Erstellt am: 20. 5. 2014 - 14:43 Uhr
Bloß keine Ohnmacht
Crossroads - Festival für Dokumentarfilm und Diskurs, 21. Mai bis 1. Juni, Forum Stadtpark, Graz.
Aktivismus kann einen aufregen. Etwa, wenn Festival-Schwerpunkte sich lesen wie Proseminar-Titel oder ein eventuell leicht paranoider Vater von Dreien seinen Kleinkindern die Zutaten des Nachtischs vorliest. Beides begegnet einem beim Crossroads, dem Festival für Dokumentarfilm und Diskurs, das zum dritten Mal in Graz stattfindet. Und es ist großartig. Denn nach der ersten Abwehrreaktion wird man neugierig. Der besorgte Familienvater wird noch "GMO" erklären. GM was? Genau: genetisch veränderten Organismus. Wenn der Familien-Van vor das Monsanto-Headquarter vorfährt und die Dame beim Empfang bereits vorgewarnt ist, beginnt ein Film, der klüger macht. Die Festival-Schwerpunkte dienen der Orientierung.
22 internationale Filme, die Mehrheit 2013 fertig gestellt, und Premieren hierzulande, zeigt das Crossroads Festival. Kombiniert sind die Vorführungen mit einem Rahmenprogramm lokaler Initiativen. Vier Empfehlungen.
Alles ist erleuchtet
15-jährige Burschen lesen Pornokategorien vor. "In Real Life" fängt schon gut an. "Have we outsourced our children to the internet? And if yes: Where are they and who owns them?" fragt sich die Britin Beeban Kidron. Erst hat die Regisseurin Jugendliche in öffentlichen Verkehrsmitteln gefragt: Wie kannst du Facebook checken und Hausaufgaben machen? Kennst du die Person, mit der du per Instagram hin- und herschreibst? Das Schulterzucken der Teenies mit Smartphones war der Ausgangspunkt.
Kidrons Doku ist eine Kombination aus geradlinigen Interviews in Jugendzimmern über das sogenannte "Online-Verhalten" und ein bisschen Sendung mit der Maus über das Internet. ExpertInnen geben sich selber meta und erklären, was Smartphones mit uns machen. Doch "In Real Life" vermeidet den Kardinalfehler: Gar nicht blöd und vor allem nie aus der altklugen, anklagenden Position heraus wird hier Kommunikation beleuchtet. Die Doku ist auch eine schöne Ergänzung zu Spike Jones' "Her". 150 bis 200 Mal am Tag schaut man im Durchschnitt auf sein Smartphone. Da ist es mal wieder Zeit für die größere Leinwand.
Dogwoof
Maschinenmenschen und Tierfabriken?
Das Crossroads Festival verlangt keine fixen Eintrittspreise, gibt jedoch Empfehlungen für Unkostenbeiträge.
Wie unterscheiden wir Menschen uns von den Maschinen? Das beschäftigte schon René Descartes im 17. Jahrhundert. Der entseelte die Natur und schrieb dem Menschen den metaphysischen Vorzug der "raison" zu. Das Tier ist nach Descartes nichts anderes als eine Maschine, wenngleich auch "eine unvergleichlich besser konstruierte", die "weit wunderbarere Getriebe in sich birgt als jede Maschine, die der Mensch erfinden kann". Dieser kleine Exkurs zurück in der Geistesgeschichte drängt sich auf bei "The Ghosts In Our Machine".
Da trifft man eine, die in ihrer besonnenen Art überrascht und einen sofort für sich gewinnt: Jo-Anne McArthur ist 36, Kanadierin und nimmt sich selbst als Kriegsreporterin war, die Veränderung dokumentiert. Die Fotografin arbeitet weltweit. Sie dringt in finnische Pelztier-"Farmen" ein, spürt den Handel mit Affen auf, die in Laos gefangen nach Kambodscha transportiert und dort nach China verschickt werden. "To leave is the hardest part", sagt McArthur. Möglichst spurlos kommt und verlässt sie die Anlagen. "So sorry". Kein Käfig wird geöffnet, das würde das System nicht ändern. Fotos wirken schneller als Kampagnen, Versuchslabore fürchten einen Image-Schaden weit mehr als Sachschäden.
The Ghosts in our Machine Liz Marshall 2012
"It's an invisible war. It's a war against animals"
"The Ghosts In Our Machine" ist ein spezieller Film zur Thematik Rechte für Tiere. Regisseurin Liz Marshall porträtiert Jo-Anne McArthur und über sie industrielle Mensch-Tier-Beziehungen und die Branche der Pressefotografie. Vor grausamen Bildern muss man sich nicht allzu sehr fürchten: Der Horror bleibt - zumindest im Film - verborgen. Beagle Maggie hat ein dickes Dossier an Versuchsprotokollen aufzuweisen und traut sich keine Stiege zu steigen. Beagles sind aufgrund ihres unaggressiven Wesens zu den beliebtesten Versuchshunden geworden. "Ich fotografiere nicht Tiere, sondern die Umstände, in denen sich Tiere verursacht durch Menschen befinden", so McArthur.
The Ghosts in our Machine Liz Marshall 2012
Chai Latte? Diesmal: nein danke
Den nächsten Milchkaffee spart man sich dennoch nach dieser Doku. Am 24. Mai findet ein veganer Koch-Workshop am Crossroads statt. Auf der Terrasse des Forum Stadtpark sprießen Tomatensorten. "Crossroads"-Initiator und Kurator Josef Obermoser hegt die Pflänzchen. Etliche der samenfesten Sorten hat er aus den USA, bestellt online.
Die geplante Saatgutverordnung der EU wurde im Jänner auf Eis gelegt. Doch die Saatgutindustrie lobbyiert weiterhin.
"In den USA braucht man meines Wissens nach keine Zulassungen für alte oder samenfeste Sorten, die gezüchtet werden. Deshalb gibt es große Vielfalt, etwa bei den Tomatensorten", sagt Josef Obermoser. "Andererseits beherrscht das Nahezu-Monopol der großen Saatgutkonzerne und massiver Einsatz von Gentechnik und Chemie den landwirtschaftlichen Anbau gerade in den Vereinigten Staaten wie nirgendwo sonst."
Das geplante Handelsabkommen TTIP steht am Freitag, 23. Mai, beim Crossroads im Fokus.
Genau hier tritt Jeremy Seifert auf den Plan. Der Amerikaner wurde für eine Doku über Food Diving mehrfach ausgezeichnet. Der Familienvater vermutet krebserregende Stoffen in allen Produkten, er ist alert und mehr als das. "GMO" beschäftigt ihn immens: 85 Prozent des Getreides in den USA sind genetisch verändert. Über fünfzig Prozent des Saatgut-Marktes weltweit gehören drei Konzernen.
Jeremy Seifert packt den Van, Frau und Kinder. Warum die Bauern in Haiti das Geschenk der Firma Monsanto nicht annehmen wollten und Saatgut demonstrativ verbrannten? Doch warum in den USA dennoch selbst die größte Supermarktkette für "organic food" kaum ein Produkt ohne GMO im Regal hat? Seifert hat viele Fragen - und will Antworten einholen. Seine Doku ist ein Best-of amerikanischer Lebensmittel-Dokus und fasst komplexe Zusammenhänge in ein unterhaltsames Format. Danach könnte man den Drang verspüren, all diesen präsentierten Fakten nachzugehen.
GMOfilm.com
Roadtripping
Weit mehr low budget, lieb studentisch machen sich in "Growing Cities" zwei andere junge Männer aus Omaha, Nebraska, auf: Einen Sommer lang besuchen sie Gemeinschaftsgärten den Küsten entlang und quer durch die USA. Wer aus Omaha kommt, hört natürlich Bright Eyes, viel Folk und glaubt, seine Stadt ist ein Kaff. Kurzum: Sehr sympathisch und schließlich gar nicht naiv, zeigen Dan Susman und Andrew Monbouquette, was Gemeinschaften aus Gärten ziehen können.
Am Sonntag radeln Neugierige zu den Grazer Gemeinschaftsgärten, um im Hochsteingarten Einkehr zu halten. Als Gast könnte man den Hügelbeetbau bewundern, die Gemeinschaftsgärtner berichten.
Von Ziegen an der Leine im kalifornischen Berkeley, die der Besitzer nur im Scherz "Breakfast, Lunch, Dinner" ruft, zu einer leerstehenden Fabrik in Chicago, die als Gewächshaus umfunktioniert neue Arbeitsplätze schaffen soll zur Gärtnerei, die Obdach- und Arbeitslosen, Ex-Drogensüchtigen und verurteilten Straftätern Jobs gibt.
Auf der Website des Films findet sich eine Karte, die Gartenprojekte verzeichnet. Die Vorstadtrasen in fruchtbare Gärten zu verwandeln hat in den USA Tradition: Während des Ersten Weltkriegs propagierte die Regierung wie heute die Filmemacher: "Grow food in the space you have".