Erstellt am: 1. 6. 2014 - 22:22 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 7.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Die Preview mit den Einschätzungen der Teilnehmer gibt's diesmal nicht einzeln oder nach den gelosten Gruppen, sondern nach Kulturräumen.
Teil 3 befasste sich mit den vier Teams aus Sub-Sahara-Afrika, darunter die auch frankophon geprägten Kamerun und Côte d'Ivoire.
Teil 2 featurt die beiden Vertreter der Benelux-Staaten, Belgien und die Niederlande.
Teil 1: Mutterland & Offsprings, England, USA und Australien.
Die Einträge 2 und 3 gaben erste Abworten auf die zentralen Fragen; Eintrag 1 beschrieb ein was-wäre-wenn aus österreichischer Sicht.
Ja, eh; französischsprachig und frankophon sind andere auch: aber Kamerun und Côte d'Ivoire und genauso Belgien und die Schweiz orientieren sich anderswohin: das zeigen auch die Vereine, bei denen sie spielen. Algerien hingegen steht, auch wegen z.B. Zidane, in einem deutlich engeren Kontext, auch als direktes Gegenüber, mittelmeertechnisch. Um die Geopolitik auch wieder abzuschließen: Algerien ist diesmal der einzige arabische Vertreter - aus dem Golf etwa hat's diesmal keiner geschafft. Der Islam ist überhaupt recht schwach vertreten: Iran, ein Teil von Bosnien, ein Teil bei den anderen Afrikanern, Ribery...
Egal, Algeriens Coach, der Bosnier Vahid Halilhodzic hat andere Sorgen: er kriegt einfach kein wirklich kompaktes Gefüge hin. Die Mannschaft ist inkonstant, bröselt ihm oft während des Spiels unter der Hand weg.
Didier Deschamps Frankreich hingegen ist nach einer mäßigen Quali in Spaniens Windschatten erst in der Barrage in Tritt gekommen und gilt trotz eines fetten Rückfalls in der Weltrangliste wegen der Auslosung plötzlich wieder als einer der üblich-verdächtigen Co-Favoriten.
Team France
Das hat damit zu tun, dass die Equipe Tricolore zum Gruppenkopf Schweiz, also zu einem der von der Weltrangliste überschätzten Teams gelost wurde; damit, dass man Ecuador nicht so recht einschätzen kann, aber weit weniger zutraut als Chile oder Kolumbien und dass Honduras als der Ultraoutsider und Punktelieferant gehandelt wird.
Für eine Mannschaft, die so sehr vom Boosting, von zugeführtem Selbstvertrauen lebt wie die der Franzosen, sind das günstige Ausgangsbedingungen; die sie nur aus eigener Schuld vermasseln können - was ihnen zuzutrauen ist. Aber auch das Gegenteil, ein Durchmarsch zumindest ins Viertelfinale ist drinnen.
Die Spieler-Qualität wäre vorhanden. Tormann Lloris ist in England nochmal gewachsen. Die Abwehr hat sich auf fast jeder Position gut entwickelt. Im Mittelfeld regieren Cabaye, Matuidi und vor allem Paul Pogba, der neue Tigana. Und wenn vorne Benzema und endlich auch einmal Ribery ihre Vereinsleistungen auch im Nationalteam abrufen, dann ist der Mannschaft keine Grenze gesetzt. Geht aber im 1. Spiel gegen Honduras auch nur eine Kleinigkeit in die Hose, dann fahren Deschamps Burschen gleich wieder nach Hause. Denn sowohl der innere Haussegen, als auch die brüchige Beziehung mit einer absurd-überkritischen Öffentlichkeit sind fragilen Konstruktionen unterworfen.
Das Grundsystem ist ein 4-3-3 mit einem zentralen Box-to-Box-Spieler (meist Cabaye), den einige als Offensiv-Kraft sehen, ich aber als hypermodernen Sechser lese, zwei Achtern davor und einem mittelprächtig ausgeprägten Flügelspiel, in das sich der hochschlau spielende Benzema gut einbringt. Dazu kommen sehr angriffstarke Außenverteidiger (Debuchy bzw. Evra), was die Offensive wenig ausrechenbar macht. Rückt das Dreier-Mittelfeld bei Ballverlust gut mit nach hinten, ist auch die Defensive schwer zu überwinden.
Auf dem Papier sieht also alles super aus. Trotzdem hapert es seit einiger Zeit mit der Umsetzung. Die WM wird ein echter Härtetest für die Qualität dieser Mannschaft.
Nachtrag...
... vom 6.6.: Franck Ribery fällt wegen Rückenweh aus. Ich sage einmal ketzerisch: das wird weniger ins Gewicht fallen, als man als Österreicher, mit diesem überlebensgroßen Bayern-Focus direkt vor der Nase annehmen könnte.
Der 23er-Kader
Tor: Hugo Lloris (Tottenham/ENG), Mickael Landreau (Bastia), Stephane Ruffier (Saint-Etienne).
Abwehr: Mathieu Debuchy (Newcastle/ENG), Bacary Sagna, Laurent Koscielny (Arsenal/ENG), Mamadou Sakho (Liverpool/ENG), Raphael Varane (Real Madrid/SPA), Eliaquim Mangala (Porto/POR), Patrice Evra (Man U/ENG), Lucas Digne (PSG).
Mittelfeld: Yohan Cabaye, Blaise Matuidi (PSG), Rio Mavuba (Lille), Paul Pogba (Juventus/IT), Moussa Sissoko (Newcastle/ENG), Mathieu Valbuena (Marseille), Remy Cabella (Montpellier).
Angriff: Karim Benzema (Real Madrid/SPA), Olivier Giroud (Arsenal/ENG), Morgan Schneiderlin (Southampton/ENG), Antoine Griezmann (Real Sociedad/SPA), Loic Remy (QPR/ENG).
Verletzt noch nach Nominierungs-Schluß raus: Clement Grenier (Lyon) und Franck Ribery (Bayern/D).
Stand-By: Loic Perrin (Saint-Etienne), Benoit Tremoulinas (Bordeaux), Maxime Gonalons, Alexandre Lacazette (Lyon).
Wer fehlt?
Der im 30er-Kader noch angeführte Nummer-2-Goalie Steve Mandanda von Marseille hat sich verletzt.
Auf Samir Nasri von Manchester City hat Deschamps bewusst verzichtet: der sportlich einwandfrei WM-taugliche Nasri gilt als Unruhestifter, Nörgler und Quell steten Zwists mit den Medien. Dass mit Evra und Ribery zwei Rädelsführer der 2010er-Revolte mitfahren und mit Nasri ein letztlich nur potentieller Stinkstiefel geopfert wird, ist eine der vielen Ungereimtheiten der französischen Personalpolitik.
Auch sonst kann es sich Deschamps leisten, auf einige Stars zu verzichten. Eric Abidal (Monaco) ist nach seiner Gesundung (Lebertransplantation nach Krebs-Diagnose) kein Thema mehr. Auch out: die Verteidiger Adil Rami (Milan) und Gael Clichy (ManCity), Jeremy Mathieu (Valencia) sowie Rod Fanni von OM. Auf den vor Turnieren gern aus dem Hut gezauberten Yohan Gourcuff (OL) verzichtete man ebenso wie auf Jeremy Menez von PSG. Kein Platz für die Stürmer Gignac (OM) und Gomis (OL).
Team Algérie
Algerien findet sich auf keiner Rechnung. In der Gruppe H traut man ihnen weder gegen Belgien und Russland, noch gegen Südkorea etwas zu.
Die WM-Quali gelang mit etwas Losglück: Mali und dann Burkina Faso waren keine wirklichen Prüfsteine.
Beim Afrika-Cup, diesem Gradmesser für Turnier-Härte, ist man in den letzten 20 Jahren gerade einmal ins Halbfinale gekommen.
Eas liegt an Halilhodzic, der in Frankreich und ganz Afrika als Trainerlegende gilt, dass man seinem Team dann einen zweiten Blick gönnt. Mit dem man viel Talent erspähen kann: Stürmer Islam Slimani gilt als Supertalent, Taider ebenso und Bentaleb sowieso.
Die Anführer hingegen, Keeper M'Bohli und Kapitän Bougherra, aber auch Angreifer Djebbour haben schlimme Zeiten hinter sich, können sich nur im Teamdress erfangen. Und in diesem Zwiespalt, zwischen gefrusteten Oldies und noch nicht bereiten Jungstars, bewegt sich Team Algerien, wackelig und ewig uneingespielt.
Vielleicht kann man sich am angeblich charismalosen Star Feghouli von Valencia aufrichten; vielleicht kann auch Soudani von Dinamo Zagreb seine Club-Leistungen (gegen die Austria war er durchaus auffällig) einbringen.
Fußnote: wie das algerische Nationalteam beim Unabhängigkeitskampf eine wichtige Rolle spielte.
Halilhodzic spielt, wie Frankreich, wie die meisten anderen Afrikaner, eigentlich alle außer Ghana, ein 4-3-3, wenn auch ein vorsichtigeres, eines, das eher an ein 4-5-1 gemahnt. Ob Vorsicht der allerbeste Ratgeber für einen Außenseiter in einer Gruppe voller recht routinierter (Russland, Korea) oder hochbegabter (Belgien) Teams ist, sei dahingestellt. Die turnier-traditionelle Neigung, dass diese Vorsicht dann, wenn sie nicht belohnt wird, in den Blues umkippt, ist Algerien jedenfalls gegeben.
Daran muss auch die Tatsache, dass die überwiegende Anzahl der Kaderspieler junge Franzosen mit algerischen Eltern sind und in Frankreich ausgebildet wurden und einige auch für die Junioren-Nationalmannschaften gespielt haben, nicht unbedingt etwas ändern.
Der 23-Mann-Kader
Tor: Rais M’bolhi (CSKA Sofia/BUL), Mohamed Zemmamouche (USM Alger), Mohamed Cdric (Constantine).
Abwehr: Essaid Belkalem (Watford/ENG), Madjid Bougherra (Lekhviya/KAT), Lyassine Cadamuro (Mallorca/SPA), Faouzi Ghoulam (Napoli/IT), Rafik Halliche (Academica/POR), Aissa Mandi (Reims/F), Mehdi Mostefa (Ajaccio/F), Carl Medjani (Valenciennes/F), Djamel Mesbah (Livorno/IT).
Mittelfeld: Nabil Bentaleb (Tottenham/ENG), Yacine Brahimi (Granada/SPA), Medhi Lacen (Getafe/SPA), Saphir Taider (Inter/IT), Hassen Yebda (Udinese/IT).
Angriff: Abdelmoumen Djabou (Club Africain/TUN), Sofiane Feghouli (Valencia/SPA), Ryad Mahrez (Leicester/ENG), Islam Slimani (Sporting/POR), Hilal Soudani (Dinamo Zagreb/CRO), Nabil Ghilas (Porto/POR).
Stand-By: Ezzdine Doukha (El Harrach), Nacereddine Khoualed (USM Alger), Adlene Guedioura (Crystal Palace/ENG), Ryad Boudebouz (Bastia/F), Amir Karaoui (Setif), Rafik Djebour (Nottingham/ENG), Foued Kadir (Rennes/F).
Wer fehlt?
Eigentlich nur Mohamed Aoudia, der von Dynamo Dresden gerade zum FSV Frankfurt gewechselt ist, wegen Verletzung.
Österreich-Aspekt
Algerien bräuchte Genugtuung für 1982, als der feige und miese Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Österreich, die Schande von Gijon sie aus dem Turnier gekippt hat. Das wird's nicht spielen, weil sie nicht in die Verlegenheit kommen werden, um den Aufstieg zu kämpfen.
Ich bin gespannt wie TV-Analyst Herbert Prohaska, einer der Täter von 82, sich aus der Affäre zieht; ob er sich entschuldigt oder noch einen draufsetzt und sich über Algerien per se lustig macht. Auch die Kommentare von Täter Heribert Weber und Täter Hans Krankl sollte man in diesem Zusammenhang im Auge behalten.
Zur ewigen Erinnerung die Namen der sportlichen Schieber: F. Koncilia; Krauss, Obermayer, Pezzey, Degeorgi; Hattenberger, H. Weber, Prohaska, Hintermaier; Krankl. Stürmer Walter Schachner war der einzige, der an der widerlichen Scharade nicht teilgenommen hat. Deutschland spielt mit: Schumacher; Kaltz, Kh. Förster, Stielike, Briegel; Kh Rummenigge (Matthäus), Dremmler, Breitner, Magath; Hrubesch (Fischer), Littbarski. Wenn es eine Sporthölle gibt, sollen diese 23 unfairsten Kicker aller Zeiten drin schmoren.