Erstellt am: 2. 6. 2014 - 16:16 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 8.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Heute: ein Eintrag ins WM-Journal '14. Die Preview mit den Einschätzungen der WM-Teilnehmer gibt's diesmal nicht einzeln oder nach den gelosten Gruppen, sondern nach Kulturräumen.
Teil 4 war Frankreich und Algieren gewidmet.
Teil 3 befasste sich mit den vier Teams aus Sub-Sahara-Afrika.
Teil 2 featuret die beiden Vertreter der Benelux-Staaten, Belgien und die Niederlande.
Teil 1: Mutterland & Offsprings, England, USA und Australien.
Die Einträge 2 und 3 gaben erste Antworten auf die zentralen Fragen; Eintrag 1 beschrieb ein was-wäre-wenn aus österreichischer Sicht.
In fußballerisch liberalen Kreisen jenseits der antideutschen Taliban hat sich die neue, seit bereits 2006 sichtbare Normalität schon herumgesprochen: die neuen, jungen, höflichen, freundlichen, nicht mehr mit schierem Panzerfußball a la Matthäus und furchterregender Grimassen-Schneiderei a la Effenberg agieren, sondern einen technisch hochwertigen, fast südländisch anmutenden Fußball spielen, haben das Bild ihres (vor allem draußen in der Welt existierenden und vormals grausig-gruseligen, von niemandem gemochten) Nationalcharakters um 180 Grad gedreht. Und seit sich Michael Ballack, der letzte mit Krampf-Grimasse verabschiedet hat, ist alles noch einen Grad besser.
Jungs wie Götze, Reus, Kroos, Hummels, Mertesacker, Neuer, Özil, das vormalige Kicher-Duo, die jetzt erwachsenen Schweini/Poldi oder Kapitän Lahm sind nicht nur echte Bravo-Posterboys, sondern auch gute Schwiegersöhne und (zumindest teilweise) auch Wunschkandidaten für intellektuelle Tischgespräche.
Schuld an diesem Imagewandel ist die bewusste Politik des DFB, der - was political correctness und den Umgang mit Themen wie Homophobie, Rassismus oder Burnout betrifft - eine gezielte Vorreiterrolle einnehmen wollte, und wurde durch die Maserpläne von Jürgen Klinsmann und jetzt Jogi Löw ermöglicht. Deren Philosophie ist klar: nur ein halbwegs kultivierter Mensch kann entsprechenden Fußball spielen. Die Brechstangen-Scheiße der Jahre davor brachte nichts, außer Würge- und Spei-Reflexe bei allen, die sich den grausamen Krampf ansehen mussten. Und, zugegeben: zwei Titel 1990 und 96 (mit zwischenzeitlich verbesserter Spielkultur, wegen Sammer oder Scholl, die danach aber wieder wegfielen).
Seit 2006 ist Deutschland "nur" mehr fix im Halbfinale oder Finale - um dort dann gegen vorzugsweise Italien und Spanien zu verlieren. Dafür hält sich das DFB-Team seit dem Sommermärchen bei der Heim-WM permanent in der Spitzengruppe der stilprägenden Spitzenteams und hat nicht nur das Image des eigenen Sports, sondern auch den des Landes aufpoliert, wie es Politik, Wirtschaft und Kultur auch noch in fünfzig Jahren nicht schaffen würden: Merkel, Panzerexporte und Rammstein, die haben alle die Option aufs aufgemalte Hitlerbärtchen - beim DFB-Team würde sich das keiner trauen; der Respekt vorm schönen Spiel dieser neuen Deutschen ist zu groß.
Das haben wie gesagt noch nicht alle gemerkt; Dorfer/Scheuba sprechen hier zurecht von einem Qualitätsmedien-Diskurs, der noch nicht alle erreicht hat. Und meinen damit, so wie ich es verstehe, kein soziales Gefälle, sondern eines, das in den eingefahrenen Denkmustern von Event-Groupies aller Sorten zu finden ist.
Wie auch immer: zu Deutschland kann man durchaus halten. Und Österreich tut das, wie eine recht intensive Studie belegt, in mittlerweile durchaus erstaunlichem Maße; ganz ohne Tourismus-Geschleime, sondern von Herzen.
Team Deutschland
So gut die allgemeine Lage ist, so schlecht sieht es für das DFB-Team im Sommer 2014 aus. Ich meine damit nicht die Skandälchen und Ausritte rund ums Trainingslager, sondern die sportlichen Sorgen. Das zentrale Mittelfeld, die Taktgeberei, die Umschaltzentrale, das Herzstück der bisherigen Erfolge ist schwer angegriffen.
Sami Khedira, ewig lang verletzt (Kreuzband), kommt erst jetzt langsam wieder in Tritt, steht aber aktuell noch keine 90 Minuten durch; von Weltklasse-Niveau erst gar nicht zu reden.
Bastian Schweinsteiger, der verletzungsanfälligste Weltklassespieler des Erdenrunds (diesmal: Patellasehne), ist wieder einmal fraglich. Ihn in schlechter Verfassung durch ein Turnier zu schleppen ging schon einmal nicht gut.
Ilkay Gündogan (Nervwurzelreiz) fällt schon das komplette Frühjahr aus, Sven Bender (Schambeinentzündung) folgte. Sein Zwilling, Lars Bender, der perfekte Ersatzmann (auch für die Abwehr) schied mit einer Oberschenkelverletzung aus dem Trainingslager.
Bleibt Toni Kroos, der die Position auch spielen kann. Der Rest sind junge Nachrücker, für die eine WM deutlich zu früh kommt - mit Christoph Kramer fährt so einer trotzdem mit.
Dazu kommen Verletzungen von Tormann Neuer (Schulter), Kapitän Lahm (Fußprellung) und Marcel Schmelzer, der wegen einer Knieverletzung auch noch aus dem 23er-Kader flog. Und Miro Klose ist auch nicht wirklich fit. Auf den noch weniger spielfitten Mario Gomez hatte man von vornherein verzichtet.
Zu diesen Unbillen kommt noch die Unlust Löws sein sehr spezifisches Angriffs-System, das die meisten Stürmer gar nicht spielen können (das zumindest ist die Ausrede, warum Kießling und andere Schützenkönige nicht nominiert werden), zu ändern. Außer Klose ist jetzt gar keine echte Spitze mehr im Kader - Hoffnungsträger Volland wurde zugunsten eines weiteren Defensivspielers (der junge Ginter) gestrichen. Deutschland wird eher so wie gestern gegen Kamerun mit Götze (und später Müller) als falschem Neuner beginnen.
Außerdem ist die Nicht-Nominierung von Tormann Ter Stegen, der wohl nach Barcelona wechseln wird, zugunsten von Weidenfeller und Zieler, die aus gutem Grund nicht bei Barca im Gespräch sind, auch angesichts der Neuer-Verletzung nicht ganz nachvollziehbar.
So weit - so negativ.
Es gibt aber auch gute Nachrichten. Philipp Lahm ist unter Guardiola von einem sehr sehr guten zu einem unglaublich guten Spieler geworden und kann jetzt auch die zentrale Position vor der Abwehr einnehmen, die er auch an jeder Seite, egal ob rechts oder links bereichern könnte. Mit Boateng/Merte/Hummels hat sich die Zentrale gut eingespielt. Auch Kevin Prinz Pipi Großkreutz ist ein Jolly Joker, über den sich jeder Teamchef freut.
Und das offensive Mittelfeld, das sich ja auch bis in die Sturmspitze auszuweiten versteht, die offensive Four also, sind unglaublich gut besetzt: Müller, Götze, Özil, Schürrle, Draxler, der alte Podolski und vor allem der von den Bundesliga-Mitspielern zum Mann der Saison gewählte Marco Reus bringen eine unfassbare Qualität auf den Platz. Mit der können sie Spiele innerhalb von ein paar Minuten entscheiden.
Löw hält, das sah man gestern im Testspiel gegen Kamerun sehr schön, immer an seiner 4-2-3-1-Grundordnung fest, lässt aber - vor allem vorne drin - fluktuieren. Das Außenverteidigerspiel hinkt im Vergleich zu den absoluten Topteams ein wenig hinterher, da hat nur Lahm echte Superklasse. Die zentrale Abwehr ist aufbauintelligent, lässt aber auch Böcke zu - zudem bringt die Interdependenz mit der Mittelfeld-Zentrale einen zusätzlichen Störfaktor mit ein.
Schafft es die Löw-Elf aus dem aktuellen Zuviel-Gejammer-Tal raus, gelingt es die Selbstsicht positiv aufzuladen, dann ist - wie immer - das Halbfinale drin. Eine Gruppenphase ohne Friktionen vorausgesetzt; denn natürlich ist die Gruppe G mit Portugal, Ghana und Klinsmanns USA (da ist weniger die Mannschaft als der gegnerische Teamchef eine Gefahr) keine g'mahte Wiesn.
Die wirklich bösen Gegner, Heimteam Brasilien und die beiden Rausschmeißer Italien und Spanien, können aber frühestens im Semifinale auftauchen. Und die fast schon episch-philosophische Geschichte der letzten acht Jahre könnte weitergeschrieben werden.
Nachtrag vom letzten Wochenende vor der WM
Beim Test gegen Armenien verletzt sich Marco Reus böse. im offensiven Mittelfeld ist das DFB-Team zwar topbesetzt; Reus isr jedoch formtechnisch der absoluite Topmann. Ganz bitter für Löw; stellt ihn vor große Probleme.
Der 23er-Kader
Tor: Manuel Neuer (Bayern), Roman Weidenfeller (Dortmund), Ron-Robert Zieler (Hannover)
Abwehr: Jérome Boateng, Philipp Lahm (Bayern), Erik Durm, Kevin Großkreutz, Mats Hummels (Dortmund), Benedikt Höwedes (Schalke), Per Mertesacker (Arsenal/ENG), Matthias Ginter (Freiburg), Shkodran Mustafi (Sampdoria/IT)
Mittelfeld: Sami Khedira (Real/SPA), Christoph Kramer (Gladbach), Toni Kroos, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller, Mario Götze (Bayern), Julian Draxler (Schalke), Mesut Özil, Lukas Podolski (Arsenal/ENG), Andre Schürrle (Chelsea/ENG)
Angriff: Miroslav Klose (Lazio/IT)
Marco Reus (Dortmund) fällt im letzten Moment schwerverletzt aus. Auch Marcel Schmelzer (Dortmund) ist nicht fit genug.
Stand-By: Marc-Andre Ter Stegen (Gladbach); Marcell Jansen (HSV), Andre Hahn (Augsburg), Leon Goretzka, Maximillian Meyer (Schalke), Kevin Volland (Hoffenheim).
Wer fehlt?
Der verletzt aus dem 30er-Kader ausgeschiedene Lars Bender (Leverkusen), sein schon vorher verletzter Zwillingsbruder Sven Bender (BVB) und dessen Mittelfeld-Kollege Ilkay Gündogan. Langzeit-verletzt: Holger Badstuber (Bayern). Nicht fit genug: Mario Gomez (Fiorentina).
Auf Löws schwarzer Liste stehen Kevin Kuranyi (Dinamo Moskau) und Stefan Kießling (Leverkusen), irgendwie auch EL-Sieger Marko Marin von Sevilla.
Die HSVler Adler und Westermann haben es dank einer verheerenden Saison nicht geschafft, letztlich auch Marcel Jansen. Stümer Pierre-Michel Lassogga als einzig Guter dort aber auch nicht.
Andere Offensive wie Sidney Sam (Leverkusen), Max Kruse (Gladbach), Aron Hunt (Werder) oder Lewis Holtby (Tottenham) waren seit einiger Zeit schon ohne Ticket-Chance. Wie auch andere Legionäre: Gnabry (Arsenal), Riether (Fulham), Huth (Stoke), der Spanier Trochowksi oder die Italiener Merkel und Gemiti oder der Russe Tasci. Die fürs Länderspiel gegen Polen geladene C-Klasse (Rüdiger, Sorg, Rudy, Jung, Arnold, Günter etc) sind eine Option für die Zukunft. Andere (wie Aogo, Beck, Wollscheid aber auch Nikolai Müller, Reinartz oder Neustädter) haben diese Chance wohl schon vergeigt.
Österreich-Apekt
Sollte man meinen, dass es da urviele gibt.
Aber: außer der gefühlten Nähe, die sich via Anschluss an deutsche Medien ergibt, und der Tatsache, dass der David Alaba die fast alle gut kennt, ist da nix.