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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 5. 2014 - 22:19

The daily Blumenau. Friday Edition, 16-05-14.

WM-Journal '14, Eintrag 2: erste Fragen, erste Antworten.

Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Das WM-Journal '14 wird sich, wie seine Vorgänger zu Welt- und Europameisterschaften seit 2000 vorrangig mit den sportlichen Fragen beschäftigen - die auch heuer in Brasilien augenfälligen Umfeld-Probleme werden auf fm4.orf.at von anderen kompetenten Menschen behandelt.

Eintrag 1 war Dienstag, die fiktionale Bennenung des österreichischen WM-Kaders in der was-wäre-wenn-Fantasie.

#fußballjournal14

Ab heute wird es ernst. Heute gab die FIFA die provisorischen Kader der Teilnehmer bekannt, die bis zum 2. Juni auf die endgültigen 23 zusammengestrichen werden müssen. Seit heute ist es also Schluss mit unkonkreten Zuschreibungen, die man sich als Auch-irgendwie-Fan aus Gefühligkeiten, Glauben und Erfahrungen vergangener Turniere zurechtgelegt hat.

Seit heute weiß man, zumindest ungefähr, wer dieses Turnier bestreiten wird und wer fehlt; wer sich ab heute vor einer konkreten Analyse drückt, hat die Informationsgesellschaft nicht zur Kenntnis genommen und will weiter in einer Stammeskultur der Legenden leben, lieber vermuten als wissen. Ich tippe auf 95%, die das liken werden. Und angesichts von archaischen Narrativen wie dem Mittwoch fußballweltweit präsenten Bela-Guttmann-Fluch ist das auch nicht weiter verwunderlich.

All jene, die vorhaben, in den nächsten vier Wochen ausführlich mit Einschätzungen und Was-denkst-du?-Gegenfragen durchs Smalltalk-Leben zu schreiten, könnten sich mit einem Blick hierher und einem dorthin problemlos mit personellen und strategischen Grundlagen anfüttern. Wird nicht passieren. Warum sich mit Recherche die schöne bereitgelegte Geschichte kaputtmachen lassen? Warum für die schöne Nebensache zum Datenjournalisten werden müssen? Nachvollziehbar.

Informationen wie die, dass einige Panini-Heftstars es gar nicht in die Auswahl geschafft haben (ich sage nur: Robinho), dass Samir Nasri wegen seiner Stinkstiefeligkeit und Carlos Tevez weil dem Trainer seine Nase nicht passt gar nicht erst dabei sind, werden so noch Mitte Juni als neu verkaufbar sein, aber was soll's. Warum sollte man auch über die WM besser Bescheid wissen als über etwas, worüber man dann Sonntag in einer Woche abstimmt.

Nichtsdestotrotz stellen sich jetzt einige Fragen, von denen sich auch einige beantworten lassen.

Zehn zentrale Fragen zur WM 2014 in Brasilien

1) Wird es erstmals auf amerikanischem Boden einen europäischen Sieger geben? Und nach wem ist dieser Fluch eigentlich benannt?

2) Wird es wieder einer der üblichen Verdächtigen (also ein Ex-Weltmeister) sein und wenn ja, warum?

3) Welche werden die interessanten, aufsehenerregenden und stilprägenden Teams (die dann im Viertelfinale spektakulär gegen einen Großen scheitern) sein? Wird Belgien dem Nimbus des Geheimfavoriten gerecht werden?

4) Welche der diesmal echt vielen im Umbruch befindlichen Großen wird vorzeitig die Segel streichen müssen?

5) Werden die afrikanischen Teams just dann, wenn man nichts von ihnen erwartet, etwas vollbringen?

6) Wird die Systemfrage eine zentrale Rolle spielen, wie zuletzt das wichtigste Tool der mittelgroßen Teams und der Stolperstein der sich Überschätzenden sein oder ist die fluide Anpassung mittlerweile die Norm?

7) Wer wird der Lieblingsexot der fußballfernen Event-Fans?

8) Wird man sich angesichts der Masse an spanischsprachigen Teilnehmern (zuzüglich den verwandten portugiesischsprechenden) namenstechnisch zurechtfinden? Wird Rodriguez oder Hernandez der häufigste Name?

9) Wie halten wir es diesmal mit Deutschland?

10) Wird es einer der allseits bekannten Superstars (Messi, Neymar, Ronaldo) zum MVP schaffen, oder ist eine Überraschung wie Diego Forlan wahrscheinlicher?

---to be continued---

Der Fluch des Moctezuma

Das mit dem Durchfall ist die Rache. Der Fluch des Moctezuma stammt aus dem Jahr 1929. Weil sich zur ersten WM in Uruguay nur gar wenige Europäer über den Atlantik wagten, erschien der Geist des Azteken-Chefs und verkündete, dass hundert Jahre lang keine europäische Mannschaft das Turnier gewinnen würde, wenn es auf amerikanischem Boden stattfindet.

Spanien war 2010 das erste euorpäische Team überhaupt, das außerhalb Europas einen Titel abbekam. Insofern ist der (von mir gerade frei erfundene) Bann nachvollziehbar. Es wird auch heuer schwierig: nicht nur wegen Klima, anderen Südhalbkugel-Gewohnheiten und brasilianischem Heimvorteil, sondern auch weil die zuletzt als überragend eingestuften Teams aus Spanien und Deutschland einiges von ihrem Nimbus eingebüßt haben und es viele Rezepte für ihre Schlagbarkeit gibt. Niemand (siehe Barca, siehe Bayern) ist ohne Schwachstelle; und die Scouting-Teams der großen Verbände tüfteln sei Monaten an Ideen für überraschende Varianten in den entscheidenden Partien gegeneinander.

Und wenn sich so etwa fünf, sechs Nationen auf Augenhöhe begegnen, könnten sich dann doch das Klima und der Heimvorteil bemerkbar machen und durchsetzen. Teile der englischen Fachpresse unken jedenfalls schon von einem Finale Brasilien vs. Argentinien.

Machen es wieder die üblichen Verdächtigen unter sich aus?

Ja, wie immer.
Im Gegensatz zu Kontinental-Meisterschaften, wo schon auch einmal eine Überraschung möglich ist, bleibt die WM-Krone fix in der Hand von Brasilien, Argentinien, Deutschland, Spanien, Italien, England und Frankreich. Diesmal fallen auch die sonst gern mitgereihten Niederländer weg - die sind sowas von im Neuaufbau, dass schon das Überstehen der Gruppenphase ein echter Heuler wäre. Auch den alten Ex-Weltmeister Uruguay braucht man (ganz im Gegensatz zu 2010) diesmal nicht auf der Rechnung zu haben: das damals schon eher ältliche Team ist fast unverändert und eben noch vier Jahre älter. Und wir haben es im Test gegen Österreich gesehen. Wie etwa auch die USA, Anwärter auf den letzten Rang in Gruppe G.

Ähnliches wie für Uruguay (nur in ein bisschen jünger) gilt heuer auch für Portugal, noch so einen ewigen Halb-Co-Favoriten: auch hier spielt mehr oder weniger die Mannschaft von 2010 weiter. Und beide sides sind ausrechenbarer als sie es jemals waren.

Alle anderen, die restlichen Europäer und Südamerikaner sind nur im Fall eines echten Wunders (siehe auch Frage 3) halbfinaltauglich. Da sind die üblichen Verdächtigen davor. Das hat mit Turniererfahrung und vor allem Selbstbewusstsein zu tun, mit ererbter Systempflege, mit erhöhter Ligenqualität, besseren Ausbildungs-Standards und intuitivem Wissen. Die letzten Vier seit 1970 waren 36x die üblichen Verdächtigen und nur 8mal sonstwer; im Finale waren sie immer unter sich.

Und es wird auch diesmal so sein, weil es neben den beiden südamerikanischen Großmächten mit Spanien, Deutschland, wohl auch Italien und womöglich wieder Frankreich vier berufene Europäer gibt. Dazu kommt eventuell Kolumbien als mögliches regionales Überraschungsteam und mit viel Glück einer aus dem überschaubaren Pool der Dark Horses (ich tippe da am ehesten auf Belgien und Nigeria; vielleicht profitiert Bosnien von ein wenig Anfängerglück).

Wird es stilprägende Auftritte geben?

Eher nicht. Die meisten Teams werden versuchen einmal klimatechnisch zu überleben. Wer sich ins Achtelfinale vorgekeucht hat, wird gut daran tun ein Momentum zu finden und sich dran aufzurichten.
Überraschungen wie die der lateinamerikanischen Teams von 2010, die sich in großer Anzahl mit hochwertiger taktischer Flexibilität unter die letzten Acht setzten, sind diesmal nicht zu vermuten: Uruguay und Mexiko befinden sich in einer Phase der Schwäche, nahe am K.O., Chile hat keinen Marcelo Bielsa mehr und von Ecuador/Columbien sind auch keine vergleichbaren Wunderdinge zu erwarten.

Die big names unter der Europäern werden formal so wenig wie möglich riskieren um Kräfte (auch die im Kopf) zu schonen; die Süd-/Osteuropäer spielen einen inhaltlich überschaubar originellen Fußball. Recht viel Druck lastet bereits auf Belgien und der Schweiz, die auch wegen ihrer Setzung als Gruppenköpfe als Hoffnungsträger auf Neuerungen gelten, sich aber - was die große Bühne betrifft - erst finden werden müssen.

Wenn Nigeria den hyperoffensiven Schnellumschalter-Fußball spielt, mit dem man zuletzt den Afrika-Cup gewonnen hat, dann ist die (auch sehr junge und sehr fitte) Mannschaft durchaus in der Lage aufhorchen zu lassen; auch optisch. Die einzige wirkliche Überraschung, was Stilistik betrifft, könnte aber von der Dauerenttäuschung der letzten 50 Jahre kommen: Team England ist wegen seiner Neuausrichtung wahrscheinlich chancenlos, könnte aber mit einer offensiv ausgerichteten Parameter-Verschiebung ihrer Spielanlage einen eminent wichtigen Sprung ins 21. Jahrhundert machen. Und die Gegner womöglich überraschen.

Welche Großen werden Probleme kriegen?

Alle. In zumindest einem Spiel. Ein Durchmarsch wie letztens mit Spanien (denn selbst die Niederlage gegen die Schweiz war spielerisch ja ein Sieg) ist nicht mehr möglich.

Wenn sich eine Mannschaft, eine Gesamt-Delegation über irgendwas (und das kann alles sein) in die Haare kriegt, ist kein Team vor einem dramatisch schnellen Ausscheiden gefeit (siehe Frankreich 2010, obwohl das ja mit Anlauf passiert ist).
Gefährdet sind Niederlande, Portugal und England. Uruguay und Mexiko sowieso, die zähle ich gar nicht mehr mit. Die Côte d'Ivoire, deren goldene Generation es seit Jahren nicht schafft den Afrika-Titel zu gewinnen, hat eine nur scheinbar leichte Gruppe erwischt, auch für sie wird es hart; auch weil sie suvh selber der schlimmste Gegner sind.

England kann es in der Gruppe der drei Ex-Weltmeister schaffen, wenn man sich auf die nur noch taktisch fitten Uruguays gut einstellt, Portugal hat mit Ghana einen richtig harten Gegner um den Aufstieg vor der Brust. Den Niederlanden droht mit Platz 2 Brasilien im Achtelfinale, Rang 1 ist mit der No-Name-Truppe, die Van Gaal da zusammengestellt hat, aber eher außer Sichtweite. Erstmals seit Menschengedenken sind mehr Spieler aus der Eeredivisie im Kader als Legionäre (und da sind mit van der Vaart, Sneijder, Kuyt oder de Jong viele schon zu gut abgehangene dabei).

Schaffen die Afrikaner jetzt, wo keiner damit rechnet, was?

Auch nicht mehr als zuletzt: ein Viertelfinalist ist drin. Leider hat mit Algerien die vermutlich schwächste Mannschaft das beste Los erwischt, die Sub-Sahara-Teams hingegen brauchen allesamt schon einmal eine optimale Vorrunde. Kamerun, Ghana und die Ivorer bauen auf einer jetzt schon ein paar Jahre lang eingespielten Grundsubstanz auf, sorgen aber durch immer wieder auftretende Selbstfaller für Rückschläge. Die seit sehr kurzem völlig neu aufgebauten Nigerianer sind das Gegen-Modell eines radikalen Schnitts und des Verzichts auf egomanische Superstars, und sie haben deshalb nicht nur meine Sympathie, sondern auch den Afrikameistertitel.

Für alle Quengler, die hinter ihrer Kritik an der (ja eh, zugegeben) feuilletonistischen Überschätzung des afrikanischen Fußballs gern dumpfe Rassismen abkochen: im Vergleich zum eher rückläufigen Standard in Asien (samt Australien) und der Nord/Mittelamerika-Zone steht Afrika top da. Zumal sich auch ohne die großen Oligarchengelder langsam nationale Ligen-Strukturen entwickeln, die so etwas wie Konstanz in den afrikanischen Fußball gebracht haben.

Am Wochenende in Teil 2 unter anderem die System- und die Deutschlandfrage...