Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der gute und der böse Computernerd"

Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

1. 6. 2014 - 06:13

Der gute und der böse Computernerd

Man muss diesen Text nicht lesen!

"Ihr Leitartikel über den Einsatz von Hormonpräparaten in der Zierfischzüchtung war gespickt mit sprachlichen Ungenauigkeiten und von einem tendenziösen Unterton geprägt, der mich ernsthaft überlegen lässt, mein Abonnement ein für allemal zu kündigen! Einen Buntbarsch den Labyrinthfischen zuzuordnen, würde man sich von einer Qualitätszeitung eigentlich nicht erwarten."

Auf Leserbriefe wie diese reagieren Redaktionen für gewöhnlich mit Korrekturen und der Bitte um Nachsicht, schreiben aber niemals: "Zwingt dich ja keiner, den Artikel zu lesen, wenn er dir nicht gefällt!"

Sehr wohl findet man diese Replik immer wieder in Internetforen. Wird ein Beitrag auf einer Website, ein Film oder eine Kapelle kritisiert, postet häufig ein Verteidiger des geschmähten Werks, man müsse das ja nicht lesen, sehen oder hören, solle aber bitteschön die anderen in Ruhe lassen, schließlich seien Geschmäcker verschieden.

Was sagen diese Musst-du-ja-nicht-Menschen eigentlich, wenn ihr Gegenüber von einem grässlich schmeckenden Kuchen abbeißt und daraufhin "Wäh!" ruft? Weisen sie dann auch erbost darauf hin, dass man die üble Mehlspeise ja nicht essen müsse? Man weiß es nicht, weil man außerhalb des Internets ja nie auf Forenmitglieder trifft. Zumindest kenne ich niemanden, der zugeben würde, gerne zu posten. Prosten statt posten, sagt man sich in meinen Kreisen und zwitschert lieber einen Humpen mehr, als in Aufsätzen freiwillig nach Orthografiefehlern zu stöbern oder Fremden rote und grüne Striche zu spenden.

Um einen Tumult im Forum zu vermeiden, sei hiermit festgehalten:

Sie MÜSSEN diesen Text nicht lesen!

Sie können von mir aus auch gerne einen anderen Text lesen! Schließlich gibt es schönere Texte, die elegante Übergänge ausweisen und nicht völlig unvermittelt die Frage stellen:

Was ist eigentlich aus dem klassischen Computernerd geworden?

mc

In den Neunzigerjahren waren Computernerds - wie kaum eine andere Zunft - Schablonen ihrer landläufigen Klischees. Die nicht besonders leutseligen, aber meist liebenswürdigen Eigenbrötler hockten ganze Sommer lang spielend in ihren abgedunkelten Zimmern, kratzten sich die Chipsreste aus der Schuppenflechte, hatten von Colaschweiß und Duschabstinenz glänzende Tollen und widmeten jene wenigen Stunden, die sie nicht mittels Joystick fuhren und schossen, der Lektüre von Gamer-Fachmagazinen oder dem Einbau eines kostbaren Prozessors in ihren natürlich selbst zusammengeschraubten PC.

Heute bezeichnet "Nerd" längst keine verschrobene, milde belächelte Kuriosität mehr. Über die persönliche Domäne hinaus popkulturell anerkannt, sorgen Nerds aus unterschiedlichsten Disziplinen dafür, dass der Begriff obsolet scheint. Seit der Cineast zum Film-Nerd, der Literaturfreund zum Bücher-Nerd und am Ende der passionierte Gärtner gar zum Dünge-Nerd geworden sind, seit also Nerdtum synonym für jegliche Expertise steht, hat die Vokabel ihre Präzision eingebüßt und wird, so meine gar nicht so wilde Prognose, in spätestens zwanzig Jahren nur mehr Nostalgie-Nerds in Erinnerung sein.

Aber was ist aus den Computerfritzen von damals geworden?

Reges Interesse am technischen Fortschritt ist nicht mehr einer Freak-Minderheit vorbehalten, sondern flächendeckend verbreitet. Längst verjährt sind die Erinnerungen an CD-Rohlinge, die man befreundeten Nerds im Austausch gegen zwischenmenschlichen Kontakt zum Brennen vorbeibrachte.

Macht die Software Faxen, wird gegoogelt. Verhindert marode Hardware das Googeln, wird am Smartphone gegoogelt. In der Freizeit alleweil auf Bildschirme zu starren oder darauf herumzutapsen, ist längst kein Nerd-Privileg mehr, sondern das populärste Steckenpferd vom Gschrapp bis zum Greis.

mc

Dennoch gibt es ihn noch, den Computernerd. Er fällt nicht mehr auf, nicht durch seine Neigung, selten durch seine Kluft und keinesfalls mehr durch die gesellschaftliche Isolation. Vielmehr hat er sein Spezialwissen zum Beruf gemacht und verdient sein täglich Nutella-Milchbrot als wohlentlohnter IT-Spezialist, Netzwerkadministrator oder Programmierer.

Was bangte vor fünfzehn Jahren die Mutter, weil sie fürchtete, aus ihrem scheinbar missratenen Nerd-Nachwuchs würde nichts Herzeigbares mehr werden! Was schimpfte der Vater! "Raus mit dir, viereckige Augen und Rückenmarkschwund wirst du bekommen, im Gegensatz zu einem Job, du nichtsnutzige Frucht meiner Lenden! Counterstrike-Fachkräfte sind am Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln!"
Doch die Väter und Mütter irrten.

Auch wenn der Computernerd von heute ein recht angepasstes, unscheinbares Leben fristet, ist man mitunter mit ihm konfrontiert, weil man ihn braucht, wenn der Computer mal wirklich "spinnt". Zuerst googelt man. Doch wird dann in Foren der Rat laut, dieses eine schwarze Fenster zu öffnen, wo man irgendwelche Codes eingeben soll, um sich mit Dingen wie Cisco IOS Configuration Fundamentals Command References herumzuschlagen, verlässt man das Nerdforum und denkt: "Ich MUSS das ja nicht lesen!"
Man konsultiert einen Spezialisten. Unter diesen gibt es gute und schlechte, die sich folgendermaßen unterscheiden:

Der gute Nerd

mc

Erklärt entweder in verständlicher Sprache, wie das Problem zu lösen ist, oder kommt vorbei. Wenn er da ist, kredenzt man ihm eine Mehlspeise, die er natürlich nicht essen muss, aber gerne darf. Dann wird entrückt und fluchend getippt und geklickt, ein Zauberspruch deklamiert und schließlich dreimal neugestartet, schon flutscht alles wie begehrt. Veredelt ist der Computer fortan mit einer exotischen Software, die im Hintergrund Schaden abwendet.

Der böse Nerd

Gespräche mit dem bösen Nerd gestalten sich dagegen wie folgt:

"Lieber Nerd, verzeih die Störung, doch ich muss dich konsultieren, weil es nämlich folgendermaßen ist: Mein Computer spinnt. Erlaube mir, zu präzisieren: Ich surfe ohne Hintersinn, als sich der Bildschirm plötzlich blau verfärbt. Von Boot Device ist da die Rede und F-Tasten möge ich drücken. Kannst du mir helfen?"

In diesem Moment hat man bereits verloren und wird in Windeseile zum begriffsstutzigen Stück Fleisch im Löwenkäfig der Informatik - Es folgt die klassische Demütigungstaktik des bösen Nerds:

1. Die Fronten zum Einstieg klären:
"Ist die Master Boot Record intakt?", fragt er scheinbar beiläufig. Natürlich ist man schmähstad. Erster Punktgewinn am anderen Ende der Leitung. In den Augen des bösen Nerds ist man in technischer Hinsicht ein willkommener Vollpfosten, dessen Erniedrigung nun erst beginnt.

2. Die Trottelfrage:
"Kannst du den Computer noch einschalten?"
"Ja."

3. Der Vorwurf:
"Kann es sein, dass du etwas an deiner Windows Registry Entry verändert hast?"
"Nicht, dass ich wüsste."
"Sieht aber so aus. Aber eine Ferndiagnose ist da natürlich schwierig."

4. Die Handlungsanweisung/der Todesstoß:
"Was du noch probieren könntest: Vorsichtshalber mal pagefile.sys und Hyber-V leeren und dann noch schauen, ob die Jumper an der Masterdisk richtig gesteckt sind. Wenn du weißt, wie das geht."

Beschämt fleht man den bösen Nerd an, sich vor Ort um die defekte Technik zu kümmern. Doch er geht noch weiter:

5. Angst
"Ich kann schon vorbeischauen, aber das schaut eher schlecht aus. Ich geh mal davon aus, dass sich da nichts mehr machen lässt, aber versuchen kann ich es gern."

Natürlich ist es dann insgeheim ein Kinderspiel, den Computer zu reparieren. In den Augen des Laien erscheint der böse Nerd nach getaner Arbeit jedoch als strahlender EDV-Gott, der schier unlösbare Aufgaben meistert.

Schlüssig kann das Finale dieses Aufsatzes also nur mit dem Ratschlag werden, sich beizeiten um die Anschaffung eines guten Nerds zu kümmern, der sein Handy niemals auf lautlos schaltet und nur darauf wartet, anderen beizustehen.

Doch welches Know-how habe ich im Gegenzug anzubieten?

Diese Frage sollte man sich unbedingt stellen.

Ich habe kürzlich alle 23 Bezirksvorsteher Wiens auswendig gelernt. Falls Ihnen also zu später Stunde partout nicht einfallen will, wer die Geschicke von Rudolfsheim-Fünfhaus leitet:

Rufen Sie mich an!