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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

31. 5. 2014 - 14:40

Heine als Songwriter

Das kulturpessimistische Lamento über das Schattendasein der Lyrik ignoriert, dass ein anderes Genre der gebundenen Rede die Stelle der Lyrik eingenommen hat: Der Song.

Wenn irgendwo von deutschsprachiger Lyrik die Rede ist, taucht garantiert noch im gleichen Satz das berühmte "Schattendasein" auf, das sie fristet. Neue Lyrik gilt laut den Verlagen als nahezu unverkäuflich, denn so heißt es bedauernd: Keiner liest mehr Gedichte!

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In der Schule kommt man zwar mit den Minnesängern, Rilke, Brecht und Benn in Berührung, aber dann ist Schluss. Während die Großeltern noch Schillers "Glocke" aufsagen konnten, kann heute keiner mehr ein Gedicht auswendig! Lyrik ist eine in Vergessenheit geratene Kunstgattung, wer verfügt noch über einen Fundus von Gedichten, die, auswendig gelernt, mit ihrer Weltdeutung zum Lebensretter werden?

Dieses kulturpessimistische Lamento ignoriert, dass ein anderes Genre der gebundenen Rede die Stelle der Lyrik eingenommen hat: Der Song, das Lied im Pop, Rock, HipHop und Rap. Da wird immer noch auswendig gelernt und einander vorgetragen, Lieder und Songs begleiten die Menschen immer noch ein ganzes Leben lang und retten ihnen manchmal das Leben.

Pop-Pop-Poetry

Gedichte als Songtexte. Ein Mixtape.

Und sind Songs denn nichts anderes als Gedichte? Zwar eher im A-B-Reimschema statt in Alexandrinern gesetzt und mit einem wiederkehrenden Kehrreim, als Refrain - aber doch sind es Gedichte. Und so sind Songwriter letztendlich auch Dichter und Lyriker, wie Lyrik und Lied immer schon eins waren, schließlich wurden die Dichter in der Antike schon "Sänger" genannt.

So wie die Jugendliche früherer Zeiten in Gedichten schwelgten, mit dem Gefühl diese Zeilen wären eigens für sie geschrieben worden, so war vielleicht die erste oder zweite Blumfeld-Platte vor zwanzig Jahren für den heranwachsenden Adoleszenten wegweisend und identitätsstiftend. Umgekehrt sind die Lyriker und Dichter auch immer Songwriter gewesen, auch wenn nicht sie selbst die Musik lieferten.

Heinrich Heine

gemeinfrei

Die angeblich erfolgreichste Lyriksammlung der Weltgeschichte heißt bezeichnenderweise "Das Buch der Lieder" von Heinrich Heine. "Aus meinen großen Schmerzen mach ich die kleinen Lieder", heißt es darin, wohlweislich schreibt Heine "Lieder" und nicht "Gedichte".

Von Schuhmann und Schubert vertont wurden nun gerade nicht die ironischen, schwarzen Heine-Lieder, sondern die romantisch Ungebrochenen, die mit dem Mond, den Rosen und den Nachtigallen. Am Interessantesten und Herzerfrischendsten ist Heine aber, wenn er romantische Bilder lyrisch aufbaut, um sie mit einem Paukenschlag zu dekonstruieren, wenn er die Naturergriffenheit mit ihren eigenen Mitteln verspottet, wenn er sich in den Liebesgedichten mit doppelt gebrochener Selbstironie bespiegelt und über seine Zeitgenossen mit "göttlicher Bosheit" (laut Nietzsche) herzieht.

Was Heinrich Heine außerdem zum modernen Songwriter macht: Er war der erste große Städtebeleidiger und Großironiker der Liebe. Über Göttingen schrieb er in Prosa: "Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht". Der Stadt Aachen hat er in vier Zeilen ein Denkmal gesetzt:

"Zu Aachen langweilen sich auf der Straß`
die Hunde, sie flehn untertänig:
Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird
vielleicht uns zerstreuen ein wenig."

Und auch über Berlin und seine Bewohnerinnen wusste er allerhand Unschmeichelhaftes zu sagen und kam zum Schluss "Berlin ist ein großes Krähwinkel".

In vielen Heine-Gedichten geht es um die unerfüllte Liebe. Im Liederschreiben präsentiert er seinen Schmerz, steigert sich schreibend hinein, wird zum Schmerz-Poser und befreit sich dabei vom Druck des argen Kummers. Die Befreiung durch das Sich-Hineinsteigern und Sich-Quälen, auch als Trauerarbeit bekannt, macht aus dem Gequälten einen Quälenden. Auch wenn er dabei nur sich selbst quält, wird er aktiv und muss das Leiden nicht passiv erdulden. Und gleichzeitig hat wohl niemand Wesen und Ursache des Liebeskummers, des Grundthemas aller Dichtung, so nüchtern und herzzerreißend analysiert wie Heinrich Heine:

"Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei."