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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

21. 5. 2014 - 14:52

Die Dringlichkeit der kurzen Form

Das Vienna Independent Shorts-Filmfestival eröffnet.

Es ist schön, dass der Vienna Independent Shorts-Leiter Daniel Ebner in seinem Mission Statement den Filmtheoretiker Volker Pantenburg zitiert, der festgehalten hat, dass sich die kleine Form genauso gut zum Scheitern eignet, wie jede andere auch. Schön und sympathisch ist das deswegen, weil sich VIS mehr als ein Labor als eine Leistungsschau des internationalen Kurzfilmschaffens versteht.

Benjamin Gruber und Marija Milovanovic vom Vienna Independent Short Film Festival

VIS

Kein Mensch beginnt seine Filmkarriere mit einem Historienepos (und wenn, dann wird sich den niemand länger als sehr kurz anschauen). Aber vor allem gibt es KünstlerInnen, die sich ihr Leben lang mit der kurzen Form beschäftigen, mit der Verdichtung des Kinos und seiner Maschinerie, mit der Visualisierung von Musik, mit der Essenz von Geschichten. Da diese Formen schon lange aus dem alltäglichen Kinobetrieb verdrängt wurden, stellt sich ein Kurzfilmfestival wie VIS mit großer Dringlichkeit der kurzen Form. Sieben Tage lang in Wien, im Stadtkino im Künstlerhaus, im Gartenbaukino, im Österreichischen Filmmuseum. Das Gesehene kann man besprechen, darüber debattieren, es feiern, bei Parties im Club U, im HEUER am Karlsplatz, einem Kurzfilmquiz in der Transporterbar und so weiter.

Hier ein (unvollständiger) Streifzug durchs Programm:

Verstandesmoralressourcen

Heinz Sobota, Filmstill

VIS

Die Kreuzung von Fiktion und Dokumentarischem hält schon schon seit längerem Einzug ins Kino, im Wettbewerbsbeitrag "Sobota" kommt sie besonders wirkungsvoll zur Geltung. Der Hintergrund des Films ist ein Buch, das in den späten 1970er Jahren für Aufruhr gesorgt hat, nämlich die Memoiren des Ex-Zuhälters, Schlägers, Vergewaltigers, Säufers Heinz Sobota: der "Minus-Mann". Sobota nannte das Buch einen "Roman-Bericht" und verwischte damit die Grenze zwischen getürkter Erinnerung und Tatsachen. Im Film, der bei VIS im Wettbewerb läuft, besucht und filmt eine junge Frau (Sobotas Enkelin?) den Ex-Häftling in seiner Wohnung. Sie und die Regisseurin interessieren sich nicht für das gelebte Leben dieses geläuterten und intellektualisierenden (Ex-)Monsters, sondern für seinen Geisteszustand und für das, was Sobota selbst als "Verstandesmoralressourcen" bezeichnet.

Jennifer Reeder, Festivalgast

Zwei Mädchen

Jennifer Reeder

Ein pubertierendes Mädchen (ihre Chorleiterin wird später in ihr Tagebuch "Teenagers are worse than babies" eintragen) trägt einer E.T.-Figur Lebensweisheiten vor. Eine andere singt mit zarter Stimme Madonna. "Life is a mystery, everyone must stand alone ..." Die Mädchen in Jennifer Reeders ergreifender Coming-of-Age-Studie "A million miles away" verdrücken schwarze Wimperntuschentränen, texten verschlüsselte Kürzel und projizieren sich gleichzeitig in eine Popkultur, die bereits Kult war, als sie noch gar nicht auf der Welt waren. Der Film kulminiert in einer Chorprobe. Gemeinsam singen die Mädchen eine Metallhymne aus den 1980er Jahren, nun kommen der Chorleiterin die Tränen. Das Machtverhältnis Lehrerin-Schülerin verliert an Boden, das Leben (und das Lieben) bleibt Mystery. Regisseurin Jennifer Reeder wird beim Festival und am Freitag in FM4 Connected zu Gast sein.

Österreich-Wettbewerb

Ein schwarzer, samtener Bühnenvorhang.

Antoinette Zwirchmayr

In drei Programmen widmet sich VIS dem umtriebigen, immer wieder überraschenden Kurzfilmschaffen Österreichs, dem übrigens auch das Kurzfilmfestival Hamburg Anfang Juni ein eigenes Sonderprogramm widmet. "In den letzten 60 Jahren entstand eine der innovativsten, produktivsten, radikalsten und gefeiertsten Kunst- und Kurzfilmszene weltweit", heißt es dort über das Filmland Österreich.

Neben neuen Arbeiten von bereits arrivierten Künstlern, zeigt VIS das junge, studentische Schaffen, etwa eine Arbeit von Antoinette Zwirchmayr, die in der Reduktion und Entmenschlichung (eher zeigt Zwirchmayr Leopardenstatuen als lebende Personen) ihre Wirkung entfaltet. Die an der Akademie der Bildenden Künste studierende Videokünstlerin spürt in "Der Zuhälter und seine Trophäen" der Vergangenheit des Großvaters nach und wurde dafür bei der diesjährigen Diagonale mit dem Preis für den besten Kurzdokumentarfilm ausgezeichnet. Nüchtern im pompösen Inneren einer menschenleeren Rotlichtbar gedreht, affirmativ gegen die Erwartung gebürstet, bewusst gekünstelt, erwischt einen dieser Film erst auf den zweiten Blick. Aber dann!

Fisch in Vagina

Vienna Independent Shorts
11. Kurzfilmfestival,
23.-29. Mai 2014

Eine Zeichnung einer Frau, die etwas aus ihrer Vagina zieht.

Marina Abramovic

Wenn ein über Nacht in einer Vagina aufbewahrter Fisch morgens tot ist, verreibt ihn die Frau zu Puder. Dieses Puder mischt sie ihrem Liebhaber oder Ehemann in den Kaffee. Er wird sie niemals verlassen. Gegen Impotenz bohren die Männer vor der Hochzeit Löcher in Brücken, um diese zu penetrieren. Auch am Feld verteilen sie ihren Samen, damit die Ernte gut ausfällt (was auch immer dann dort wächst). Im "Balkan Erotic Epic" erläutert uns die zuletzt für ihr wochenlanges Stillsitzen gefeierte Künstlerin Marina Abramovic trocken, aber in detaillierter Illustration die am Balkan erprobten Rezepte für das Beziehungsleben.