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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

26. 5. 2014 - 12:49

Poems and plums

Der neue Gedichtband von Clemens Setz regt einige auf: Ist das Lyrik? Ja, sagt der Autor und räumt mit Klischees auf.

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Junge Damen auf Reisen mit spitzen Nadeln im Mund, Charles Darwin und Schrödingers Katze. In "Die Vogelstraußtrompete" begegnet man vielen historischen Persönlichkeiten und nicht immer ist man sich sicher, ob diese erforscht und recherchiert wurden - oder aber schlicht erfunden sind.

Für bizarre Geschichten wird Clemens Setz geschätzt. Nun versammelt er in "Die Vogelstraußtrompete" Gedichte aus zehn Jahren. Ein Best Of, ohne die anderen Gedichte zu kennen, die es nicht in Setzs Auswahl geschafft haben. "Es ist ein Taschenzoo, den man aufmachen kann. Dann kann man sich diese Wesen anschauen", sagt der in Graz lebende Autor darüber. Schon krabeln die Bilder im Kopf los.

Doch ist das Lyrik?

Clemens Setz mag Nicholson Bakers Definition: Es gibt Poems und Plums, Gedichte und Pflaumen. "Poems sind die klassischen Gedichte, liedartig, musikalisch geformte Sprache, nennen wir es so. Ob es Bepop-Sound ist oder ein klassisches Lied mit vierhebigen soundso. Und dann gibt es die Plums - Pflaumen -, wie Baker sie nennt: Prosastücke, die so gedruckt werden, dass man sie langsamer liest als sonst."

In "Die Vogelstraußtrompete" sind etwas mehr Plums als Poems enthalten. Fundstücke, Prosa-Gedichte, Betrachtungen und Mini-Essays sind es. So gut, dass man höchstens drei auf einmal lesen sollte.

Dass er mit dieser Auffassung von Lyrik Kritiker verärgert, kann Setz verstehen. Er wäre damit auch längst nicht der erste und verweist auf Handkes "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" von 1969. Auch die "Japanische Hitparade vom 25. Mai 1968" fand darin Eingang.
"Es hat etwas Belustigendes, weil sie halt so ernst sind. Wie Leute, die mit total ernster Miene Heidegger lesen und unverständliche Sätze sagen. Es hat etwas Komisches. Ich finde das sehr lustig, aber man kann den Leuten ihren Ernst nicht nehmen, und das ist wahrscheinlich gut so."

Apropos Heidegger:

Meme mit Elke Heidenreich, die in einer Literatursendung ein Zitat vorbrachte, das sie Heidegger zuordnete, das er aber nicht geschrieben hat.

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Found Poetry

Wie verhält es sich nun mit Clemens Setz und diesen Gedichten?
Mit dem amerikanischen Park-Ranger, den sieben Mal der Blitz getroffen hat, und dem rätselhaften Inhalt eines Pornofilms. Oder diesem Henry Bergh, der die American Society for the Prevention of Cruelty to Animals gründete. Und viele mehr. "Die sind tatsächlich so dokumentiert. Es ist nichts erfunden, sehr vieles ist ein Fundstück, manches sogar wortwörtlich."
In Zeilenform etwa hat Clemens Setz "Lyrik, nach dem Brockhaus Conversations-Lexikon 1809" gebracht.

"Es gibt zwei Gründe, warum man in Gedichtzeilen schreibt: Weil es rhythmisch und vom Klang, vielleicht auch von einem Reim diktierte Abteilungen sind, oder man möchte anzeigen: Lies' das mal langsam!"

Clemens Setz

Paul Schirnhofer

Clemens Setz mag Gedichte, die zugänglich sind

Amüsant und höchst unterhaltsam sind diese - nun ja - Gedichte. All diese Personen und Ausgangspunkte fürs Weiterschreiben zu finden, kostet Zeit. Sehr viel Zeit. "In manchen Tagen ist es das Einzige, was ich mache, dass ich irgendwelche merkwürdigen, obskuren Bücher lese. Das ist tatsächlich die Hauptarbeit und Hauptfreude", sagt Clemens Setz, "Ich merke, dass sich das Sammeln von merkwürdigen Dingen immer wichtiger anmeldet bei mir. Manche Essays von mir bestehen auch fast nur aus einer Abfolge von zusammengehörenden Fundstücken, die aber vielleicht aus verschiedenen Jahrhunderten stammen. Die Form habe ich nicht erfunden, das habe ich von Eliot Weinberger, dem größten Essayisten der Welt wahrscheinlich. Er sollte den Nobelpreis kriegen. Ein großer Dichter, aber er schreibt nur Essays, aber magische, perfekte Gebilde. Er hat diese Form erfunden oder gefunden, dass man nicht erklärt, was es ist, sondern gegenüberstellt. Es ist total leicht zu verstehen, aber du brauchst nicht diese Erzählungen über Recheche oder Reportagestil. Das vermeidet er."

Aus einer zoologischen Beobachtung formt Clemens Setz das Mini-Essay "Über Papageien". Die Vögel füttern Schuhe, also Öffnungen, die schnabelhaft aussehen. "Das hat etwas herz- wie sagt man auf Deutsch heartbreaking? Herzwürgendes, fast. Man fühlt mit den armen Papageien. Wir tun das ja auch: Wir machen Ersatzhandlungen oder leiten ein Gefühl ab, das sich zu sehr aufstaut. Bei in der Wohnung gehaltenen Papageien ist es in dem Fall das Bedürfnis, Küken zu ernähren. Menschen, die Internetpornografie anschauen, machen auch etwas Stellvertretendes."

Keine Agenda

Was will Clemens Setz, der nichts von schulischer Gedichtinterpretation hält, mit seinen Gedichten?
"Bei einem Roman ist es so, dass man schon etwas will: dass der Leser weiterliest. Dass es einen Grund gibt, sich damit zu beschäftigen. Das ist der Herzschlag von erzählender Prosa: Die Neugier. Das kann total fragmentiert und avantgardistisch gemacht sein, aber der Herzschlag ist: 'Und dann? Und dann? Und dann?' Wie geht es dann weiter. Bei Gedichten ist das nicht so. Die haben notwendigerweise keinen Zusammenhalt. D.h. es gibt keine direkte Beeinflussung von jemandem, der das Ding in die Hand nimmt", sagt Clemens Setz.

Der Versuch an der Tankstelle

Buchcover zu "Die Vogelstraußtrompete" von Clemens Strauss zeigt dampfende Blechfässer und Satellitenschüsseln

Suhrkamp

"Die Vogelstraußtrompete" von Clemens Setz ist 2014 bei Suhrkamp erschienen

Warum es Gedichte heute schwer haben, LeserInnen zu finden, kann Clemens Setz auch nicht beantworten. Dafür kennt er eine schöne Geschichte. "Josef Brodsky, der berühmte russische Dichter und Nobelpreisträger, meinte, Gedichte sollten in Tankstellen verkauft werden. Einige Jahre nach seinem Tod hat man das versucht mit Gedichten von John Ashbery, die ja ganz schwer verständlich sind, aber witzig. Sie sind so eine wunderbare Spielart des Nonsens. Und man hat sie tatsächlich in kleinen Paperbacks in Tankstellen verkauft. Es hat überhaupt nicht funktioniert."

Clemens Setz schreckt das nicht ab.

Leben am Mars

Derzeit schreibt er an einer Sammlung von Gedichten zu Astronauten, die illustriert vielleicht als Kinderbuch erscheinen wird. "Ein Sonderfall: Es sind Wilhelm-Busch-artige, in Knittelversen gereimte Gedichte teilweise, manchmal in anderen, sich reimenden Strophen. So, als wären Astronauten eine eigene Spezies. Es gibt die ausgestorbenen Astronauten und es gibt die Astronauten, die da und dort leben, und wie die Ehe-Frauen von Astronauten aussehen."

Es ist eine Suite von Gedichten. Allerdings nicht ohne Herausforderungen. Wenn es für junge LeserInnen sein soll, kommen manche Themen nicht vor, wie Sexualität. "Damit sollte man Kinder nicht belästigen", so Clemens Setz. "Manchmal ist es natürlich lustig, wenn man sich vorstellt: Wie pflanzt sich ein Astronaut fort?"

"Self-Portrait by Opportunity Mars Rover in January 2014"

Public Domain

Selfie von Mars Rover Opportunity von Jänner 2014

Schwerelosigkeit und Schwangerschaften

Ein Artikel über die Mars-Mission war der Auslöser dafür. Für 2030 plant die NASA eine bemannte Mission zum Planeten Mars. "Das wäre ein One-Way-Ticket. Die müssten rauffliegen und müssten dann dort auch bleiben. Das ist die ganze Mission. Und dann dort oben eine Kolonie bilden oder irgend so etwas. Das Schwierige allerdings ist: Wenn man Frauen mitnimmt und die dann Kinder kriegen sollen - am Mars gibt es nur ein Drittel unserer Erdanziehung und da werden Frauen wahrscheinlich - man weiß es nicht mit Sicherheit - nicht schwanger", erzählt Setz über die Initialzündung zu seinem neuen Projekt. "Ich habe mir vorgestellt, dass die dann in eine Zentrifuge gehen müssen, um sich zu paaren. Das wurde ein Gedicht und ich habe gedacht, das ist lustig! Ich möchte mehr darüber schreiben!"

Vielleicht wird diese lyrische Astronautensaga ja das erste Kinderbuch von Suhrkamp. Das will man haben.