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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

18. 5. 2014 - 13:57

Götterdämmerung

Godzilla ist zurück: Ein ganz persönlicher Kniefall vor dem wichtigsten Monster aller Zeiten.

fm4.ORF.at/film

Kinorezensionen, Schauspielerporträts und das Schaffen der Regisseure

Ich gebe zu, ich bin befangen. Wenn ich mich in meinem Arbeitszimmer vom Computer wegdrehe, starrt mich eine ganze Galerie von Monsterfiguren an, die auf dem Regal thronen. Da ist King Kong, komplett mit kleiner blonder Frau in der Pratze, die Riesenschildkröte Gamera, das mottenartige Wesen Mothra. Mittendrin, in mehreren Inkarnationen, steht der König. Der Urzeitgigant. The one and only Godzilla.

Begonnen hat meine ungebrochene kindliche Verehrung für dieses übrigens im modernen Sinn geschlechtsneutrale Monster in der Kindheit. Verlässlich begleitete mich meine Mutter jeden Sonntag Nachmittag bis an den Einlass des kleinen steirischen Provinzkinos, das von der Volksschulzeit an zum (Alb-)Traumort und Paradies mutierte. Drinnen, im Dunkel des Saals, der nach vergilbter Filmgeschichte roch, warteten dann unglaubliche Versprechungen.

Während ich zittrig ein Packerl Sportgummi öffnete, regierte auf der Leinwand nackte Panik. "Achtung, hier spricht das Militär. Eine dringende Durchsage an die Einwohner von Tokyo! Soeben wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Bitte verlassen sie schnellstens ihre Häuser und Wohnungen!" Dann ertönte er, der unverkennbare, gänsehauterzeugende Schrei. Die mächtigen Zacken am Rücken rückten ins Bild. Spielzeugpanzer schmolzen. Wolkenkratzer stürzten. Rivalisierende Saurier-Kollegen heulten. Es war wunderschön.

Frankensteins Monster

Toho

Son of Godzilla (1967)

Infantile Kaiju Eiga Fantasien

Um die Vorfreude auf die sonntägliche Wallfahrt zu schüren, den Besuch in der Church of Godzilla, wurden zuhause aus Kartons kleine bemalte Städte errichtet und rituell zertrampelt. Oder die Aushangfotos vor dem lokalen Tonlichtspiel, wie sich unser Kleinstadt-Kino nannte, ewig studiert. Ich weiß, dass es anderen Old-School-Fans wie dem Berliner Regisseur Jörg Buttgereit oder dem texanischen Filmblogger Harry Knowles ähnlich erging.

Wir alle lebten für den Moment, wo sie in Zeitlupe aus dem Studiomeer tauchten, hinter Felsen aus Pappmaché erschienen oder durch Miniatur-Häuserschluchten torkelten: Gewaltige prähistorische Kreaturen, die gar nichts mit Frankenstein zu tun hatten, auch wenn ihnen das die liebevoll-bizarre deutsche Synchronisation einreden wollte. Das Kaiju Eiga Genre, begründet vom japanischen Filmstudio Toho, machte die Leinwand zum Schlachtfeld für irrwitzigste Geschöpfe und zum Abenteuer-Spielplatz für die infantile Fantasie.

Dabei stand am Anfang heiliger Ernst und der Fokus auf ein erwachsenes Publikum. 1954 kreierte der Regisseur Ishirō Honda eine düstere Antwort auf amerikanische Monster-Kassenknüller. "Gojira" (zu deutsch: Gorillawal) traf einen kollektiven Nerv Nippons: eine radioaktiv verseuchte und alles zerstörende Sauriermutation wurde zur Verkörperung des nationalen Atombombentraumas. Der Film geriet zum Riesenerfolg, der dafür sorgte, dass Godzilla eine strahlende Zukunft vor sich hatte.

Godzilla

Toho

Godzilla (1954)

Ein häuserzerstampfendes Pop-Phänomen

Honda-san, ein enger Freund und zeitweiliger Assistent des Cineastengurus Akira Kurosawa, konnte danach seine eventuellen Kunstfilm-Ambitionen vergessen. Eine Legende war geboren und die Massen forderten Fortsetzungen. Immer neue Godzilla-Variationen wurden an die Film-Front geschickt, im Kampf gegen ein absurd wucherndes Ungeheuer-Universum.

Marschierte der monströse Star im Schwarz-Weiß-Debüt noch bedrohlich durch die Landschaft, zur Gänsehautmusik von Akira Ifukube, watschelte Gojira bald als häuserzerstampfendes Pop-Phänomen herum, das rund um den Globus exportiert wurde. Anfang der 70er Jahre hatte sich der atomare Alptraum vollends zum Freund aller Kinder gewandelt. Irgendwann war die Luft draußen und Toho lässt Godzillas Gummikostüm im Fundus verrotten.

Erst ein knappes Jahrzehnt später ringt sich die Company zu einem Comeback ihres Vorzeige-Sauriers durch. "The Return of Godzilla" wird zum Start einer Reihe moderner, zeitgemäßerer Tokyo-Plattmacher-Epen. Alles ist etwas raffinierter geworden, die Kamera, die Bauten, der Sound - nur eines glücklicherweise nicht: Unseren Godzilla spielt immer noch ein schwitzender Darsteller im Latex-Anzug. Der billige Charme der Serie, der naive Spaß an liebevoll nachgestellter Modellbau-Realität leben weiter.

Godzilla

Toho

The Return of Godzilla (1984)

Du sollst nicht dem falschen Godzilla huldigen

Zumindest solange, bis sich Ende der 90er die US-Firma TriStar die Rechte an der monströsen Ikone sichert und im Regiesessel ausgerechnet Roland Emmerich Platz nimmt. Erwartungsgemäß ignoriert Deutschlands seelenloser Regie-Export völlig die mythischen Qualitäten des Monsters, von dessen Aussehen ganz zu schweigen. Die schundige Magie mehrerer Jahrzehnte Kaiju-Kino ist plötzlich Geschichte. Aus funkelndem Camp-Pop-Kult wird ein überteuertes CGI-Wegwerfprodukt für Millionen.

Aber Toho hat Erbarmen mit allen GodzillistInnen. Während in Hollywood nach einem relativen Flop der Emmerich-Echse sämtliche Sequel-Pläne gecancelt werden, gibt es in Tokyo grünes Licht für weitere Stadt-Verwüstungen. Nachdem der Original-Godzilla im tränendrückenden Meisterwerk "Godzilla vs. Destroyah" als wandelndes Kernkraftwerk explodierte, stampft Toho einfach eine rundumerneuerte Serie aus dem Boden.

Finster und gemein, wie in den Anfangszeiten, präsentiert sich der Monsterkönig in "Godzilla 2000 Millennium" und auch ein wenig schlanker um die Hüfte als der mollige Nineties-Gozi. Wie in den Staffeln zuvor sind die Filme von höchst unterschiedlichem Unterhaltungswert. Spätestens mit "Godzilla, Mothra, King Ghidorah: All Monsters Attack" gelingt den japanischen Monstermachern aber ein herrliches Retro-Spektakel, in dem "The Big G" nicht nur alte Feinde/Freunde widertrifft. Die Techniker von Toho geben ihm auch seinen Knuddel-Look zurück.

Godzilla

Toho

Godzilla vs. Destroyah (1995)

Godzilla für eine neue Generation

Totzdem ist auch in Sachen japanischer Godzilla-Revitalisation irgendwann Schluss mit lustig. Die erwachsenen Fans, die mit ihren eigenen Kindern lange die Vorstellungen besuchten, bleiben aus und die lieben Kleinen wenden sich Videospielen und Animes zu. 2004 verabschiedet sich der heißgeliebte grüne Gigant mit dem übertrieben postmodernen "Godzilla: Final Wars".

Bis jetzt. Zehn Jahre später, pünktlich zum 60ten Jubiläum der Riesenechse, feiert Godzilla ein Comeback. Zum zweiten Mal taucht er über den Umweg Hollywood aus den Fluten des pazifischen Ozeans. Aber diesmal ist alles anders. Der junge britische Indieregisseur Gareth Edwards wird von der Legendary Company, der wir auch die Dark Knight-Trilogie verdanken, auserkoren, den Saurier einer neuen Generation näherzubringen.

Kein Wunder, dass auch die Chefs von Toho von der Wahl begeistert sind: Beim FM4-Interview in London entpuppt sich der Engländer mir gegenüber als Hardcore-Fan, der alle 28 bisherigen Godzilla-Filme auswendig kennt. Mit leuchtenden Augen schwärmt Gareth Edwards aber nur von einem Streifen: Der dunklen Originalversion von 1954, die ihm als Inspiration und Vorbild diente.

Godzilla

Legendary

Godzilla (2014)

Die Naturgewalt meldet sich zurück

Auch das bewusst mit jeglicher Ironie brechende Godzilla-Reboot anno 2014 steht für ein nukleares Trauma und menschliche Irrwege, erneut nimmt die Geschichte in Japan ihren Lauf. Das Wort "Fukushima" will Gareth Edwards aber doch nicht gerne in den Mund nehmen. Sein gigantomanisches Monster, das an Größe sämtliche bisherigen Godzilla-Inkarnationen überragt, personifiziert für ihn ganz generell die Gewalt der Natur und den Schrecken, der entsteht, wenn der Homo Sapiens seine Macht überschätzt.

Seine Liebe für riesige Kreaturen hat Gareth Edwards bereits in seinem Low-Budget-Debüt "Monsters" demonstriert, dessen Effekte er selber im Schlafzimmer-Studio kreierte. Aber auch wenn die wirklichen Monster für ihn stets die Menschen sind, gilt den letzteren seine große Aufmerksamkeit. Ohne Charaktere, mit denen man während der Zerstörungsorgien mitfiebert, ohne persönliches Drama, ohne intime Erschütterungen, macht ein Spektakel wie "Godzilla" keinen Sinn, erklärt Edwards.

Das klingt einleuchtend, funktioniert im Film selbst aber leider nicht durchgehend. Der eindringliche Bryan Cranston, der mit "Breaking Bad" Fernsehgeschichte schrieb, hinterlässt auch als besessener Wissenschaftler einen Eindruck inmitten des Getöses. Die Jungstars Aaron Taylor-Johnson und Elizabeth Olsen gehen dagegen im apokalyptischen Chaos eher unter. Auch der japanische Vorzeige-Schauspieler Ken Watanabe hat als schematisch skizzierte Figur nur wenig Gelegenheit, einen wirklich prägenden Eindruck zu hinterlassen.

Godzilla

Legendary

Godzilla (2014)

Happiness is submission to God (Zilla)

So sitzt man manchmal etwas unruhig im Kinosessel, weil Gareth Edwards, ganz im Sinne von Steven Spielbergs "Jaws", den monströsen Showdown besonders lange hinauszögert. Wenn es dann soweit ist - und das ist die euphorische Nachricht - dürften aber alle Fanherzen jubeln: Das gute alte Kaiju-Eiga-Feeling stellt sich wieder ein, obwohl die Gummianzüge ausrangiert wurden. Digital auf den neuesten Stand gebracht, sieht Godzilla wieder aus wie Godzilla, stampft wie Godzilla, schreit wie Godzilla.

Während einer besonders ergreifenden Szene, in der die ganze Zuneigung von Gareth Edwards für das Thema offensichtlich wird, werden meine Augen feucht und ich fühle mich zurückkatapultiert. In die Zeit der grotesken Latex-Masken, niedlichen Bastellandschaften und Luftangriffe von Airfix-Bombern, als der König der Monster für mich ein imaginärer Freund war, ein Held, fast ein Art Gott (Zilla).

Dieser Text ist Ishirō Honda, Jun Fukuda und Akira Ifukube gewidmet und natürlich meiner Mutter, die den Eintritt ins Reich der japanischen Fabelwesen erst ermöglichte.

Was kann ich nun allen Nicht-Initiierten raten, allen Kaiju-Eiga-Agnostikern und Monster-Novizen? Am besten beim Eintritt in den Kinosaal jeglichen Zynismus ad acta legen. In Godzillas Welt geht es um das kindliche Staunen, nicht ums Hinterfragen. Ein gelungener Godzilla-Film ist ein eskapistischer Gottesdienst, in dem Wunder geschehen. Und natürlich geht es um die "ungefilterte Lust am Kaputtmachen", wie ein Autor einmal notierte. "Um das also, was Achtjährige aller Alterstufen schon immer in diese Art von Filmen gelockt hat".

Godzilla

Toho

Destroy All Monsters (1968)