Erstellt am: 20. 5. 2014 - 18:49 Uhr
Gespür für Schnee
Die Spuren verlaufen anders. An einigen wenigen Punkten kreuzen sich die Pfade. Die von FX produzierte Show "Fargo" ist keine inhaltliche Neudeutung des gleichnamigen Klassikers von Joel und Ethan Coen im Format "Serie", sondern eine Annährung in Sachen Atmosphäre, Ästhetik, Setting, Stil und Typenzeichnung.
Hier wie da: Eine Kleinstadt in Minnesota im niemals enden wollenden Winter, merkwürdige Zwischenfälle, komische Käuze. Die Stadt Fargo selbst ist in beiden Fällen nicht Hauptschauplatz, sondern ein häufig in Gesprächen erwähnter Außenposten. Die Gebrüder Coen fungieren bei der Herstellung der Show als kaum mehr als pro forma Produzenten auf dem Papier, mischen sich nicht ein und haben wenig mehr als den Namen beigesteuert. Freilich abgesehen von einem ganzen heiligen Werk-Kosmos, an dem sich die Macher der Serie abarbeiten.
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Es ist gerade so, als hätte Noah Hawley, der Erfinder und alleinige Autor der Show, vor geraumer Zeit im Fieber den Original-Film der Coen-Brothers geträumt, nach Erwachen die Färbung und die Eckdaten verschwommen erinnert und die verbliebenen Lücken mit eigenen Plots und merkwürdigen Vögeln ausstaffiert. Wenn ausnahmsweise einmal, wie das in Episode 4 geschieht, in "Fargo", der Show, eine tatsächliche, ausdrückliche Verbindungslinie hinüber in die Realität von "Fargo", dem Film, gelegt wird, dann haben wir es mit einer Überraschung zu tun, die einen erfreulichen Schock-Moment generiert - und nicht mit der Regel der Serie.
Es handelt sich bei "Fargo" um eine merkwürdige Mischform aus Spin-Off, Hommage und Sequel, die sich nicht anhand spezifischer Charaktere oder von Handlungssträngen des Originals weiterhangelt, sondern durch Geographie, Themen und Quirks die Verwandtschaft herstellt. Eventuell wird in Anlehnung an die vielfach verhakten Franchise-Melkungen der Marvel Comics auch schon an einem eigenem Fargo-Universum gedoktert.
Bereits die erste Szene der ersten Episode wirft uns in altbekanntes Terrain. Bedrohung und eine nicht ganz fassbare leise komische Aufladung der Situation, nennen wir sie "schwarz", mischen sich. Ein Wagen braust einsam durch kälteste Nacht, im Kofferraum ein bis auf die Unterhose nackter Mann, der vergebens um Befreiung klopft. Wir ahnen es schon: Es wird nicht gut für ihn ausgehen.
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Unterdessen gibt Martin Freeman als schusseliger Versicherungskaufmann Lester Nygaard drüben im verschlafenen Städtchen Bemidji den Wiedergänger von William H. Macys Figur aus dem Kinofilm: Ein verklemmter Durchschnittstyp, ohne Verve und Elan, der Job ist eine einzige Durststrecke. Wo William H. Macy im Vorbild unter der Geringschätzung und dem Erfolgsdruck des Schwiegervaters sowie finanziellen Nöten zu leiden hatte und so in Folge die letztlich misslungene Entführung seiner Ehefrau orchestrierte, da steht in der Show Freemans unsicherer Lester vor allem unter der Fuchtel seiner Gemahlin. Versager im Beruf, unfähig die Waschmaschine zu reparieren, vom Bett gar nicht zu sprechen.
Schnell sieht sich Lester in diverse Todesfälle verwickelt, an denen er nicht ganz unschuldig ist. Die Cops in der Provinz (vor allem: Bob Odenkirk) kümmern sich lieber mit Herzblut um das Wetter- und Verkehrs-Management sowie die Besorgung neuer Schneepflüge, als den Morden allzu professionell nachzuspüren. Einzig Deputy Molly Solverson riecht, dass etwas faul ist und der gute Lester vielleicht doch etwas zu verbergen hat. Die großartige Neuentdeckung Allison Tolman spielt diese gewitzt-bauernschlaue, mal liebenswert-naive Solverson wiederum als eindeutige Neuauflage von Frances McDormands Part im Spielfilm. Jedoch mit genügend Eigenleben und Aura.
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Die erste Episode von "Fargo" gestaltet sich also zunächst tatsächlich als bloß geringfügig justierte Adaption des Originals und etwas formelhaft, um dann schleichend immer weiter vom Gleis abzukommen. Eine Figur, die im Film aus dem Jahr 1996 zwar keine eindeutige Entsprechung hat, jedoch klar aus der Fantasie der Coens abmodelliert scheint, tritt in Gestalt von Billy Bob Thornton auf den Plan: Ein undurchsichtiger, dämonen-hafter Killer, Herkunft und Absichten ungewiss. In seiner Figur vereinen sich Witz und Gefahr. Selbstgefällig grinst er und, wenn ihn ein Kontrahent im Motel besucht, um ihm mal so richtig die Leviten zu lesen, setzt sich Billy Bob Thornton erst einmal, während er dem Gegenüber ungerührt ins Gesicht blickt, seelenruhig auf die Toilette und verrichtet sein Geschäft bei geöffneter Tür, um zu verdeutlichen, wie brennend interessiert er gerade an Einschüchterungsversuchen ist.
So ist "Fargo" von allerlei Charakteren bevölkert, die zu vordererst eben bloße "Typen" sein wollen: Zwei verblödete Teenager-Bully-Brüder, ein schwerreicher Supermarkt-König (Oliver Platt), der sich von der Rache Gottes verfolgt glaubt, oder zwei Killer aus der fernen Stadt, einer smart, einer hart, die sich in Gebärdensprache miteinander unterhalten. Letztere, "Mr. Numbers" und "Mr. Wrench", darf man sich freilich ohne große Mühe als Reboot des Duos Steve Buscemi/Peter Stormare vorstellen oder kann sie sich problemlos in einen frühen Tarantino-Rip-Off hineinimaginieren.
Die Dosierung dieser cartoonhaften Überzeichnung und die Stereotypen-Führung gelingt den Machern von "Fargo" ganz ausgezeichnet. Dem gegenüber stehen aufschürfende Suspense-Momente, kleine Augenblicke von Trauer und Szenen von Ernsthaftigkeit. Zwischen all den witzigen Scherenschnittfiguren ist hier neben Allison Tolmans Deputy Solverson vor allem Colin Hanks als Officer Gus Grimley in seiner Rolle als tatsächlicher Mensch, vielschichtig, nachvollziehbar und mitunter bemitleidenswert zu begreifen. Der ewige Sohn Colin Hanks hat mit diesem Part als alleinerziehender, nachdenklicher, ein bisschen tollpatschiger und immer das Gute wollender Cop, der um seine Schwächen weiß und immer ein wenig enttäuscht von sich selbst aus der Wäsche schaut, die Rolle seines Lebens gefunden.
"Fargo" ist so in bislang fünf Episoden auf vielen Ebenen erfolgreich gewesen. Albernheit, Brutalität, Verwirrung und starke Charaktere. Mystery und Misery, Spannung, Klamauk und die Kenntnis darüber, wie man formschöne Löcher in die Eisdecke über dem See sägt, um darin schwuppdiwupp die Leichen verschwinden zu lassen.