Erstellt am: 26. 5. 2014 - 16:26 Uhr
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Mit 26,6% gewann am Sonntag die Linke Partei Syriza die Europawahlen in Griechenland und bestätigt damit die Dynamik, die die Partei in den Jahren nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise bekommen hat. Bei den EU-Wahlen im Jahr 2009 kam sie noch auf nur 4,7 Prozent.
Syriza-Chef und Spitzenkandidat der europäischen Linken, Alexis Tsipras, forderte nun schnellstmögliche Neuwahlen und sagte, die Regierung hätte nicht mehr die politische und moralische Berechtigung, weitere Sparmaßnahmen zu beschließen. Es müsse eine demokratische, fortschrittliche und patriotische Allianz gebildet werden, die die kommenden Wahlen mit absoluter Mehrheit gewinnen kann, so Tsipras.
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Die konservative Regierungspartei Nea Demokratia landete mit 22,8% an zweiter Stelle. Die Europawahl war der erste große Test für die Regierung von Antonis Samaras, die seit zwei Jahren im Amt ist. Innenpolitisch war sie deshalb eine Art Referendum über den von den Gläubigern geforderten Reformkurs, den er gehorsam umsetzt. Analytiker gehen davon aus, dass es jetzt zu einer Kabinettsumbildung kommt, der harte Sparkurs jedoch fortgesetzt wird.
An dritte Stelle kamen die Neonazis von Chrysi Avgi. Mit 9,4% schicken sie drei Abgeordnete ins Europarlament. Im Vergleich zu den Parlamentswahlen im Jahr 2012 konnten sie mehr als 2 Prozent zulegen.
Die einst mächtige sozialdemokratische PASOK, die mit der Wahlplattform Elia in die EU-Wahlen ging, kam auf 8,1 Prozent und konnte mehr Wähler mobilisieren als zunächst angenommen. Auch die neue Mitte-Links-Partei To Potami, die vom Fernsehjournalisten Stavros Theodorakis gegründet wurde, schaffte es bei ihrem ersten Auftritt, mehr als 6,5 Prozent zu bekommen.
Der einstige Juniorpartner der Samaras Regierung, die linksgerichtete DIMAR, erlitt große Verluste und bekam nur 1,2 Prozent. Die Kommunistische Partei schaffte mehr als 6 Prozent, und die konservativen Unabhängigen Griechen kamen auf 3,4 Prozent.
Druck auf die griechische Regierung wird stärker
Der Druck auf die Regierung wird nach dem Sieg von Syriza stärker. "Ab jetzt können sie nicht mehr so leicht Küsten und öffentliches Eigentum verkaufen, Krankhäuser und Schulen schließen und die sozialen Rechte einschränken. Sie müssen ständig hart kämpfen, um im Parlament, in den Gerichten und in der Gesellschaft die Sparpolitik umzusetzen und die verborgenen Vereinbarungen mit der Troika zu erfüllen“, schreibt das alternative Webportal ThePressProject.
Bereits wenige Tage vor der Wahl hatte ein Gericht auf Kreta die Entlassung der 20 Angestellten der lokalen Abteilung des ehemaligen öffentlichen Rundfunks ERT für ungültig erklärt. Den hatte die Regierung ja letzten Juni von einen Tag auf den anderen geschlossen. Zur selben Zeit ordnete ein Athener Gericht die sofortige Wiedereinstellung von ca. 400 Putzfrauen des Finanzministeriums an, die am September 2013 entlassen worden waren und monatelang gegen ihre Kündigung demonstriert hatten. Die Entlassungen waren einst mit den staatlichen Einsparungen begründet worden. Das Gericht urteilte jedoch in erster Instanz, dies widerspreche dem öffentlichen Interesse.
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Die nächste Parlamentswahl steht turnusmäßig 2016 an. Manche Beobachter vermuten aber, dass Syriza die für 2015 anstehenden Präsidentschaftswahlen im Parlament blockieren könnte, was zu einer Auflösung des Parlaments führen und bereits früher Neuwahlen auslösen könnte. Es wäre sogar ein noch früherer Termin möglich, abhängig von den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Herbst, meint Analyst Stavros Lygeros: "Griechenland befindet sich politisch in einer Art Limbus. Das Wahlergebnis zeigt, dass einerseits die Wähler dieser Politik ein Ende setzen möchten und deswegen die Regierungsparteien geschwächt haben, anderseits haben sie Syriza nicht die notwendigen Stimmen gegeben, damit ein Wechsel vollzogen wird".
Von der Politik genug
Die Griechen scheinen von Politik genug zu haben. Bei den Umfragen ist die Mehrheit gegen Neuwahlen. "Samaras hat keinen Zauberstab", sagt eine Seniorin auf den Syntagma Platz vor dem Parlament. Sie wählte sowohl bei den Kommunal- und Regionalwahlen als auch bei den Europawahlen seine konservative Regierungspartei Nea Demokratia und ist davon überzeugt, dass am Ende seine Politik Wachstum bringen wird. "Er hat noch zwei Jahre vor sich. Wir sollten ihn beurteilen, wenn er mit seiner Amtszeit fertig ist", sagt sie.
Doch die Koalition aus der konservativen Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen PASOK wackelt und hat nur noch eine Mehrheit von zwei Sitzen im Parlament. Mit einer aggressiven Wahlkampagne versuchten beide Regierungsparteien, die Wähler zu überzeugen, dass der eingeschlagene Spar- und Reformkurs der einzig gangbare Weg sei.
Sie betonten immer wieder, dass es notwendig ist, die Stabilität in Griechenland zu bewahren und einen "politischen Unfall" zu verhindern, der durch den Sieg des Linksbündnisses Syriza verursacht werden könnte. Samaras verglich bei einer Wahlkampfrede die Lage in Griechenland mit einer schwierigen Wanderung auf einem hohen Berg. "Wir sind nur einen Schritt vom Gipfel entfernt", beschwor er. Der Juniorpartner PASOK warnte vor dem Chaos, falls es zu einer Wahlschlappe kommt. "Wenn die Elia nicht gewählt wird, dann wird das Land zur Ukraine", warnte der Vize-Innenminister Leonidas Grigorakos, der zu PASOK gehört.
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Samaras versuchte bis zum letzten Moment, bei den WählerInnen den Eindruck zu erwecken, dass Griechenland bald wieder die alten guten Zeiten erleben wird. Kurz nach der ersten Runde der Kommunal- und Regionalwahl, und ein paar Tage vor den Europawahlen, stellte er einen nationalen Entwicklungsplan vor, der unter anderem die Schaffung von 770.000 neuen Jobs bis 2020 sowie Steuersenkungen enthält. Doch es ist fraglich, wie dies in den nächsten sechs Jahren geschafft werden kann - in einem Land, in dem die Staatsverschuldung mittlerweile rund 175% des BIP beträgt, das weiterhin Rezession erlebt und das die nächsten Jahre wenig Perspektiven auf Wachstum hat.
"Vielleicht meint Samaras, er werde Arbeitsplätze mit 200 Euro Monatsgehalt schaffen”, sagt Eleni L., eine 40 jährige Arbeitslose. Sie hat ihre Stimme dem Linkbündnis Syriza gegeben, obwohl sie nicht vollkommen davon überzeugt ist, dass diese Partei klare Vorstellungen von einem Ausweg aus der Krise hat. Trotzdem ist es für sie die einzige Hoffnung. “Es ist, als ob wir uns in einem Tunnel befinden und in Lebensgefahr sind. Und dann ist plötzlich ein Notausgang zu sehen. Jeder vernünftige Mensch würde sich für den Notausgang entscheiden."
Die wachsende Anzahl der GriechInnen, die sich für die Neonazi-Partei Chrysi Avgi entschieden hat, sowohl bei den Kommunal- und Regionalwahlen als auch bei den Europawahlen, zeigt, wie radikalisiert die griechische Gesellschaft wird. Der Kandidat der Neonazis für das Amt des Bürgermeisters von Athen, Ilias Kasidiaris, erhielt bei der Kommunalwahl mehr als 16 Prozent der Stimmen. Damit verpasste den zwar Einzug in die zweite Wahlrunde, konnte aber den Anteil der Partei in Athen im Vergleich zu den Kommunalwahlen im Jahr 2010 mehr als vervierfachen. Und das, obwohl Parteispitze, Abgeordnete und Funktionäre der Partei seit Monaten strafrechtlich verfolgt werden.
Die Wirtschaftskrise allein ist dabei für die Wähler von Chrysi Avgi kein Alibi mehr. Bei den Regionalwahlen in Gegenden in Piräus, wo vorigen September der antifaschistische Musiker Pavlos Fyssas von einem Chrysi-Avgi Mitglied ermordet worden war, erreichten die Neonazis sogar zweistellige Werte. Die populäre griechische Band Electric Litany sagte daraufhin wegen des dortigen Anstiegs der Neonazis Konzerte in Piräus und Volos ab. "Die Mehrheit der Bürger in diesen beiden Städten verdient das Mittelalter das sie gewählt haben. Jede Stimme für die Nazis ist ein Messer", so die Band.