Erstellt am: 24. 5. 2014 - 14:41 Uhr
Regenwurm-Shit Rulez!
Vor vielen Jahren: Ein befreundeter Botaniker ist zu Besuch. Sein Blick fällt auf ein paar gar armselig aussehende Zimmerpflanzen. Die Miene des Gastes verzieht sich und aus seinem Mund kommt scharf: „Wenn du Pflanzen hast und sie nicht düngst, ist das so, als hättest du einen Hund oder eine Katz', die du nicht fütterst!“ Ehrlicher (in breitem Tirolerisch vorgetragener) Zorn.
Seither wird artig und überall gedüngt. Die Zimmerpflanzen sind versorgt, Gemüsebeet und Sträucher auch, mittlerweile bekommt sogar der Rasen organischen Dünger: Mulch, Gründüngungen, Kompostgaben. Und siehe da, die Pflanzen danken es. Jedenfalls wirkt es so, als ginge es ihnen prächtig. Reden können sie ja nicht, genauso wenig, wie jene Wesen, die den in der Pflanzenwelt wohl beliebtesten Dünger überhaupt bereitstellen: Regenwürmer. Ihr Kot, im Fachjargon Wurmhumus oder auch Vermi-Kompost (vom lateinischen vermis für Wurm), ist der shit.
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CC BY 3.0 von http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Lamiot
Regenwürmer lassen sich nach ihrer Lebensweise in drei Gruppen einteilen:
"Streuschichtwürmer" (epigäische Arten), "Untertagwerker" (endogäische Arten) und "Tiefbauwürmer" (anözische Arten).
In Europa gibt es ca. 400, in Österreich ca. 60 und weltweit über 3000 Regenwurmarten.
Der hintere Teil des Regenwurms hat eine runde Form, der vordere Teil ist meist spitz. Der zarte Wurm kann mit einer Kraft von über einem Kilo auf einen Quadratzentimeter Erde drücken und das bis zu sechzigfache seines eigenen Körpergewichts stemmen.
Regenwürmer atmen mit der gesamten Körperoberfläche. Würmer die ans Tageslicht befördert werden sterben rasch. Sobald ihre Haut austrocknet, ersticken sie.
Wenn es im Sommer zu trocken wird, gehen sie in Sommerruhe. Sie ringeln sich ein und überdauern in einem Schlafmodus.
Unter einem Hektar Grünland graben Regenwürmer 9000 Kilometer lange Gangsysteme und produzieren pro Jahr fast 50 Tonnen Regenwurmhäufchen.
Die Ausscheidungen von Regenwürmern haben es in sich: mikrobielles Leben nämlich. Plus eine große Menge und Vielfalt an Huminsäuren, Enzymen und Botenstoffen (Hormonen). Wie kommt das?
Mikroorganismen stellen für Regenwürmer die wichtigste Nährstoffquelle dar. Ein Regenwurm, der beispielsweise ein totes Blatt in seine Wohnröhre zieht, kann dieses nicht sofort fressen. Er „füttert“ es Kleinstlebewesen, die das Blatt besiedeln und für ihn „aufknacken“. Ein Wurm hat keine Zähne und kann das Blattmaterial erst konsumieren, wenn es bereits zersetzt und von Asseln, Springschwänzen, Pilzen, Bakterien und Algen vorbereitet wurde. Beim Fressen geraten Mikroorganismen samt Mineralerde und Kotballen anderer Bodentiere in seinen Darm. Dieser ist seinerseits von Bakterien, Pilzen, Protozoen und Nematoden besiedelt.
Im Verdauungstrakt der Regenwürmer entstehen Ton-Humus-Komplexe. Das sind stabile Verbindungen von mineralischen und organischen Substanzen, die von Pilzen und Bakterien zu Bodenkrümel verbaut werden. Pflanzenwurzeln und Mikroorganismen lieben feinkrümelige Böden. Sie haben ein gutes Wasserspeichervermögen, erwärmen sich schnell und sind gut durchlüftet.
Im Wurmkot findet man hochkonzentriertes mikrobielles Leben in einer sagenhaften Vielfalt. Regenwürmer legen ihre Düngerpakete auf/im Boden ab, wodurch es ständig zu einer Neubesiedelung des Bodens mit Mikroorganismen kommt. Je vielfältiger und zahlreicher das Bodenleben, umso besser funktioniert der Nährstoffumsatz; das heißt, dass die Pflanzenwurzeln zu allem Zugang haben, was sie gerade brauchen. Sie können (je nach Entwicklungsphase) aussuchen, welche und wie viele Nährstoffe sie aufnehmen wollen.
VERMIGRAND
Edition Loewenzahn
Andrea Heistinger ist Agrarwissenschafterin, Gärtnerin, Autorin und arbeitet zu Geschichte und Gegenwart von Essen, Gärten und Kulturpflanzen(vielfalt)
Das organisch-biologische Düngungsprinzip lautet: Nicht die Pflanze wird mit Dünger gefüttert, sondern der Boden in dem sie wächst. Kunstdünger-Produkte folgen dagegen einem gänzlich anderen Zugang: Sie sind wasserlöslich, weshalb man sie auch als „Nährsalze“ bezeichnet. Salze lösen sich bekanntlich in Wasser auf. „Trinkt“ die Pflanze, bekommt sie unweigerlich und ungefragt auch diese (gelösten) Salze verabreicht.
Es ist eine Art Zwangsernährung, eine, die fett macht, aber nicht gesund ist. Fast-Food-stuff eben. Organischer Dünger dagegen gleicht einem reichhaltigen Büffet, das jeder Pflanze genau das anbieten kann, was sie gerade braucht. Um im Bild zu bleiben, kann man sich die Mikroorganismen als Lieferanten, Köche, Kellner vorstellen, die alles servieren, was gewünscht wird. Die Pflanze „bezahlt“ ihrerseits mit der härtesten Währung überhaupt: mit Energie. Mit Zucker & Proteinen.
Erde – Wurm – Pflanze – Blattlaus – ??? – … – Erde – …
„Unter einem Mikroskop betrachtet, sieht eine gut versorgte Pflanzenwurzel aus wie der New Yorker Times-Square zu Silvester“, erklärt Dr. Wilfried Hartl von der Bio-Forschung Austria, „nur dass dort immer Silvester ist und nur eine Bar offen hat, bei der alle gleichzeitig bestellen.“ Ein Schlachtfeld. Ein großes Fressen.
VERMIGRAND
Alfred Grand ist Biobauer in Absdorf (NÖ). Seine Firma VERMIGRAND ist eines der führenden Unternehmen im Bereich Wurmkompostierung in Europa
Eine dergestalt versorgte Pflanzen ist widerstandsfähiger gegen Angreifer, gegen Schädlinge und Krankheiten.
Stirbt sie schließlich, wird sie ihrerseits zu Mikroben-Futter. Sie wird in ihre Einzelteile zerlegt und an anderer Stelle wieder lebendig. Ohne Tod kein Leben. Und der Wurm ist so etwas wie das Medium dazwischen. In einem Versuch haben Forscher einem Regenwurm markierten Kohlenstoff verfüttert. Sie fanden ihn wieder: in Blattläusen.
„Häufig begegnet man beim Thema Düngen immer noch einem bereits überholten Verständnis, was Düngen ist: nämlich die Anreicherung des Bodens mit Stoffen, die eine Abnahme der Bodenfruchtbarkeit verhindern oder die Steigerung der Erträge bewirken sollen ... einem belebten Boden wird dieses überholte Dünge-Verständnis allerdings ganz und gar nicht gerecht“, schreibt die Agrarwissenschaftlerin und Autorin Andrea Heistinger in ihrem neuen Buch „Biodünger selber machen“. Sie hat es gemeinsam mit dem Biobauern und Wurmexperten Alfred Grand geschrieben. Die Botschaft der beiden: „Ein Boden ist dann fruchtbar, wenn er gut Wasser speichern kann, wenn er gut belüftet ist und den Bodenorganismen optimale Lebensbedingungen bietet.“ Ein solcher Boden ist die Grundlage für gesunde Pflanzen; gefördert wird er durch die regelmäßige Versorgung mit organischem Dünger. Und den kann jeder selber herstellen, wie das sehr empfehlenswerte Nachschlagewerk „Biodünger selber machen“ anschaulich vermittelt. Sogar in einer Wohnung lässt sich vermeintlicher Müll in „schwarzes Gold“ verwandeln.
VERMIGRAND
Was für den einen Abfall ist, ist für Heistinger und Grand wertvoller Rohstoff, der zu bestem Dünger veredelt werden kann. Zum Beispiel, indem man sich der Wundertätigkeit der Regenwürmer bedient. Das funktioniert im großen Stil (für Alfred Grand arbeiten geschätzte neun Millionen Kompostwürmer), wie im kleinen. Jeder kann Biodünger selbst herstellen, sogar in der Stadtwohnung. Dazu braucht man einen Behälter (kann man als „Wurmbox“ kaufen, oder selber basteln), Küchenabfälle (Kaffeesatz, Apfelputz, Eierkarton, Karottenschalen…) und natürlich Regenwürmer. Genauer gesagt: Kompostwürmer. Freundliche, arglose, hygienische Wesen, die die Dunkelheit lieben, die blind, taub und stumm sind, und die man ohne großen Aufwand als Haustiere halten kann.
Edition Loewenzahn
"Biodünger selber machen" von Andrea Heistinger und Alfred Grand ist im Löwenzahn-Verlag erschienen
„Die Kompostierung mit Hilfe von Würmern in geschlossenen Kisten funktioniert sehr einfach – und geruchsfrei. Beeindruckend ist auch, welche Mengen an Abfall verwertet werden können: Von 100% organischen Resten (Küchen- & Gartenabfällen) bleiben 10% Regenwurmhumus über“, schreibt Alfred Grand. Ein durchschnittlicher Haushalt könne so 25-30 Kilogramm feinsten Wurmhumus pro Jahr erzeugen. Wer für solche Mengen keine Verwendung hat, kann das „schwarze Gold“ ja auch verschenken/tauschen/verkaufen. Wurmkot ist nicht billig. Immerhin kosten fünf Liter Wurmhumus im Handel etwa 12 Euro. Ein stolzer Preis, aber Regenwurmhumus hat auch die fünf- bis siebenfache Düngewirkung im Vergleich zu herkömmlichem Kompost. Er kann die Pflanzenwurzeln nicht „verbrennen“ (überversorgen) und puffert den pH-Wert der Böden. In der Praxis heißt das, dass mit Wurmkompost versorgte Pflanzen(wurzeln) rasch und kräftig wachsen können.
„Biodünger selber machen“ ist ein umfangreiches, praktisches Nachschlagewerk. Es geht bei Weitem nicht nur um Regenwürmer (obwohl das Buch diesen erstaunlichen Kreaturen sehr viel Platz einräumt). Es steht auch alles Wissenswerte über „klassische Komposthaufen“ darin. Die Wirkung und Herstellung von Komposttees werden erklärt. Es geht um(s) Mulchen, Pflanzenjauchen, Gründüngung, Fruchtfolgen…
Ein wertvolles Buch. Gärtner-Ehrenwort. Und kauft ja keinen Kunstdünger!
Euer Wurmlobbyist.