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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

25. 5. 2014 - 16:16

Schatten der Erinnerung

"Nach allem, was passiert ist": Der aufschürfende Debütroman von Sophie Coulombeau.

Auch wenn in "Nach allem, was passiert ist" einiges – mit voller Absicht – im Vagen und Nebulösen bleibt, stellt Autorin Sophie Coulombeau erfreulicherweise eines ausdrücklich klar: Ein "Nein" bedeutet "Nein".

"Als ich vierzehn war, habe ich etwas Schreckliches getan. Wenigstens behaupten das einige. Andere wiederum halten es für halb so schlimm. Oder sie glauben vielmehr, dass es eine Erklärung dafür gibt, was es in ihren Augen anscheinend irgendwie besser macht."

Die aus Manchester stammende Coulombeau hat ihrem Debütroman im englischen Original den Titel "Rites" gegeben: Ein knapper, viel besserer Titel als das gar reißerische, nach Bahnhofsbuchhandlung riechende "Nach allem, was passiert ist" aus der deutschen Übersetzung. Sie werden es nicht glauben. "Rite" - das bedeutet so viel wie Ritus, Zeremonie. Sophie Coulombeau sieht in ihrem Buch im Verlust der Unschuld, im sexuellen Sinne, etwas bedeutungsschwanger so eine gewichtige Zeremonie des Überganges. Aber so denkt man wohl als Jugendlicher, und dieser Roman erzählt zu nicht geringen Teilen vom jugendlichen merkwürdigen Fühlen und Meinen.

Der erste Sex ist hier also ein Ritus, den man nicht zu zweit, sondern zu viert erleben will. Nimmt vielleicht die Nervosität und sorgt für erinnerungswürdige Momente in der Zukunft. Die Zukunft ist die Gegenwart: In "Nach allem , was passiert ist" blicken vier junge Erwachsene, Damien, Lizzie, Nick und Rachel, nach hinten: Zurück in jene Zeit vor 15 Jahren, als sie noch zwei befreundete Teenager-Pärchen waren und beschlossen, das erste Mal gemeinsam zu erleben. In einem Hotelzimmer, bekifft, betrunken. Zusammen, aber dann doch getrennt voneinander.

"Ich hörte sie Nein sagen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Nein gesagt hat."

Sophie Coulombeau

Ross Parry Syndication

Sophie Coulombeau

Damals sind die Dinge außer Kontrolle geraten. Der Vorwurf der Vergewaltigung steht auch heute noch im Raum. Manche Beteiligte können sich nicht mehr so recht an besagte Nacht erinnern, andere wollen nicht. Heute berichten Damien, Lizzie, Nick und Rachel einem unbekannten Interviewer getrennt voneinander von den Ereignissen. Was ist denn das, die Wahrheit?, fragt also das Buch. Im Stimmengewirr der unterschiedlichen Perspektiven verschwimmen die Ansprüche auf Absolutheit. Auch wenn nichts beschönigt werden darf.

"Warum so ernst? Ist doch nichts Schlimmes. Junge trifft Mädchen, die Natur nimmt ihren Lauf, die Eltern kommen dahinter, zack, Klaps auf die Hand, das wars. Ja, wir waren ziemlich jung, aber so was kommt jeden Tag vor."

Nach allem was passiert ist

Kein & Aber

"Nach allem, was passiert ist" von Sophie Coulombeau ist bei Kein & Aber erschienen. Aus dem Englischen von Simone Jakob.

Sophie Coulombeau gelingen mit ihrem Debüt interessante Nuancierungen zwischen den unterschiedlichen Tonfällen der verschiedenen Erzählerfiguren. Es werden sich noch weitere Stimmen, darunter die eines Pfarrers, in die Geschichte mischen. Auch die Verschiebungen zwischen den unterschiedlichen Zeitebenen, zwischen scheinbar faktentreuer Nacherzählung, Selbstbetrug, Lüge und Verleugnung erzeugen Reibung. Eine Art Kriminalfall und aufschürfendes Psychogramm mischen sich auf beklemmende Weise.

"Am Montagnachmittag ging ich zur Beichte. Ich fühlte mich schrecklich. Einfach nur schrecklich. Zu Hause wars besonders schlimm. Mein Dad hat sich bemüht, lieb zu mir zu sein, er war eigentlich immer lieb, aber...er war total besorgt, ist mir kaum noch von der Seite gewichen, und ich musste ständig an den Ärger denken, den er wegen mir am Hals hatte, und ich fühlte mich schmutzig, weil er wusste, was passiert war."

Andernorts ist der Ton in "Nach allem was passiert ist" leider doch zu betont schnoddrig, flapsig und auf jugendlich getrimmt. Das schwerwiegende Kernthema des Buches wird ein wenig schablonenhaft verhandelt. Eine allumfassende Antwort wird zum Glück nicht bemüht. Ein solides Erstlingswerk, immerhin, das bisweilen jedoch nicht bloß von Teenagern zu handeln scheint, sondern auch so klingt, als wäre es ausdrücklich für sie geschrieben worden. Das ist natürlich nicht das Schlechteste.