Erstellt am: 29. 5. 2014 - 13:48 Uhr
Pop-Pop-Poetry
Es sind gar nicht so viele. Songwriten ist eben keine Dichtkunst, basta.
"Das ist keine seriöse Recherche" hat ein altgedienter Kollege vermeint, er hat recht, es ist die Umfrage unter den Facebook- Auskennern, denen Lieder mit Gedichttext eingefallen sind. Die sind hier aufgelistet, vielen Dank, you know who you are.
Die Geschichte der Popmusik ist auch eine Geschichte von Laiendichtern, von mehr oder weniger gefühlsgetriebenen, spontanen, vernakulären Ausbrüchen, nicht von Trochäen und Snekdochen, von "My baby left me" nicht von "Shall I compare thee". Dass Songtexte nicht zur Lyrik zu gehören scheinen, merkt man, wenn man sich akademisch anzunähern versucht. Als Dichter werden von der literaturwissenschaftlichen Akademia automatisch nur jene LiederschreiberInnen anerkannt, die nebenbei Unvertontes auszuscheiden bereit sind (Patti Smith, Leonard Cohen, John Cooper Clarke), selbst der großen epochalen Ausname, Bob Dylan, wird der Nobelpreis verwehrt bleiben, den bekommen stattdessen Seamus Heaney oder Le Cleziot.
Selbst solche, die sich selber einer Epoche zuordnen würden, werden immer unter jene Epoche gereiht. Morrison ist kein Rimbaud, Wecker ist kein Gottfried Benn.
Das heißt nicht dass Songlyrics nicht gute Lyrics sind, von der Poetry Community werden sie - zurecht oder nicht - traditionell eher belächelt, als Worte die auf Tönen reiten und die sonst nicht gehen könnten, geschweige dass sie flögen, wie bei Emily Dickinson oder Federico Garcia Llorca.
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Interessant ist diese Geschichte: Eine Plattenfirma sucht einen Text, dem Produzenten fällt ein Gedicht in die Hände, das davon handelt, dass man noch etwas Spass haben möchte, bevor man stirbt. Heraus kommt: Eine neue Dichterkarriere und ein Welthit. Sheryl Crows "All I wanna do" (Wyn Cooper) ... nicht gerade das erste, das einem bei "vertontem Gedicht" in den Sinn kommt, und der Dichter wurde dadurch erst zum Dichter.
Die kulturbeflissene Ästhetin Carla Bruni bringt - wohl auch aus sprachlichen Gründen - ein ganzes Album voll vertonter Englischer GroßdichterInnen auf den Markt, No Promises. Das hier ist etwa von einem der Besten, W. H. Auden:
Auch der Underground gebiert seine Monster. In diesem Fall verhilft er einem vergessenen österreichischen Dichter zu Ruhm und verdienter Anerkennung: In Gestalt des verzweifelten Postpunks Ronnie Urini, dem der junge Lebemann Konrad Bayer hier aus dem Herzen spricht: Ronnie Urini - "Niemand Hilft mir". Eine andere verdienstvolle heimische Band leiht sich von Bayer gar einen zum Volksmund gewordenen Dada-Witz: Worried Men Skiffle Group - "Glaubst i bin Bled" (Konrad Bayer)
Ebenfalls dem Vergessen zu entreißen versuchte die elektronische Band März den jung verstorbenen Hippie-Rebellen Wolf Dieter Brinkmann, der im Vorwort zu "Westwärts" litanisierte "Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock’n’Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter, das Papier macht weiter, die Tiere und Bäume machen weiter, Tag und Nacht macht weiter…"
März - "Introductory" (Rolf Dieter Brinkmann)
Ein schwieriger Fall, aber da muss ich durch: Bertolt Brecht gehört eigentlich nicht hierher, denn seine Sachen waren schon vertont, von zwei der besten Komponisten ihrer Zeit, die Pop-Interpretationen sind also reine Coverversionen. Nur gibt es davon Hunderte, die auch ein wenig dazu beigetragen haben, dass der in Theatern nicht mehr so viel gespielte Brecht als Lyriker fast zur Folklore werden konnte - von Tom Waits bis Sting, von Doors bis Nina Simone, von Element of Crime bis Sir Tralala… Und da ist er auch schon, auch in einem kongenialen Setting
Viele Gedichte finden sich in Fragmenten in Popsongs wieder. Ein Satz aus einem Gedicht hat so eine Bekanntheit erreicht, dass die Leute einem nicht glauben dass "In Xanadu did Kubla Khan" nicht von der Band stammt und der Pleasure Dome schon 200 Jahre alt war. Frankie goes to Hollywood - "Welcome to the Pleasure Dome" (Samuel Taylor Coleridge)
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Der große Romantiker Coleridge findet sich mit seinem berühmtesten Gedicht auch ganz, aber ganz woanders wieder, nämlich bei Iron Maiden (Rime of the Ancient Mariner, Samuel Taylor Coleridge). Von Coleridges Kollegen und Chef der "Lake School Poets", William Wordsworth, nimmt der junge Neil Hannon drei Gedichte und presst sie in ein Lied: Divine Comedy - "Lucy" (William Wordsworth).
Percy Shelley richtet seine Worte zum Beat der New Model Army an die Männer von England (Song to the Men of England, Percy Bysshe Shelley) und den verkannten Vorläufer der Gothic-Romantiker, das lang vergessene und drogenverwirrte Genie William Blake vertonten The Fugs, Mark Stewart , U2, Sparklehorse, The Fall und Beth Orton.
Konstantin Wecker mag Goethe, er nimmt sich das gespenstische "Hexeneinmaleins" aus Faust I vor und vertont auch dessen Gedicht "An den Mond"
Noch was Lustiges: Der deutsche Countertenor Klaus Nomi wurde in US-Szenekreisen auch mit einem Lied von Robert Schumann bekannt, dessen Autor Julius Mosen auch der der Tiroler Landeshymne "Zu Mantua in Banden" war: Klaus Nomi - "Der Nussbaum"
Wenn wir schon bei Nationalisten sind: Robert Burns Gedicht vom Ausverkauf der tapferen Schotten an die feigen reichen Engländer hat auch nicht wenig Vertonungen erfahren, "Rogues in a Nation" und Peter Roseggers Drama des entwurzelten Steirers, dem Frau und Kind in der Fremde wegsterben war sogar ein Hit in Österreich: Musyl & Joseppa - "Ein Freund ging nach Amerika" - die Dame mit der eindringlichen Stimme aus diesem Schmachtfetzen konnte man damals kurze Zeit später in einem Kinowahlspot der ÖVP wieder hören.
Und noch zwei hochpolitische Gedichtvertonungen: Nicos gruselig-hohlwangige Heroininterpretation von Hoffmann von Fallerslebens "Lied der Deutschen", bei der explizit die verbotene erste Strophe zu gruselig auf- und abschwallendem Harmonium gesungen wird
…und - als Kontrapunkt - die kongeniale österreichische Umdeutung des vielleicht bekanntesten klassischen Stückes der Welt und dem Friedrich-Schiller-Text "Ode an die Freude"
Und noch ein paar:
- David Byrne & St. Vincent - The Forest awakes (Walt Whitman)
- The Schramms - Of all the Souls, Number Nineteen (Emily Dickinson)
- Ra Ra Riot - Dying is fine (E. E. Cummins, teilweise)
- Interzone - Liebeslied (Wolf Wondratschek)
- Syd Barrett - Golden Hair (James Joyce)
- Björk - I Will Wade out (E. E. Cummins)
- Franz Ferdinand - Erdbeermund (Paul Zech)
- Arctic Monkeys - I wanna be yours (John Cooper Clarke)
- Helmut Qualtinger - Ringlgspübsizza (H.C. Artmann)
- Xavier Naidoo - Die Dinge singen hör ich so gern (Rilke)
- Klaus Nomi - Cold Song (John Dryden)
- Leonard Cohen - Take this Waltz (Federico Garcia Llorca)
- Scott Walker - Blanket Roll Blues (Tennessee Williams)
- The Byrds - I come and stand at every door (Nâzım Hikmet's "Kız Çocuğu”)
- Rantanplan - Der Panther (Rilke)
- Yves Montand, Edith Piaf - Les Feuilles Mortes/ Autumn Leaves (Jacques Prevert)
- Diamanda Galas - Supplica A Mia Madre (Pier Paolo Pasolini)
- Jean Jacques Burnel – Ozymandias (Percy Bysshe Shelley)
- Dead Can Dance - How Fortunate the Man With None (Bertolt Brecht, "Die Ballade von den Prominenten")
- Loreena McKennitt - The Dark Night of the Soul" (St. John of the Cross)