Erstellt am: 18. 5. 2014 - 18:00 Uhr
Neue TTIP-Verhandlungsrunde startet kontroversiell
Am Montag startet die fünfte Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA in Washington. Die Erwartungen der Beobachter sind ausgesprochen niedrig, denn am Donnerstag waren erstmals erhebliche Differenzen über das Abkommen von den Verhandlern öffentlich ausgetragen geworden.
Auf einer Pressekonferenz am Rande des "European Business Summit" in Brüssel betonte Handelskommissar Karel de Gucht, dass der Sektor Finanzdienstleistungen seitens der EU als wichtiger Bestandteil dieser Vertragsverhandlungen gesehen werde. Der Botschafter der USA bei der Europäischen Union Anthony Gardner stellte aber sofort klar, dass die US-Seite keinerlei Regelung für Finanzdienstleistungen in diesem Vertrag haben wolle.
Finanzdienstleistungen ausgenommen
Der Grund für diese ziemlich fundamentalen Differenzen zwischen den Europäern und ihren US-Gegentparts ist offensichtlich. Zwar war die Finanzkrise in Europa, die den Euro monatelang wanken ließ, großteils hausgemacht, die aggressiven Wetten vor allem von "Finanzdienstleistern" aus den USA aber hatten die Krise in Europa erst richtig eskalieren lassen. Hier wäre es natürlich im europäischen Interesse, einem derartigen Ausufern künftiger Krisen durch ein Handelsabkommen mit den USA vorzubeugen, das etwa den Einsatz bestimmter Finanzinstrumente gerade in einem solchen Fall beschränkt.

dpa/Boris Roessler
Die USA aber haben wegen ihres mächtigen Finanzsektors überhaupt kein Interesse an Beschränkungen. Immer dann, wenn es starke Schwankungen gibt - egal ob der Gesamttrend dabei aufwärts oder abwärts geht - fallen im Finanzsektor ungewöhnlich hohe Gewinne an. Das betrifft Börsenkurse, Währungen wie Rohstoffpreise, bei der Auf- oder Abwertung ganzer Volkswirtschaften in Zusammenhang mit der Bonität des jeweiligen Staats ist noch wesentlich mehr zu holen, weil es um höhere Geldvolumina geht.
Unverbindliche Bankenregulation
Gardner verwies dabei auf die Gespräche im "Basler Ausschuss zur Bankenregulation", der Richtlinien und Empfehlungen für weltweite Standards in der Bankenaufsicht ausarbeitet. In deren Umsetzung seien die USA bereits wesentlich weiter vorankommen als Europa, so der US-Botschafter in Brüssel.
De Gucht verwies indes darauf, dass gegen die Umsetzung der Basler Empfehlungen in US-Gesetze dort mehrere Klagen anhängig seien. Die Beschlüsse des "Basler Ausschusses" sind überdies bloße Empfehlungen, die keinerlei rechtliche Bindungen zur Folge haben.

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Anwaltskanzleien als Richter
Diese unterschiedlichen Ansichten sind keineswegs nur auf den Finanzsektor beschränkt. Gerade im von Beginn an umstrittensten Punkt des TTIP, dem sogenannten Investorschutzverfahren, sind die Ansichten ebenfalls konträr. Ausländischen Investoren sollte dadurch die Möglichkeit gegeben werden, Regierungen wegen entgangener Gewinne zu verklagen, wenn sie in einem Bieterverfahren um einen Großauftrag benachteiligt oder ausgeschlossen werden.
Ebenfalls kurz vor Beginn der fünften Verhandlungsrunde wurde eine akademische Studie veröffentlicht, die Gemeinsamkeiten, vor allem aber die großen Unterschiede in den Ansätzen für Regulationen dies- und jenseits des Atlantik untersucht.
Letzte Instanz sind dabei nicht ordentliche Gerichte, sondern sogenannte "Arbitration Courts", wobei diese Verfahren ohne Richter auskommen und hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden. Den Richtspruch sollen nämlich internationale Anwaltskanzleien fällen, die auf derartige Verfahren spezialisiert sind.
Einigkeit bei Kritikerkritik
Transatlantische Einigkeit gab es nur in einem anderen Punkt, nämlich dass die Kritiker des Abkommens Unwahrheiten bis offene Lügen über das Abkommen verbreiten würden. Aktuell bezog sich das auf eine Demonstration unweit des Gipfels in Brüssel, die von einem massiven Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern aufgelöst wurde.
Ein Teil der Demonstranten hatte an den Grenzen der Bannmeile um den Tagungsort nicht haltgemacht, obwohl es dabei seitens der Demonstrierenden zu keinerlei Ausschreitungen kam, reagierte die belgische Polizei laut Augenzeugen ziemlich brutal. Etwa 250 Demonstranten wurden verhaftet, mit Kabelbindern gefesselt und stundenlang festgehalten, auch mehrere Parlamentarier waren dabei. Das zeigt den Grad an Nervosität, die mit dem Näherrücken der Wahlen zum EU-Parlament kontinuierlich gestiegen ist.
Mehr Transparenz abgelehnt
Die breite Kritik an TTIP richtet sich ja nicht gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA per se, sondern gegen die damit einhergehende Geheimhaltungspolitik. Zwar hatte die Kommission in der vergangenen Woche mit der Veröffentlichung mehrerer EU-Positionen in den Bereichen Chemikalien, Pharmaproduktion, Autobau und Textilien hier guten Willen zur Transparenz vorgegeben.
Die von der EU-Seite nunmehr in Auszügen veröffentlichten Themenpunkte der Verhandlung sparen freilich die besonders sensiblen und daher umstrittenen Bereiche wie Ernährung, Umwelt oder die medizinische Versorgung aus
Ein Vorstoß von Deutschland, Frankreich, Belgien und Österreich im EU-Ministerrat, das Verhandlungsmandat des Rats für die EU-Kommission wenigstens in Teilen offenzulegen, war dort jedoch an einer großen Mehrheit von elf Mitgliedsstaaten gescheitert.

Europa Parlament
Ein EU-Parlamentsbeschluss für mehr Transparenz bei internationalen Verhandlungen liegt dem Ministerrat bereits seit 2011 vor, behandelt wurde er dort jedoch bis dato nicht. Dieser Parlamentsbeschluss sollte die aus dem Jahr 2001 stammenden, völlig unzureichenden Transparenzregelungen auf den neuesten Stand bringen, denn die Befugnisse des Parlaments waren durch den Vertrag von Lissabon deutlich ausgeweitet worden.
Nicht-öffentliche Verhandlungsmandate
"Es war eine endlose Auseinandersetzung", erinnert sich die scheidende Abgeordnete Eva Lichtenberger (Grüne), damals Berichterstatterin für den Justizausschuss des Parlaments in dieser Angelegenheit. Während es anfangs recht gut ausgesehen habe, sei der "Prozess beim Fortschreiten immer mehr verengt worden".
Das offizielle Datenblatt zur Transparenzinitіative des EU-Parlaments von 2011 zeigt, dass der Rat sich drei Jahre lang nicht dazu entschließen konnte, den Beschluss zu einer erster Lesung zu bringen. Die Hintergründe schildert diese Tiefenanalyse von Andre Rebentisch
Das Argument von Seiten der Kommission und des Ministerrats, mit der Verröffentlichung des Mandats würden die Positionen der Union auch gegenüber den Verhandlungspartnern offengelegt, kann die langgediente EU-Parlamentarierin nichts abgewinnen. In der Regel seien die Verhandlungsmandate des Rats überhaupt nicht so detailliert gehalten, dass sich Positionen zu einzelnen, zu verhandelnden Fragen für die Gegenseite ablesen ließen.

APA/Georg Hochmuth
Unspektaktuläre Geheimnisse
Um Einsicht in das vom Rat erteilte Mandat zum sogenannten "Treaty für the Blind" zu nehmen, habe sie insgesamt 16 Versuche gebraucht, sagte Lichtenberger. Die Einsichtnahme in das entsprechende Dokument habe dann in einem besonderen Raum unter Aufsicht zweier Beamter stattgefunden, auch Notizen seien nicht erlaubt gewesen. Das Resultat war nicht spektakulär, denn "das Verhandlungsmandat selbst war wesentlich allgemeiner gehalten, als ich angenommen hätte", so Lichtenberger.
Beim entsprechenden Vertrag war es keineswegs um milliardenschwere Handelsgeschäfte gegangen, sondern um bloße Ausnahmeregelungen für die speziellen Hörbücher der weltweiten Blindenverbände vom internationalen Copyrightsystem. "Es herrscht immer dasselbe rigide System, wenn der Rat ein Mandat an die Kommission für internationale Abkommen erteilt", sagte Lichtenberger abschließend.
Im Juli 2013 wurde der Zugang zu den globalen Beständen an Hörbüchern für Blinde länderübergreifend freigegeben. Nicht nur im deutschen Sprachraum vervielfacht sich damit das Angebot an Buchtiteln für Sehbehinderte.
Legistische Schnellsiedeverfahren
Dasselbe Geheimhaltungsprinzip waltet auch über den Verhandlungen zum TTIP-Freihandelsvertrag und es stammt ursprünglich aus den USA. Auch dort erhalten nur ausgewählte Kongressabgeordnete temporär Einsicht, alle internationale Handelsverträge des vergangenen Jahrzehnts wurden über ein- und dasselbe "Fast Track"-Verfahren im Kongress abgewickelt.
Dieser legistische Schnellsiedeprozess erlaubt den Abgeordneten beider Häuser im Kongress nur, nach Abschluss der Verhandlungen mit "ja" oder "nein" zu stimmen. Seit Monaten ist nun klar, dass ein solches Verfahren für TTIP wenigstens bis Herbst 2014 ausgeschlossen ist, das hatten die Fraktionsführer der Demokraten im Kongress bereits angekündigt.
Furcht um Arbeitsplätze in den USA
In diesem Herbst wird in den sogenannten "Mid Term Elections" ein Teil der Abgeordneten in den USA neu gewählt und hier haben gerade die Demokraten allen Grund, sich von den TTIP-Verhandlungen zu distanzieren. Ein großer Teil ihrere Stammwählerschaft besteht aus Industriearbeitern, die alle Grund haben, um ihre Arbeitsplätze zu fürchten.
Fallen die bestehenden Importbarrieren auf dem Autosektor - vor allem Pick-Ups und alle anderen Kleintransporter sind mit prohibitiv hohen Importzöllen belegt - dann ist davon auszugehen, dass Europas technisch weit überlegene Autoindustrie dort weite Teile des Markts übernehmen wird.
Zeitfenster bis Ende 2015
Für die TTIP-Verhandlungen, die auch in Europa immer stärker in die Kritik kamen, je näher der EU-Wahltermin rückte, ist damit ein Zeitplan vorgegeben, innerhalb dessen sie abgewickelt werden müssen. Sowohl EU-Handelskommissar Karel de Gucht wie auch sein US-Gegenüber waren sich in dem Punkt einig, dass dieses Zeitfenster nur bis Ende 2015 offenstehe, also bis zu Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA.
Was implizit damit als gegeben eingestanden wurde, ist nichts weniger als die Gültigkeit des Hauptarguments der Kritiker: Dass nämlich ein Verhandlungsprozess wie der um das Freihandelsabkommen TTIP mit dem Prinzip freier und offener Wahlen nicht kompatibel ist.