Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Saturday Edition, 24-05-14. "

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 5. 2014 - 21:37

The daily Blumenau. Saturday Edition, 24-05-14.

Journalistischer Populismus und die Lust am eigenen Untergang.

Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Ich bin zu müde um die üblichen Links zu den alten Themen Empörungs-Bewirtschaftung oder Fluch-oder-Segen-Falle zu setzen. Deshalb nur der Hinweis auf ein - noch theoretisches Positiv-Beispiel. Mehr unter fm4.orf.at/medien

#euwahl #medien #journalismuskrise

Der Vorfall war Folgender: Frau Mlinar, die EU-Spitzenkandidatin der Neos, sagte bei der TV-Elefantenrunde am Donnerstag auf die Schwierigste aller Fragen, nämlich wie man Desinteressierten (also dem Großteil der Bevölkerung) die Sinnhaftigkeit eines EU-Programms näher bringt, vorab den schönen Füllsatz "Scheiße, das ist schwierig".

Mir ist das ehrlich gestanden entweder gar nicht aufgefallen oder ich hab's ein paar Sekunden später wieder vergessen, weil ja, eh - stimmt. Ist schwierig, weil die Königsdisziplin, an der nicht nur die politischen Parteien, sondern auch viele Mainstream-Medien permanent scheitern; einige auch mit bewusstem Anlauf.

Heute, in den Print-Nachwehen zur hier nachsehbaren Debatte bekomme ich erklärt, dass es sich hierbei um einen Fauxpas, also einen schlimmen Fehler handelt. Irgendwie höre ich da im Hintergrund Beavis und Butthead kichern, wie sie immer kichern wenn jemand ein schlimmes Wort gesagt hat.

Diese Besserwisserei im Nachhinein, wurscht ob das jetzt für Polit-Livetalks oder große Fußballspiele gilt, wo man im Nachhinein, mit Stunden an Nachdenk- und Durchspiel-Potenzial immer gescheiterln kann, dass sich die Balken biegen, ist im übrigen der Grund dafür, dass ich taktische Match-Analysen (wie bei Länderspielen) seit einiger Zeit nur noch live, in Echtzeit tätige (oder mich in Ausnahmefällen, wenn das nicht geht, dann ausschließlich auf meine Live-Notizen stütze). Weil nur das fair ist, und alles andere nur feig.

Damit nicht genug. In ernstgemeinten politischen Kommentaren wie diesem wird der Scheiße-Sager zum Anlass genommen, die Neos als kindische Bande abzumahnen. Nicht ohne genüsslich aufzuzählen was man alles lässiges auf die Live-TV-Frage hätte sagen können, ganz ohne "Scheiße, ganz schön schwer"-Vorwort. Komischerweise klingen die im Nachhinein erdachten und gedrechselten Sätze nicht nur ein wenig banal, sondern auch wie jedes beliebeige vorab auswendig gelernte Politikersprech.

Hätte Mlinar das genau so oder so ähnlich geäußert, wäre sie entweder gar nicht zitiert oder der Fadzopfigkeit geziehen worden.

Denn die österreichischen Medien (alle, und ich nehme da uns und auch mich nicht aus, ich ertapp mich da auch zuweilen) sind geradezu besessen davon bei jedem Schas einen Double-Bind zu tätigen, jede Äußerung, jeden Offiziellen, jeden Amtsträger zu framen.

Eine korrekte Aussage ist langweilig und erreicht die Menschen nicht, ein wenig aus dem Rahmen fallende Aktionen hingegen sind ein Fauxpas. Und beides eignet sich hervorragend zur Lächerlichmachung.

Um klarzustellen: ich hege keine besondere Sympathie für die meisten Opfer dieser Behandlung, von denen sie viele auch verdienen. Und Frau Mlinar sorgt angesichts ihrer unsäglich-feuchten Wasserprivatisierungs-Fantasie ganz von selber für einen ganz schlechten Stand in der medialen Behandlung. Aber darum geht's nicht; wie schon im Fall Stronach, der mit seinen Kasperliaden Steilvorlagen für ein Umdenken im journalistischen Habitus geliefert hat, die bislang mit wenigen Ausnahmen aber nicht aufgenommen werden konnten (dazu ist die Grundtechnik der heimischen Spieler zu schlecht), ist diese kleine Randnotiz ein Zeichen dafür, dass sich der heimische Journalismus der akuten Krise mit einem bewussten Schritt in Richtung Populismus befreien möchte. Und zwar nicht nur der Boulevard, sondern vor allem die sogenannten Qualitäts-Medien.

Die Lust daran sämtliche handelnde Figuren der jeweiligen Branche permanent auf Fehler, Widersprüche, uminterpretierbare Sager, zu große Fadheit und zu viel Originalität abzuklopfen und jedes Micky-Maus-Detail mit dem Jauchzen eines fröschequälenden Volksschulbullys zu einer Erregung aufzublasen, ist mittlerweile zu einer ekelerregenden Happy Slapping-Epidemie geworden. Zumal sich die Opfer nie aus ihrer Rolle befreien, sondern maximal aussuchen können, ob sie als zu öd oder als verhaltensaufällig vorgeführt werden.
Und am anschaulichsten passiert das in der Politik. Im Wirtschaftsjournalismus traut sich das keiner, weil die zu sehr Verbandelten da zuviel zu fürchten haben. Und auch das spiegelt die politischen Realitäten, nicht nur die in Brüssel, wider: die Konzerne sind unantastbar, Politiker hingegen Freiwild. Ein Schelm, wer dabei an Vorgaben der großen Medien-Häuser glaubt.

Diese Behandlung hat einen gigantischen Arbeitsvorteil für die Branche: weil man sich die Opfer herrichtet, wie man's braucht und den permanenten Reiz der Empörung und Erregung sucht, erspart man sich die Basics des Berufsstands: die Suche nach der Wahrheit hinter den Fakten, dem Ver- und Ausgleich und dem Wissen, dass Widersprüchlichkeit und Komplexität keine Probleme oder anzuklagende Pfuigacks sind, sondern die zentralen Wegbegleiter des aufgeklärten Menschen im 21. Jahrhundert.

Als 1983 der damalige Bundeskanzler Sinowatz nach einer halbwegs komplexen Regierungserklärung den Satz "Ich weiß, das klingt alles sehr kompliziert" nachschob, haftete die Medien ihm (mit der bewussten Umwandlung des Satzes zum deutlich dümmlicheren "Es ist alles sehr kompliziert") eine parzivaleske Rolle an, erklärten ihn zum reinen Tor. Sinowatz erlebt nicht mehr wie sein präsumptiver Stoßseufzer die Lage der Medien heute mitbeschreibt: weil den Meisten das Meiste zu kompliziert ist, reduziert man sich und damit auch die Branche in ihrer Gesamtheit auf die Rolle eines spöttischen Papageis, versucht sich in wankelmütigem Populismus und tut alles um die gesellschaftspolitischen Bedeutung des Journalismus gegen Null hinunterzuschrauben.