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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

23. 5. 2014 - 16:53

Jetzt wird es kompliziert

Wer "X-Men: Days Of Future Past" sehen will, sollte die bisherigen sechs Teile der Mutantensaga kennen. Überhaupt nimmt das Marvel-Comic-Kino der Gegenwart kaum Rücksicht mehr auf Uneingeweihte.

fm4.ORF.at/film

Kinorezensionen, Schauspieler_innen-Porträts und Filmempfehlungen

Ob man den Abspann absitzt oder nicht, daran zeigt sich wahres Cineastentum, behaupten Filmpuristen. In einer Zeit, in der TV-Sender beinahe noch während der letzten Szene zur Werbung switchen und sich Menschen an solche Respektlosigkeiten zu gewöhnen beginnen, ist da natürlich was Wahres dran. Anderseits nervt bei manchen Gelegenheiten das ausgestellte filmische Liebhabertum schon fast und man flüchtet im Dunkeln, über die Sitzenden stolpernd, in Richtung Ausgang.

Bei Comicverfilmungen aus dem Hause Marvel gehört das Sitzenbleiben aber mittlerweile zur Tradition. Weil sich nach dem Abspann stets eine kleine Miniszene verbirgt, die einen Blick auf den nächsten Teil der Saga erlaubt. Oder auch nur mit einem Insiderwitz amüsiert.

Was am Ende von "Iron-Man" noch wie ein liebevoll wirkender Gag für Fans ausgesehen hat, steht allerdings für eine Tendenz. Das Comic-Blockbuster-Kino unserer Tage legt es darauf an, einen inneren Zirkel von Auskennern und Eingeweihten zu bedienen. Rücksicht auf ahnungslose Zuseher nehmen auch andere Fantasy-Franchises kaum mehr, von "Lord Of The Rings" über "Harry Potter" bis zu "The Hunger Games". Marvel geht mit seinem ausfeilten Masterplan aber noch weiter.

X-Men: Days Of Future Past

Fox

X-Men: Days Of Future Past

Auf Ostereiersuche im Marveluniversum

Nun lebten Comicserien, Romanhefte und auch viele Buch-Anthologien schon immer von komplexen Universen, in die man sich einarbeiten muss, Ausgabe für Ausgabe. Die Welt der Marvel- oder DC-Superhelden oder auch das Reich Mittelerde können für Uninitiierte schnell zum feindlichen Gebiet werden. In irgendein beliebiges Heft einer jahrzehntelang laufenden Superhelden-Serie reinzulesen, ist wohl wie Freejazzhören als Hitparadenfan: Ein sinnloses Unterfangen.

Früher, als der Planet Pop noch klarer eingeteilt war, als es einen Mainstream gab, der die Massen mit leicht durchschaubaren Medienprodukten versorgte und einen Underground voller Geeks und Freaks, die das Geheimwissen aus Film, Musik und Comics
verwalteten, da war alles anders. Längst sitzen die Sonderlinge aber in den Kreativabteilungen von Hollywood und werkeln dort an Filmen für Millionen anderer Sonderlinge. Aus den knallbunten Außenseiterträumen von Nerds und Bücherwürmern wurde der neue Mainstream.

Beispiel "The Avengers": Früher eine Bibel für Marvel-Maniacs only und in deutschsprachigen Ländern ein Kultcomic für einen eingeweihten Kreis, heute ein globales Phänomen und der dritterfolgreichste Film aller Zeiten. Ein gigantomanischer Blockbuster, den man aber nur wirklich versteht, wenn man die fünf Streifen zuvor gesehen hat, in denen sich Figuren wie Iron-Man, Thor oder Captain America tummeln. Sich diverse Kürzestepisoden und Easter Eggs auf den Blu-rays anzuschauen, schadet dabei genauso wenig wie eben auf den Epilog nach dem Abspann zu lauern.

Marvel's The Avengers

Marvel

The Avengers

Mutanten als bessere Menschen

Je weiter die Vernetzung des Marvel Cinematic Universe fortschreitet, desto mehr versuchen auch Konkurrenzfirmen wie Sony oder Fox mit ähnlichen Konzepten anzuschließen. Schließlich kauften diese Unternehmen in den Neunzigern die Rechte für zentrale Marvel-Figuren wie Spider-Man oder die X-Men und versuchen sie möglichst großflächig auszuschlachten.

Mit seiner ersten filmischen Annäherung an das Team um Professor Xavier löste Bryan Singer den aktuellen Comic-Kino-Boom erst aus. Nebenbei betete der Regisseur das Credo von Autorenguru Stan Lee vor, dem eingefleischte Marvelianer seit Dekaden folgen: Dass die Schönheit im Andersartigen liegt und Mutanten die besseren Menschen sind.

Die Ernsthaftigkeit und Emotionalität, die in Singers Ansatz steckte, korrespondierte offensichtlich mit einem Hunger des Publikums nach Antihelden im Kostüm. Den tektonischen Verschiebungen im Gefolge von "The X-Men" (2000) verdanken sich nicht nur Konkurrenzstreifen wie eben "The Avengers" oder die "Dark Knight"-Trilogie, sondern vor allem auch diverse Sequels und Spin-Offs. Jetzt kehrt Bryan Singer zu den Mutanten zurück und verschmilzt in "X-Men: Days Of Future Past" alle bisherigen Filme.

X-Men: Days Of Future Past

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X-Men: Days Of Future Past

Zukunft ist Vergangenheit

Dass die Zukunft nichts Gutes verheißt, das weiß man längst zur Genüge aus diversen dystopischen Science-Fiction-Epen, jetzt schlägt die Apokalypse auch im Reich der X-Men unerbittlich zu. Unzerstörbare Roboter, Sentinels genannt, unterjochen die Menschen und machen tödliche Jagd auf die Mutanten. Die letzten verbliebenen X-Men haben nur noch eine Hoffnung: Zurück in der Zeit zu reisen und die Entstehung des Sentinel-Programms zu verhindern.

Wen diese Geschichte an die Terminator-Filme erinnert, der liegt nicht ganz falsch. In "X-Men: Days Of Future Past" ist aber alles noch komplizierter. Denn Bryan Singers neuer Film spielt nicht nur in zwei Zeitebenen: Der dunklen Zukunft und den poppigen 70er Jahren. Wir haben es auch mit zwei Ensembles zu tun: Den X-Men rund um Patrick Stewarts Professor Xavier und der Mutantentruppe, die sich um dessen jüngeres Pendant James McAvoy versammeln, inklusive Jennifer Lawrence und Nicholas Hoult.

Das Bindeglied in dem Film heißt Hugh Jackman. Als Wolverine reist er in die Glockenhosen-Ära, um den Schöpfer der tödlichen Sentinels zu finden und brilliert abermals inmitten einer illustren Besetzung, während seine Soloauftritte nie wirklich überzeugen konnten. Immer gern sieht man auch Michael Fassbenders souveräne Version des jungen Magneto, während Alter Ego Ian McKellen diesmal etwas verblasst. An die Wand gespielt werden aber alle vom jungen Evan Peters ("American Horror Story"), der als blitzschneller Quicksilver den unvergesslichsten Auftritt des Films hat.

X-Men: Days Of Future Past

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Solide Inszenierung voller Anspielungen

Wem von all dem Zeitreise-Wahnsinn vorab der Kopf raucht, sei gesagt: So schwierig ist die ganze Sause dann doch nicht zu verstehen. Denn Bryan Singer inszeniert das Geschehen dermaßen klassisch, bisweilen fast altmodisch, dass auch der ärgste Physik-Verweigerer nicht den roten Faden verliert. Nur wer noch keinen der bisherigen X-Men-Filme gesehen hat, kann sich den Kinobesuch wohl eher sparen.

Schließlich versucht Singer in seinem sehr soliden Beitrag zum Superheldengenre die Hardcore-Fans der bisherigen Mutantenfilme mit etlichen Anspielungen zu belohnen. "X-Men: Apocalypse" ist für 2016 bereits angekündigt und soll die Fäden weiter verknüpfen. Da verwundert es nicht, dass auch nach dem Ende von "X-Men: Days Of Future Past", wie beim benachbarten Marvel Cinematic Universe, eine klitzekleine Überraschung wartet.

Dass der Filmvorführer bei der Pressevorstellung davon nichts weiß, das Licht im Saal schon vorher angeht und einige verdutzte Journalisten zurückbleiben, signalisiert, wie wenig von der Vision der Macher selbst bei den Verleihern angekommen ist. Vielleicht stimmt also die Theorie vom weltumspannenden Comic-Mainstream nur zum Teil und das unnötige und schöne Wissen über Marvel-Masterpläne fasziniert weiterhin nur einen kleinen Teil. Passt schon, ihr könnt gerne über Fußball-Spieltaktiken und Dschungelcamp-Queens diskutieren, ich will jetzt endlich wissen, was nach dem Abspann passiert.

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