - 09:00

Last-Minute-Infos zum Angeben

Wo es sich am Besten lebt, was Brasilianer glücklich macht und andere Dinge, die Korrespondenten so für wichtig halten.

Am Donnerstag um 22:00 wird die Fußball WM 2014 mit dem Spiel zwischen Brasilien und Kroatien in São Paulo eröffnet. Spätestens ab dann werden sich eine Menge Gespräche um Fußball und Brasilien drehen.

Damit man bei Zweiterem nicht wie ein Anfänger dasteht, haben diejenigen, die sonst auch alles im Ausland erklären, ein paar Informationen über Brasilien zusammengetragen: die Auslandskorrespondenten der großen Medienunternehmen. Eine Auswahl der wichtigsten Infos hier in kompakter Form.

Die zwei Pole Brasiliens

Wenn schon in einem kleinen Land wie Österreich die Unterschiede zwischen West und Ost deutlich hervortreten, wie muss das erst in einem Land sein, das hundertmal so groß ist und 20 mal so viele EinwohnerInnen hat? Die zwei Pole, zwischen denen sich Brasilien bewegt, sind dabei weniger weit voneinander entfernt als Wien und Innsbruck und heißen: Rio de Janeiro und São Paulo.

Rio de Janeiro aus der Vogelperspektive

CC-BY-SA 2.0 von flickr.com/hectorgarcia

CC-BY-SA 2.0 Rio de Janeiro

Die EinwohnerInnen von Rio de Janeiro nennen sich Cariocas (aus der Tupi-Sprache für "Haus des weißen Mannes") und sind dankbar und stolz in Rio geboren zu sein, bzw. dort zu leben, in dieser für sie schönsten Stadt der Welt. Sie sind entspannt, gelassen und bewahren fast immer Ruhe. 66% der Cariocas denken, sie seien glücklicher als die BewohnerInnen anderer Städte. Und was sie besonders glücklich macht, sind der Strand und "einen trinken zu gehen".

Dass São Paolo die schönste Stadt der Welt wäre, würden wahrscheinlich nicht mal überzeugte Paulistanos behaupten. São Paulo ist die größte Stadt der südlichen Hemisphäre und die größte Industriemetropole Lateinamerikas. Ein Drittel der brasilianischen Wirtschaftsleistung wird im Bundesstaat São Paulo erbracht. Die Stadt steht für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Ihr bestimmendes Lebensgefühl ist die Hektik, ihre Kennzeichen Organisation, Effizienz und Verkehrsinfarkt. São Paulo ist aber auch eine riesige Kulturmetropole, mit der größten Konzentration an Kultureinrichtungen, viel Design, Mode, Architektur und Nightlife. Die Stadt hat alles was eine Weltmetropole ausmacht.

Skyline von Sao Paolo

CC BY 2.0 von Nicolas de Camaret flickr.com/ndecam/

CC BY 2.0 São Paulo

Während São Paulo erfolgreich ist und respektiert wird, wird Rio anscheinend ohne viel Zutun geliebt, was sich auch in den Zuschreibungen der BewohnerInnen untereinander ausdrückt. Cariocas sind in den Augen der Paulistanos selbstverliebt, verspielt, unseriös und faul, die andere Perspektive sieht spaßfreie, unlockere, überkorrekte und langweilige Paulistanos.

Brasilien ist der BRIC-Staat mit Sambafaktor

Unter den BRIC-Staaten, den aufstrebenden Volkswirtschaften des 21. Jahrhunderts (Brasilien, Russland, Indien und China) nimmt Brasilien eine besondere Rolle ein, die sympathische. ZDF-Korrespondent Andreas Wunn drückt es etwa besonders schön aus: "Nicht so machtbesessen und grimmig wie Russland, nicht so kompliziert und undurchsichtig wie Indien. Und nicht so undemokratisch und unheimlich wie China."

Brasilien ist eine waschechte Demokratie und weckt mit Samba, Strand und Fußball fast nur positive Assoziationen. Auf solche Assoziationen kann eine Volkswirtschaft allerdings auch nicht bauen und in den letzten Jahren ist der Aufschwung in Brasilien wieder deutlich abgeflaut. Brasilien hat seinen Boom vor allem seinem Rohstoffreichtum verdankt, der nun immer stärker hinter die Schwächen des Landes zurücktritt: Brasilien kämpft mit einem schlechten Bildungssystem, der veralteten Infrastruktur, der hohen Korruption.

 Brazilian President Dilma Rousseff (L) and former Brazilian president Luiz Inacio Lula da Silva

APA/EPA/Sebastiao Moreira

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff mit ihrem Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva

Lange wurde Brasilien wirtschaftlich unterschätzt, in den letzten Jahren dann fast schon überschätzt. Der BRIC-Begriff wird langsam von den fragile-five abgelöst: fünf Schwellenländer, die den Aufstieg nicht ganz hinkriegen. Gemeint sind Brasilien, Indien, Südafrika, Indonesien und die Türkei.

Vorbildlicher Schmelztiegel der Kulturen?

Brasiliens Bevölkerung ist gemischt wie kaum eine andere auf der Welt, bedingt durch eine wechselhafte Geschichte aus Kolonisierung, Sklavenhaltergesellschaft und schließlich der massenhaften Einwanderung aus Europa und Asien. Mehr als 50% der BrasilianerInnen bezeichnen sich heute als dunkelhäutig und auch viele der anderen haben schwarze oder indianische Vorfahren.

Der Strand ist einer der großen verbindenden Erzählungen der brasilianischen Gesellschaft. Offiziell gib es keine Privatstrände in Brasilien und in Badekleidung ist jeder gleich. Das stimmt aber nicht wirklich. Auch am Strand sind die sozialen Unterschiede zu sehen, die meisten Strandverkäufer haben dunkle Haut.

Voller STrand in Rio de Janeiro

APA/EPA/MARCELO SAYAO

Ipanema in Rio de Janeiro

Die Grenzen der sozialen Ungleichheit verlaufen immer noch zwischen den Hautfarben. Pförtner, Sicherheitspersonal, Kindermädchen oder Hauspersonal sind meist noch immer Schwarze. Die brasilianische Elite ist weiß. Die akademische Welt bleibt Nicht-Weißen fast verschlossen. Nur 6% der Studierenden an brasilianischen Unis sind schwarz, trotz Quotenregelungen bei den Aufnahmeprüfungen.

Aufstand der Wutbürger

Die Massenproteste, die vor etwa einem Jahr beim CONFED-Cup in Brasilien ausgebrochen sind und seither immer wieder aufflammen, haben ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Mittelschicht. Der Funke, der die Demonstrationen ausgelöst hat, war die Erhöhung der Preise für Busfahrten in mehreren brasilianischen Städten. In der Bevölkerung hatte sich aber schon zuvor viel Ärger und Frust aufgestaut.

Protestzug in Rio

APA/EPA/Antonio Lacerda

Proteste in Rio im Mai 2014

Die Proteste gingen von den brasilianischen "Wutbürgern" aus, Leuten mit normalen Jobs und guten Einkommen, vorwiegend aus der oberen Mittelschicht, die den sozialen Abstieg befürchten, weil das Leben in Brasilien immer teuer wird. Die Immobilienpreise haben, auch bedingt durch die Fußball-WM und die kommenden Olympischen Spiele in Rio 2016, stark angezogen; die Preise im Supermarkt ebenso. Die obere Mittelschicht hat das Gefühl, dass sie für alles die Zeche bezahlt, beschwert sich über Steuern wie in einem Erste-Welt-Land und öffentliche Leistungen wie in einem Dritte-Welt-Land.

Dass die Demonstrationen von der Mittelschicht ausgehen verwundert nicht. Die Reichen haben keinen Grund zum Protestieren, die verdienen am System, die Armen haben von milliardenschweren Sozialprogrammen der Regierungen Lula und Dilma Roussef profitiert. Dennoch unterstützen laut Umfragen 80% der BrasilianerInnen die Anliegen der Protestbewegung, gegen die Korruption vorzugehen und endlich in ein ordentliches Bildungs- und Gesundheitssystem zu investieren.

Die Korrespondenten

Buchcover

Random House

Andreas Wunn, "Brasilien für Insider. Nahaufnahme eines Sehnsuchtslands" ist bei Heyne erschienen.

Vor jedem sportlichen Großereignis gibt es mittlerweile eine Flut an Publikationen, die das Veranstalterland vorstellen wollen. Dass sich dabei vor allem Leute hervortun, die auch sonst über das Land berichten, ist naheliegend. Dabei können allerdings ganz verschiedene Ergebnisse herauskommen, wie die beiden Brasilien-Bücher der Korrespondenten Andreas Wunn und Adrian Geiges zeigen, aus deren Infos dieser Text besteht.

Andreas Wunn ist Brasilien-Korrespondent des ZDF, Adrian Geiges arbeitet hauptsächlich für RTL und n-tv und - zugespitzt gesagt - genauso lesen sich die beiden Bücher. Wunn will in "Brasilien für Insider" den Versuch unternehmen, Brasilien "zu erklären", mit einer nüchternen, objektiven Brille. Er geht recht systematisch vor und untermauert seine Reportagen immer mit vielen Hintergründen, Daten und Fakten. Mit dem faden Titel, und dem abschreckend kitschigen und klischeehaften Cover hat sich der Verlag allerdings wohl keinen Gefallen getan.

Buchcover

Quadriga

Adrian Geiges "Brasilien brennt. Reportagen aus einem Land im Aufbruch" ist bei Quadriga erschienen.

Adrian Geiges wählt für "Brasilien brennt" einen persönlicheren Zugang zu Brasilien. Er zieht in eine befriedete Favela in Rio de Janeiro (Tavares Bastos), lässt eigentlich all seine Geschichten dort beginnen und spannt seine Nachbarn ein. Er verzichtet öfter auf die große Politik, was er zu erzählen hat, kann aber auch mehr über die Realitäten in Brasilien aussagen. Das hat durchaus Charme, Geiges verliert sich allerdings oft auch in Banalem, Persönlichem und Uninteressantem. Auch seine Gretchenfrage, "Wie hältst du's mit der Befriedungspolizei?", bekommt man langsam satt und das Versprechen des reißerischen Buchtitels wird leider nicht eingelöst. Brasilien brennt nur so halb.

Was sich beide Autoren nicht verkneifen konnten, ist über den Papstbesuch in Brasilien zu schreiben, über Samba, Flip Flops und das Girl von Ipanema. Diese Kapitel kann man ruhig überblättern, ansonsten sind beide Bücher durchaus lesbar.