Erstellt am: 28. 5. 2014 - 15:18 Uhr
Präferenzvotum
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharovs. Jeden Mittwoch auf FM4 und als Podcast.
Es ist höchste Zeit für mich, Mitglied einer Partei zu werden. Ich bin jetzt lange genug Low-Life-Experte gewesen. Ich habe schon mitgekriegt, dass die Chance, vom Kolumnenschreiben reich zu werden, ähnlich hoch ist, wie die Chance auf einen Lotto-Sechser. Den Parteimitgliedern geht es deutlich besser, sie haben mehr Chancen im Leben. Selbst beim Lottospielen. In meinem Geburtsland wurde einer meiner Altersgenossen zum EU-Parlamentarier gewählt. Irrtümlich.
Das passierte in den Reihen der Sozialisten. Die ehemaligen bulgarischen Kommunisten nennen sich jetzt "Bulgarische Sozialistische Partei" und haben eine feste Wählerschaft. Sie besteht hauptsächlich aus Menschen über 70 Jahren. Das sind meistens Leute, die mit der ehemaligen kommunistischen Nomenklatura verbunden sind: Ex-Militärs, Polizisten oder Parteifunktionäre, mehrheitlich aus den kleineren Städten und Dörfern. Viele von ihnen wählen die BSP aus Nostalgie und Verbundenheit mit den "guten alten Zeiten". Sie erinnern sich gerührt an die Zeit, als sie ohne zu arbeiten Gehalt bekommen haben. Sie konnten die "kooperative Landwirtschaft" in aller Ruhe ausrauben und brauchten nie Initiative zu zeigen. Und das Wichtigste - sie brauchten nicht mit ihren eigenen Köpfen denken. Diese Menschen machen alles aus Gewohnheit, auch das Wählen.
Sieger dieser Wahlen ist der 28-jährige Momtschil Nekov, ein völlig unbekannter junger BSP-Funktionär. Die sozialistische Partei in Bulgarien protzt gerne mit den wenigen jungen Leuten, die sich für ihre Ideen begeistern können und macht sie oft zu Listenkandidaten. Sie protzt, aber tut es stets mit Vorsicht. Dieser Momtschil Nekov stammt aus einer kleinen bulgarischen Provinzstadt. Er stand bei den Europaparlamentswahlen auf dem unwählbaren fünfzehnten Platz der sozialistischen Liste. Während des Wahlkampfs machte Nekov kurz mit exotischen Wahlversprechen auf sich aufmerksam: er versprach, in Brüssel ein Denkmal des bulgarischen Khans Terwel zu bauen. Terwel ist der zweite bulgarische mittelalterliche Khan, der das Land im frühen achten Jahrhundert beherrschte. Er ist bekannt dafür, dass er mal gegen, mal auf der Seite des byzantinischen Reichs kämpfte. Laut einigen Angaben sei die Hilfe von Terwel und die bulgarische Armee für die Byzantiner gegen die arabische Invasion so wichtig gewesen, dass man dem bulgarischen Khan zu verdanken habe, dass die Muslime erst sechs Jahrhunderte später nach Europa gekommen sind. In diesem Sinne symbolisiert ein Denkmal an Khan Terwel den Drang der Europäer, die muslimische Migration in Europa zu verhindern. Das stimmt nicht besonders mit der Politik der europäischen Sozialisten überein, aber das ist eine Nebensache.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Nekov die Chance auf einen Platz im Europaparlament bekam? Die Antwort ist ganz leicht: die BSP hat auf dem Wahlzettel die Nummer 15. Die Nummer von Nekov auf der Liste ist auch 15. Um sich zu vergewissern, dass sie richtig wählen, haben die Wähler von BSP die Nummer 15 überall eingekreist, wo sie sie auf dem Wahlzettel gesehen hatten, für die Partei und als Präferenzvotum. Somit kriegt Nekov als Präferenzkandidat eine enorme Anzahl von Stimmen. Genug, um den ersten in der Liste - Sergej Stanischev, Vorsitzender der BSP - und die Partei der Europäischen Sozialisten zu verdrängen. Der Vorstand der BSP weiß nicht, was er machen soll.

APA/EPA/VASSIL DONEV
Einerseits kann die BSP ihre Wähler nicht der Dummheit und Inkompetenz beschuldigen, andererseits wollen sie nicht, dass Stanischev von Nekov verdrängt wird. Man sagt, dass Nekov enorm unter Druck gesetzt wird um sein Mandat abzugeben, er aber vergewisserte, dass er seine Kandidatur nicht zurückziehen will. Was wird Nekov bevorzugen? Das Gehalt des Europaparlamentariers in der Höhe von 6.200 Euro oder das eines Doktoranden an der Uni Sofia, das 200 Euro monatlich beträgt?
Es gibt eine Legende über den oben genannten Khan Terwel, dem gleichen, dem Nekov ein Denkmal in Brüssel bauen will. Er habe mal die Byzantiner besiegt und danach seine riesige Peitsche in die Erde gerammt. Er forderte die Besiegten auf, sich mit Gold und Juwelen zu übergießen, bis man sie nicht mehr sieht, um sich ihre Freiheit zu erkaufen. Wo wird wohl Nekov seine Peitsche knallen lassen?