Erstellt am: 19. 5. 2014 - 16:38 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 19-05-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
#eu-wahl
Es kann doch nicht nur am Dagegensein liegen, an der Lust am Sündenbock-Ausmachen für das Unbill des eigenen Lebens - und sie so weit weg wie möglich zu schieben. Nicht mehr auf Gott oder Götter (das wäre unzeitgemäß und zudem íst auch das Gegenteil davon, das Sich-Berufen auf seine Götter gerade mehr hip), sondern auf die ferne Macht, die alles lenkt und also auch für alles zuständig ist was schiefläuft. Beziehung im Arsch, Scheiß-Job, jüngst wieder keine Zivilcourage aufgebracht? Schuld ist dieses Ding da.
In unserem Fall heißt das Ding Brüssel (in anderen anders; dazu gleich). Dass Brüssel, also die EU, also die europäische Union, also der Zusammenschluss der europäischen Nationen zu einem international ernstgenommenen ökonomischen und (partiell) politischen Player, das das kein abstrakter Golem ist, sondern von den Einzelnationen beschickt wird, und nur im Kollektiv bestimmen darf (wer vetot, verhindert, mehr demokratisch geht gar nicht - das ist so basisdemokratisch, dass sich die linken EU-Kritiker oft schamvoll dran erinnert und ertappt fühlen, dass sie das in ihren Reihen praktisch nie schaffen).
Wieso können also die einzelnen Nationalstaaten (denn es sind nicht nur die EU-Kritiker aus der Reihen der rechten nationalistischen Recken und isolationistischen Ökonomen, die den Schmäh benützen, sondern letztlich auch die allermeisten Regierungen) ihrem Wahlvolk erfolgreich einreden, dass sie selber und das böse Brüssel zwei ganz verschiedene Paar Schuhe sind? Sind sie nämlich nicht. Brüssel, die EU, die Gemeinschaft existiert außerhalb der nationalstaatlichen Beschickung nicht.
Es wird wohl (auch, vielleicht unterschwellig hauptsächlich) mit der Nicht-Beantwortung einer Frage zu tun haben, die in den letzten Tagen um mich herumgeschwirrt ist wie ein verwirrtes Vögelein auf der Suche nach Nektar im Regenwetter. Die Frage nämlich, was dieses Europa im Grunde ist, also wo es denn hin will; was sein Ziel, seine im Herzen knospende Vision, die Wunschvorstellung im rosablauen Tagebuch denn sei.
Ich für mich glaube das zu wissen, ganz ohne fremde Tagebücher gelesen zu haben. Ich denke, dass es um das Fernziel der Vereinigten Staaten von Europa geht, die USE also. Ob mit oder ohne Russland, der Türkei und anderen Grenzfällen in geographischer, politischer und menschenrechtlicher Hinsicht, ist da ganz egal. Eine politische Generalvertretung, ein wirtschaftlich sozial organisiertes Konglomerat, das sich auf Basis seiner Stärke gegen die globale Finanzwirtschaft behaupten kann.
Gut, ich bin ein Kind des naiven, reinen europäischen Gedankens, der im Petting statt Pershing-Zeitalter sozialisiert wurde und dem vor Blockbildungen jeder Art samt Feindbild-Aufbau immer noch gruselt (wie aktuell sowohl die Kriegshetzer gegen Russland als auch die Montagsdemonstranten).
Und ich sehe trotz aller Unterschiedlichkeit sprachlicher und mentalitätsbedingter Natur keine echten Hindernisse. Wie stark Jurisdiktion, eine eigene Innenpolitik und regionale Wirtschaftsstandorte nationalstaatlich bleiben können, zeigt das Musterbeispiel der USA ja vor. Gut, dort spricht man wenn nicht die gleiche, dann doch eine sehr ähnliche Sprache, aber es sind auch nicht mehr Kompetenzen, die die Bundesstaaten an Washington, ihr Brüssel, ausgesourct haben. So richtig ist es nur die Außenpolitik. Wie schwer bis unmöglich es etwa ist eine gemeinsame sozialpolitische Richtlinie durch/umzusetzen haben wir ja in den letzten Jahren gesehen. Was die USA strukturell schaffen, werden die USE ja wohl auch hinkriegen. Und viel mehr soll es ja auch nicht sein.
Im Übrigen ist das US-amerikanische Gekoffere gegen Washington, ihr Brüssel, ebenso absurd, gehirnamputiert und realitätsfern wie das unsere. Auch die Washingtoner Bürokratie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wird von den Bundesstaaten beschickt, gespeist. Washington, das sind sie alle. Und im Gegensatz zu Brüssel gehen, nein, drängt es die besten Kräfte dorthin. Solange es in Europa, in Österreich üblich ist, gescheiterte Minister oder erfolglose Kandidatinnen zu schicken, also die zweite, dritte Linie, wird Brüssel natürlich weiterhin Washington rein intellektuell nicht das Wasser reichen können. Aber laut einigen Lippenbekenntnissen bessert sich das eh gerade.
Also: Ich kann nur diese Vision erkennen. Read my lips: there is no alternative. Learn to love her.
Klar, aktuell tauchen ein paar Nenn-Schwestern von Tina auf und spielen mit ihren Reizen. Dass diejenigen, die nicht nur Rechtsrechte, Freunde der Autarkie und andere der Wahnvorstellung der neue Noah zu sein und eine neue Arche bauen zu müssen Verfallene um sich scharen und eine Neo-Nationalismus ausrufen, sich dabei just auf die autoritären Regimes in Russland oder der Türkei beziehen, ist ein feiner Spin, der (man möchte sagen: endlich!) die EU-Gegner am rechtsnationalen und linksaußenen Rand zu einer Einheit verbindet.
Das war überfällig und bündelt die freien Kräfte, die nicht wissen wohin mit ihrer an sich unideologischen Energie, gezielt gegen ein noch nicht erkennbares Konzept der Gemeinsamkeit, indem es Sehnsuchtsräume nach der einfachen Prä-Euro-Welt öffnet und so geschickt Blut&Boden (egal welcher Prägung, letztlich war auch die Sowjetunion ideologisch krypto-faschistisch) einsickern lässt.
Dazu kommt noch eine andere Idee, die neoliberale, die flügelverleihende. Weg mit dem Staat, weil Vorschriften und Gesetze und Mindestlöhne und soziale Standards und anderes nichtunternehmerfreundliches Gacki - hin zum Start-Up-Staat. Derlei existiert de facto eh schon: in den Boomtowns am Golf.
Natürlich haben alle Jammerer in einem Punkt recht: auch wenn es, angesichts der Konkurrenz, ganz offensichtlich ist - es wäre wegen der Anreiz-Setzung. Tina nicht nur deshalb küssen zu wollen, weil die anderen grauslich sind, sondern auch deshalb weil sie die ihr innewohnende Attraktivität auch nach außen transportieren kann.
Wegen mir warat's ned. Aber ich kann verstehen, dass die durchschnittlichen EU-Bürger gern überzeugter wären. Und ich könnte mir vorstellen, dass ein echtes Bekenntnis zu einem zukünftigen gemeinsamen Europa was dazu beitragen könnte, Weil darunter kann man sich was vorstellen (wenn auch jeder was anderes) - im Gegensatz zum diffus-schwammigen Nichts, in das am nächsten Sonntag hineingewählt werden wird.